Nick Vujicic - Mein Leben ohne Limits

Lieber Nick,

ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich bin sechzehn Jahre alt. Ich schreibe dir, weil ich deine DVD „No Arms, No Legs, No Worries“ gesehen habe und sie mir unglaublich viel geholfen hat. Dank dir habe ich den Weg zurück ins Leben gefunden. Zurück ins Leben soll heißen, dass ich an einer Essstörung leide, Anorexie. Das ganze letzte Jahr über war ich immer wieder in stationärer Behandlung. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Ich bin gerade erst aus einem Therapiezentrum in Kalifornien entlassen worden, wo ich auch die DVD gesehen habe. Ehrlich gesagt habe ich mich noch nie in meinem Leben so motiviert und beflügelt gefühlt wie nach deiner DVD. Du bist so unglaublich! Alles an dir ist so wunderbar und positiv. Jedes einzelne Wort von dir hat mich weitergebracht. Noch nie in meinem Leben war ich so dankbar. Manchmal habe ich echt gedacht, es geht nicht mehr weiter, aber jetzt habe ich verstanden, dass niemand auf dieser Erde nutzlos ist. Man muss sich nur annehmen lernen. Wow, also ehrlich - wie soll ich dir je danken dafür, was du in mir bewirkt hast? Mein Wunsch ist es, dich eines Tages kennenzulernen. Das ist mein größter Wunsch, bevor ich irgendwann sterbe. Du hast die unglaublichste Persönlichkeit, die ein Mensch haben kann -ich habe so viel gelacht (und das war bei mir echt selten in der Therapie)! Wegen dir bin ich jetzt viel stärker und weiß, wer ich bin. Ich höre jetzt auf, mich nur damit zu beschäftigen, was andere über mich denken. Und ich höre auf, mich selbst zu hassen. Du hast mir beigebracht, wie ich das Negative in meinem Leben in Positives verwandeln kann. Du hast mein Leben gerettet! Ich weiß nicht, wie ich dir Danke sagen soll - du bist mein Held!

DAS WENN-DANN-SYNDROM

Ich freue mich riesig über solche Briefe. Wenn ich mir überlege, wie verzweifelt ich als Kind war! Niemals hätte ich gedacht, dass ich Spaß an meinem Leben haben würde, und noch viel weniger, dass ich anderen helfen könnte. Wer weiß, wo du gerade stehst. Darf ich dir einen Tipp geben? Wahre Erfüllung hat immer damit zu tun, anderen zu dienen und zu helfen. Schließlich möchte doch jeder von uns mehr aus seinen Fähigkeiten holen. Oder reicht es dir, deine Rechnungen bezahlen zu können?

Auch wenn uns im Grunde klar ist, wie hohl das ewige Streben nach materiellen Gütern ist, kann es trotzdem helfen, sich daran zu erinnern, dass Erfüllung und Besitz nicht dasselbe sind. Auf ihrer Suche nach Erfüllung machen Menschen ja die verrücktesten Dinge. Sie leeren einen Sixpack Bier. Sie dröhnen sich mit irgendwelchen Substanzen zu. Sie legen sich unters Messer, um einem willkürlichen Schönheitsstandard zu entsprechen. Oder sie arbeiten bis zum Umfallen, um den Gipfel des Erfolgs zu erstürmen und stürzen einen Moment später wieder ab. Wer ein bisschen nachdenkt, begreift relativ schnell: Es gibt keine Abkürzung zum Glück. Wer sich auf vergängliche Freuden stürzt, wird auch nur vergängliche Befriedigung finden. Der schnelle Kick macht seinem Namen alle Ehre: heute hier und morgen schon wieder vorbei.

Im Leben geht es nicht ums Haben. Es geht ums Sein. Selbst mit Koffern voller Geld kann man sich hundsmiserabel fühlen. Ich kenne Menschen mit perfekten Körpern, die nicht halb so glücklich sind wie ich. Auf meinen Reisen habe ich in den Slums von Mumbai und den Waisenhäusern von Afrika mehr Freude gesehen als in bewachten Wohnanlagen und auf riesigen Anwesen von unschätzbarem Wert.

Wie kommt das?

Nur wer seine Talente und Fähigkeiten bis zum letzten Tropfen ausschöpft, der findet Erfüllung. „Kauf dich glücklich“ ist nur ein Strohfeuer! Lerne, der Versuchung nach dem größten Loft, den tollsten Klamotten oder dem coolsten Auto zu widerstehen. Das Wenn-ich-doch-nur-X-hätte-dann-wäre-ich-endlich-glücklichSyndrom ist nichts weiter als eine Massenillusion. Wer nur nach materiellen Dingen strebt, wird den Punkt der Zufriedenheit nie erreichen.

Schau dich um. Schau nach innen.

Als Kind hatte ich folgende Vorstellung: Wenn Gott mir Arme und Beine schenken würde, dann wäre ich für den Rest meines Lebens glücklich. Selbstsüchtig kann man diesen Wunsch wohl kaum nennen. Gliedmaßen sind doch Standardausrüstung! Und trotzdem habe ich gelernt, dass man auch ohne die üblichen Anhängsel glücklich sein und ein erfülltes Leben führen kann. Daniel hat mir geholfen, das zu entdecken. Die Möglichkeit, ihm zur Seite zu stehen, hat mir gezeigt, warum es mich eigentlich gibt.

Sobald meine Eltern also zu Besuch in Kalifornien eingetroffen waren, verabredeten wir uns mit Daniels Familie. Es war ein großartiges Treffen. Wir erzählten stundenlang, verglichen Erfahrungen und berichteten, wie wir mit manchen Herausforderungen umgegangen waren, die noch vor Daniel lagen. Vm der ersten Stunde an gab es zwischen unseren Familien eine besondere Verbindung.

Ungefähr ein Jahr später trafen wir uns wieder. Neben vielem anderem erzählten Daniels Eltern, dass die Ärzte der Meinung waren, er sei noch zu jung für einen Spezialrollstuhl.

„Wieso?“, fragte ich. „Ich war damals auch ungefähr so alt wie Daniel.“

Um meiner Meinung gehörig Nachdruck zu verleihen, hüpfte ich aus meinem Gefährt und überließ Daniel meinen Platz. Sein Füßchen reichte genau bis zum Steuerknüppel. Er hatte richtig Spaß! Gekonnt kurvte er mit dem Rollstuhl herum. Dank unserer Anwesenheit konnte er seinen Eltern beweisen, dass er alt genug für seinen eigenen Rollstuhl war. Genau so hatte ich es mir vorgestellt, ihm zu helfen. Warum sollte er nicht von meinen Erfahrungen profitieren dürfen? Es ist für mich regelrecht aufregend, Daniels Berater zu sein.

Für ihn war die Sache mit dem Rollstuhl ein kleiner Durchbruch. Aber das Geschenk für mich war eigentlich noch viel größer. Sein freudiges Gesicht brachte mir Erfüllung pur. Mehr als ein Luxusauto. Mehr als eine Neureichenvilla. Es gibt einfach nichts Schöneres, als seine Bestimmung zu finden!

Das war nicht das einzige Mal, dass wir uns gegenseitig beschenkten. Irgendwann erzählten meine Eltern von ihrer Angst, ich würde mich ohne Arme und Beine nicht über Wasser halten können und schon in der Badewanne ertrinken. Deswegen waren sie übervorsichtig, wenn sie mich badeten. Später hielt mich mein Vater im Wasser und zeigte mir, dass ich nicht unterging. Nach und nach wurde ich mutiger und abenteuerlustiger. Solange ich Luft in der Lunge hatte, trieb ich oben auf dem Wasser. Ich lernte sogar, mit meinem kleinen Fuß vorwärtszukommen. Wenn man bedenkt, wie ängstlich meine Eltern -verständlicherweise - waren, kann man sich ihr Erstaunen vorstellen, als ich mich zu einer richtigen Wasserratte entwickelte.

Einige Zeit später hörten wir, dass einer der ersten Sätze Daniels war: „Schwimmen wie Nick!“ Heute ist er genauso flink und wendig im Wasser unterwegs wie ich. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie gut ich mich dabei fühle. Zu sehen, wie Daniel von meinen Erfahrungen profitiert, macht mein Leben doppelt lebenswert! Selbst wenn er der Einzige wäre, den meine Geschichte je berührt: Daniels „Schwimmen wie Nick!“ entschädigt mich für alles, was ich durchgemacht habe.

Seine persönliche Aufgabe gefunden zu haben, ist der gewaltigste Erfolg überhaupt. Und ich bin mir sicher: Jeder kann etwas bewegen! Vielleicht weißt du noch nicht, was es bei dir ist. Aber sei unbesorgt: Bei Gott passieren keine Fehler. Bei ihm geschehen Wunder. Ich bin eins - und du auch.

KAPITEL 2

| mmer wieder habe ich in meinem Leben und auf meinen Reisen erlebt, wie viel Kraft im Menschen

steckt. Und ich bin mir sicher, dass es Wunder gibt. Aber nur für die, die an der Hoffnung festhalten. Was ist Hoffnung? Hoffnung ist der Ort, wo Träume beginnen. Wo deine innere Stimme spricht. Sie gibt dir Sicherheit, dass nichts von außen Gewalt über dein Inneres hat. Vielleicht hast du nicht unter Kontrolle, was in deinem Leben passiert -, aber wie du darauf reagierst, das liegt in deiner Hand.