Es handelt sich um Cesare Borgia, den unehelichen Sohn Papst Alexanders VI., dessen Biografie am besten in Form eines Steckbriefs abgefasst werden kann, in den man aber die monströse Karriere seines Vaters gleich mit einflechten sollte. Alexander VI., der 1492 durch Stimmenkauf auf den päpstlichen Stuhl kam, gehört zur skrupellosen Spezies der Renaissance-Menschen. Er begriff das Papsttum, das unter seinem Pontifikat ein Höchstmaß an »Verweltlichung«, Korruption und Dekadenz erreichte, als politische Institution, als durchaus diesseitigen Machtfaktor im italienischen und europäischen Kräftespiel. Um diese Macht zu sichern, war ihm jedes Mittel recht. Mit Hilfe seines Sohnes vergiftete er politische Gegner, kaufte Kurtisanen, kassierte Fremdvermögen und ließ den Nepotismus, die Vetternwirtschaft, hochleben.
In Kenntnis dieser Karriere können wir mit Cesare kurzen Prozess machen und der Einfachheit halber die volle Skala der sieben Todsünden, angeführt von der Ermordung des Schwagers und Bruders, pauschal für ihn in Anspruch nehmen. Mit 18 Jahren wurde er Kardinal, was seinen Ehrgeiz und seine Gier nach Ruhm aber nicht befriedigte. Im Zuge seiner politisch-militärischen Laufbahn unterwarf er mit größter Brutalität die kleineren Feudal- und Stadtherrschaften im Gebiet des Kirchenstaates, scheiterte aber mit seinem Plan, sich ein eigenes Königreich in Mittelitalien einzurichten.
Für den großartigen Renaissance-Kenner Jacob Burckhardt war Cesare Borgia der »große Verbrecher«, Urbild des vitalen, lebensund machthungrigen Gewaltmenschen. Mittlerweile aber zeigt sich, dass zumindest ein kleiner Teil zeitgenössischer und zeitübergre-ifender Verleumdung bei den Verdammungsurteilen für Vater, Sohn und insbesondere auch Tochter Lucrezia Borgia in Abzug zu bringen ist. Zugunsten Alexanders VI. wird auch der epochemachende Schiedsspruch von 1493 ins Feld geführt, der die Demarkationslinie zwischen den Besitzungen der Kolonialmächte Spanien und Portugal in der Neuen Welt bestätigte. Und die glänzende persönliche Ausstrahlung des Cesare Borgia hat ihm nicht nur hervorragende Offiziere und Soldaten zugeführt, sondern selbst Leonardo da Vinci, den anderen »Übermenschen« dieser Ära, beeindrucken können. Aber auch die beachtliche mäzenatische Funktion für die schönen Künste, die die Familie großzügig wahrnahm, hat ihre Wertschätzung nicht wesentlich erhöht. Noch immer stehen die Borgias für die monströs-düstere Abteilung der renaissancetypischen Diesseitigkeit.
Als Alexander VI. 1503 an Malaria starb, brach in Rom Jubel aus. Die Verachtung für sein Pontifikat, das die territoriale Macht des Kirchenstaates stärkte, aber die Würde des Papsttums nachhaltig beschädigte, hatte längst auch die breite Bevölkerung erreicht. Seine Gemächer im Vatikan wollte seither kein Papst mehr bewohnen.
Der ärgste Widersacher und unbequemste Gewissensmahner Alexanders VI. konnte allerdings nicht mehr mitjubeln. Der rachsüchtige Papst, der ihn zunächst mit dem Kardinalshut hatte kaufen wollen, ließ ihn, als dies misslang, foltern und hinrichten. Es handelt sich um den Dominikanermönch Savonarola, der in Florenz mit großem Zulauf Bußpredigten abhielt und den luxuriösen Lebensstil der gesellschaftlichen Elite anprangerte. In einer Art Kulturrevolution konnte er die Jugend der Stadt dafür gewinnen, alle Erscheinungsformen des eitlen und nutzlosen Lebens zu beschlagnahmen und auf einem gewaltigen Scheiterhaufen mitten in der Stadt auf der Piazza della Signoria in einem »Fegefeuer der Eitelkeiten« zu verbrennen: Schmuck, Spiegel, Kosmetika, teure Kleider, Möbel, Kunstwerke, Bücher, Spielkarten und Musikinstrumente. Auch die Medici vertrieb er 1494 aus Florenz. Dass wenig später Savonarola selber auf einem Scheiterhaufen endet, mag man als Ironie der Geschichte verstehen.
Zu den kritischen Geistern der Stadt Florenz gehört auch Niccolo Machiavelli (1469 -1527), der als Politiker und Diplomat mit seiner Schrift »Il principe« (Der Fürst) das Einmaleins der Machtpolitik niederlegt, obgleich er eigentlich republikanisch denkt. Machiavelli formt den Begriff der Staatsräson vor, die an die Stelle christlich geprägter Herrschertugenden tritt. »Il Principe« wurde zu einem bis in das 18. Jahrhundert hinein grundlegenden Traktat der Fürstenerziehung und wird häufig als Legitimierung einer Politik, die in der Wahl ihrer Mittel keine Skrupel kennt, fehlgedeutet. Dieser Schrift wird sogar Friedrich II. von Preußen in seinem Jugendwerk »Antimachiavell« (1739) widersprechen, obwohl Machiavellis Werk zunächst nur eine Analyse der Machtstrukturen ist und primär untersucht, unter welchen Bedingungen Herrschaft auf Dauer erfolgreich sein kann, um so letztlich dem Gemeinwohl dienen zu können.
Machiavellis Welt- und Menschenbild bleibt allerdings pessimistisch. Möglicherweise die beste Voraussetzung dafür, mit »Mandragola« (Die Springwurz, 1518/20) das originellste, aber noch immer - sehr zu Unrecht - kaum bekannte Lustspiel der Epoche zu schreiben.
Mit den Einsichten der Renaissancezeit werden die Grundlagen der späteren Aufklärung gelegt. Es beginnt der lange Weg aus der intellektuellen Naivität und Unmündigkeit. In vielen Städten Europas werden Universitäten gegründet, 1348 in Prag die erste nördlich der Alpen.
Mit dem Aufblühen der Universitäten kann sich eine umfassende Erneuerung der Wissenschaft durchsetzen. Das mittelalterliche Denken war in den damaligen theologischen und philosophischen Kategorien befangen und sah in der Natur lediglich den Gegenstand des Schöpfungsglaubens. Erst durch die Trennung von Glauben und Wissen kann sich die Kenntnis der Natur in den neuen akademischen Disziplinen entfalten: Biologie, Chemie, Physik, Astronomie, Geografie, Mathematik, Medizin.
Bald folgen der wissenschaftlichen Arbeit auch die praktischen Anwendungen: Die Brille wird erfunden, der Wecker, die Taschenuhr, das Fernglas, optische Geräte zur Vergrößerung, Modelle der Himmelskörper und ihrer Bahnen, schließlich der Buchdruck und die Buchbinderei. In der Medizin wird der Kaiserschnitt als Möglichkeit der Lebensrettung erfunden und praktiziert. Die chirurgischen Eingriffe werden um ein Vielfaches verfeinert. Alle Beobachtungen und Erkenntnisse werden, wie Leonardo da Vinci es vormachte, in Experimenten überprüft und entweder bestätigt oder verworfen.
Und die Explosion wissenschaftlicher Neugier hat gerade erst begonnen.
Das Reich der Azteken war schon gefallen; mit ihm König Monte-zuma und 300 000 seiner Untertanen. Den Inka hatte die Geschichte bis zur Demütigung durch den Spanier Francisco Pizarro noch eine Art Gnadenfrist eingeräumt, jetzt ging es darum, die letzten Widerstandsnester der Maya auszuschalten. Der wuchernde Dschungel hatte zwar viele ihrer Tempelpyramiden tarnen oder sogar verstecken können, aber er war keineswegs dicht genug, um auch sie selber vor den spanischen Eroberern zu schützen.
1527, Canon von Sumidero, Hochland von Chiapas, Mexiko: Nach einem blutigen Auf und Ab militärischer Konfrontationen haben sich erbittert kämpfende Tzotzil-Maya, verfolgt von spanischen Soldaten und mexikanischen Hilfstruppen, an den Rand einer steilen Felsterrasse über dem Rio Grijalva zurückgezogen. Als die gut ausgerüsteten und zu allem entschlossenen Spanier näher und näher kommen, stürzen sich die rund 2000 ausweglos Bedrängten, darunter viele Frauen und Kinder, in den Fluss. Sie ziehen den Freitod der spanischen Knechtschaft vor. Der Massenselbstmord am Rio Grijalva, durch den sich einige Historiker an die Einnahme der jüdischen Festung Masada durch die Römer im Jahr 73 erinnert fühlen, markiert auf besonders tragische Weise den Beginn der Kolonialzeit.
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