Hammurabi, Feldherr, Politiker und Gesetzgeber, schlug Kapital aus dem Kampf sechs rivalisierender Mächte, die bei seinem Amtsantritt um die Vorherrschaft im Zweistromland stritten. In seiner Regierungszeit (1792 -1750 v. Chr.) baute er den kleinen Stadtstaat Babylon zu einem Flächenstaat und zur führenden Macht in Mesopotamien aus. Die Erlasse an seine Stadthalter in Nord- und Südbabylonien bezeugen Energie und Umsicht eines Herrschers, der die von den Akkadern konzipierte Vergöttlichung des Königtums ablehnt.
Ob der vielseitige und weitsichtige König auch ohne seinen Gesetzeskodex, der 1902 auf einer Dioritstele in Susa gefunden wurde, zu einem der bedeutendsten altorientalischen Herrscher geworden wäre, steht freilich dahin. Der in Keilschrift verfasste und vollständig erhaltene »Codex Hammurabi«, Dokument der Sorge und Fürsorge des Königs um Leben und Eigentum seiner Untertanen, gilt auch heute noch als das berühmteste Gesetzeswerk der vorrömischen Antike.
Sie brauchen nicht nach Paris, in das »Seinebabel« zu reisen, um einen Blick auf die Steinstele mit den Gesetzen zu werfen. Sie können im Bannkreis des Ischtar-Tors bleiben, denn eine Kopie befindet sich im Pergamon-Museum in Berlin. Ein Flachrelief über dem Text zeigt an, wie der Großkönig die Gesetze von dem Gott Schamasch entgegennimmt.
Aus heutiger Sicht fällt es allerdings schwer, das hier kodifizierte Talionsrecht als Reform zu bezeichnen. Möglicherweise ist es aber in seiner - zuvor extrem martialischen - Auslegung abgeschwächt worden.
Nachdenklich stimmt auch der Vergleich mit der Rechtspraxis der Hethiter, die zwei Jahrhunderte später die Dynastie Hammurabis auslöschen werden. Die hethitische Kultur zeichnete sich durch eine auffallende Milde aus. Das alte Talionsprinzip nach dem Grundsatz »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, das im ganzen Orient galt, war hier bereits vollständig überwunden.
Ihr feinsinniges Rechtssystem, das eine in der Antike einzigartige und dem Orient sonst eher fremde Achtung vor dem Individuum offenbart, hat die Hethiter natürlich nicht daran gehindert, aus ihren Kerngebieten an den Flüssen Halys und Chabur heraus aktive Eroberungspolitik zu betreiben. Ihr Königreich Hatti erstreckte sich um die Hauptstadt Hattusa herum in Zentralanatolien, aber zwischen dem 17. und 13. Jahrhundert v. Chr. verschoben sich seine Grenzen ständig. Zeitweilig reichte es bis nach Syrien, zum Schwarzen Meer und zur Ägäis.
Der Zugriff auf Babylon erfolgte 1530 v. Chr. unter dem hethit-ischen König Mursili. Nach der Einnahme plünderten die Hethiter die Stadt und setzten sie dann in Brand. Aber die Eroberung brachte ihnen kein Glück. Einige Zeit nach der Rückkehr wurde Mursili ermordet, und die hethitische Politik wurde durch Machtkämpfe zwischen rivalisierenden Zweigen der königlichen Familie geschwächt.
Der Überfall der Hethiter hatte ausgereicht, um das altbabylonische Reich zu Fall zu bringen. Jahrhunderte hindurch herrschten nun im Gebiet Babylons die Kassiten, kriegerische Halbnomaden aus den iranischen Bergen. Um 900 v. Chr. gelang es dann den Assyrern, deren Zentrum Assur schon seit einem Jahrtausend Drehscheibe des Handels gewesen war, ein neues Großreich aufzubauen und die Vormacht im Alten Orient zu übernehmen. Das glänzende, luxuriöse, mondäne Ninive am Oberlauf des Tigris löste das traditionsreiche Assur als Metropole ab.
Die Armeen der wegen ihrer beispiellosen Brutalität berüchtigten Assyrer verfügten über Streitwagen, Fußsoldaten, Reiter und auch schon über die neuen Eisenwaffen. Ihre Feinde terrorisierten sie mit Massenhinrichtungen und Verschleppungen. Die Strafen waren barbarisch, von Zwangsarbeit zum Ausbau der Städte und ihrer Riesenpaläste angefangen.
In der Regierungszeit von Assurbanipal (668 - 627 v. Chr.) eroberten die Assyrer auch Teile Ägyptens, darunter die Pharaonenhauptstadt Theben mit dem Tempel von Karnak. Dies war die größte Ausdehnung des Reiches, aber damit hatten sich die Assyrer übernommen. 612 v. Chr. stürmten Meder und Babylonier gemeinsam die Hauptstadt Ninive.
Die berühmte Bibliothek von Ninive bewahrt das andere Antlitz der assyrischen Herrschaft. König Assurbanipal, der sie ab 650 v. Chr. erbauen ließ, war aufgeschlossen für Literatur und Wissenschaft. Ohne seine Initiative müssten viele Dokumente aus der frühen mesopotamischen Geschichte als verloren gelten. Unter den 25 000 Keilschrifttafeln des Archivs von Ninive findet sich auch das Gilgamesch-Epos.
Nach der Zerschlagung des assyrischen Imperiums setzten die südmesopotamischen Chaldäer die Großmachtpolitik ihrer Vorgänger fort. Nebukadnezar II., der das Neubabylonische Reich gründet und den gesamten Nahen Osten von der Euphrat-Mündung bis zum Mittelmeer beherrscht, wird zum bedeutendsten Feldherrn und Staatsmann seiner Epoche.
Seinen guten Ruf hat er dennoch nicht retten können. Das liegt vor allem an der Bibel. Massendeportationen und Umsiedlungen großer Menschengruppen gehörten zwar sowohl bei den Assyrern als auch bei den Babyloniern zum Herrschaftssystem, und allein in assyrischer Zeit sollen viereinhalb Millionen Menschen verschleppt worden sein. Aber dass Nebukadnezar nach der Eroberung Jerusalems 587 v. Chr. nicht nur den Salomon-Tempel zerstörte und ausraubte, sondern auch die Angehörigen der jüdischen Oberschicht als Geiseln mitnahm, hat ihm die Geschichte nicht verziehen. Ausführlich hält die Bibel im Buch Daniel das Sündenregister Nebukadnez-ars fest und beschreibt die »Babylonische Gefangenschaft« des Volkes Israel, das sich seiner Religion beraubt fühlte und sich nun damit wehrte, die eigenen Überlieferungen schriftlich festzuhalten.
Auch die geheimnisvolle Hand, die bei einem wüsten Ess- und Trinkgelage des Nebukadnezar-Nachkommen Belsazar in Erscheinung tritt und rätselhafte Worte an die Wand schreibt, wird im Alten Testament erwähnt. Während die einheimischen Gelehrten bei der Deutung des Menetekels versagen, kann der nach Babylon verschleppte Jude Daniel, der für seine Weisheit bekannt ist, dem gottlosen Gastgeber auf die Sprünge helfen. Er übersetzt die Drohung als Hinweis auf den bevorstehenden Untergang von Belsazars Reich: »gewogen und zu leicht befunden.«
»Belsazar ward aber in selbiger Nacht / von seinen Knechten umgebracht«, notiert Heinrich Heine lakonisch und endgültig.
Babylon aber darf noch einmal eine schmale Zeit glänzen. Ne-bukadnezar hat die Stadt wieder größer und prächtiger ausbauen, neue Kanalsysteme und gewaltige Stadtmauern errichten lassen. Ihre Länge schätzte der Babel-Spezialist Koldewey auf etwa 18 Kilometer und blieb damit deutlich hinter den Angaben der meisten antiken Autoren zurück. Man vermutet heute, dass sie eine zweite babylonische »Mauer« einrechneten, eine Art Schutzwall von nachweislich etwa fünfzig Kilometern Länge, die nördlich der Stadt zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris verlief und so den Zugang aus dieser Richtung abriegelte.
Allein das Zentrum der altorientalischen Metropole, die Jahrtausende lang als größte Stadt der Welt galt und in der zwischen 50 000 und 80 000 Menschen gelebt haben, nahm einst mehr als zweieinhalb Quadratkilomer ein. Die Ummauerung könnte eine Höhe von bis zu dreißig Metern erreicht haben. Angesichts der riesigen Fläche der Ruinenstätte und der Dichte der archäologischen Schichten war an eine vollständige Ausgrabung Babylons nie zu denken.
Auch der legendäre Hochtempel des Stadtgottes Marduk, gewissermaßen der spätbabylonische Anteil am Turmbau-Mythos, entsteht unter Nebukadnezar neu. Mit insgesamt sieben übereinander gestellten Plattformen überragt er das Zwischenstromland. Und ein weiterer Mythos darf sich entfalten, der es sogar bis in die offizielle Liste der antiken Weltwunder schafft. Es sind die Hängenden Gärten der Semiramis, von denen mehrere Autoren der Spätantike überschwänglich berichten.
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