Iceni beobachtete skeptisch die Symbole der fremden Kriegsschiffe, die in raschem Tempo immer zahlreicher wurden. »Das ist eine große Streitmacht«, sagte sie schließlich und wunderte sich darüber, wie ruhig ihre Stimme klang. »Die sind nicht hier, um im Vorbeiflug auf uns zu schießen und dann gleich wieder abzuhauen.«
»Das sind genug Kriegsschiffe, um alles menschliche Leben hier im System auszulöschen«, stimmte Drakon ihr zu. »Wenigstens können wir sie jetzt sehen, da unsere Sensoren von den Würmern gereinigt worden sind. Aber wo zum Teufel steckt Black Jack? Was hat er angestellt? Hat er bei ihnen für Unruhe gesorgt und sich dann aus dem Staub gemacht? Und weil er weg ist, wollen die sich jetzt an uns rächen?«
Eine sonderbare kalte Leere überkam Iceni, während sie weiter das Display betrachtete. »Oder die Enigmas haben sich als eine Herausforderung erwiesen, der nicht einmal Black Jack gewachsen war. Falls die seine Flotte ausgelöscht haben, welche Chancen sollen wir denn dann noch haben?«
Drakon überraschte sie mit einem Lächeln, doch dann erkannte sie, dass es mehr wie das Zähnefletschen eines Wolfs aussah, das mit Humor gar nichts zu tun hatte. »Rufen wir Boyens und sagen wir ihm, dass er sich mit uns verbünden soll, wenn er ein Held sein will.«
»Und wenn er gar kein Held sein will? Wenn er lieber die Flucht ergreift, weil er nicht hier sterben will?«
»Die Enigmas werden uns abschlachten«, stellte Drakon fest, dann hob er beiläufig die Schultern. »Bei diesem Kräfteverhältnis werden wir sowieso alle sterben, völlig ohne Rücksicht darauf, was Boyens macht. Aber wenn er uns hilft, könnten wir noch etwas Zeit gewinnen.«
»Und was sollen wir damit anfangen?«, gab sie zurück. »Oder erwarten Sie, dass uns irgendwer helfen wird?«
»Ich weiß nicht«, räumte er ein. »Vielleicht taucht ja in letzter Sekunde Ihr Ritter in strahlender Rüstung auf, um uns zu retten.«
»Ich habe keine Ritter, General Drakon. Eine kluge Frau verlässt sich nie darauf, dass jemand kommt, um sie zu retten.«
»Und worauf verlässt sie sich stattdessen?«, hakte Drakon nach, der das Display betrachtete, als würde er soeben die wenigen Optionen durchrechnen, die ihnen zur Verfügung standen.
Auch Iceni hatte ihren Blick auf die im Angriffsflug befindlichen Enigma-Schiffe gerichtet, denen sich nur die eben erst eingetroffene Syndikat-Flotte sowie die viel zu kleine eigene Flotte entgegenstellen konnten. »Sie verlässt sich auf ihre eigene Urteilsfähigkeit, um herauszufinden, wem sie wirklich vertrauen kann, General Drakon.«
Er lachte zynisch auf. »Und warum sind Sie dann immer noch hier bei mir?«
»Warum haben Sie nicht längst Ihre Waffe auf mich gerichtet?«
Diesmal grinste er sie amüsiert an. »Weil ich nie ein richtig guter CEO gewesen bin. Rufen Sie schon mal Boyens, während ich die Bodenstreitkräfte in Alarmbereitschaft versetze.«
Vielleicht habe ich ja einen Ritter , überlegte Iceni. Keinen Ritter in strahlender Rüstung, sondern einen aus Dunkelheit und Schatten. Aber vielleicht ist ja auch nur die Rüstung angelaufen. Vielleicht steckt unter dieser Rüstung jemand, der immer noch fähig ist, etwas zu tun, was ihm nicht nur persönliche Vorteile einbringt. Jemand, der – so wie er es mir einmal sagte – wirklich etwas haben will, für das es sich zu sterben lohnt. Oder ist er unter der Rüstung auch mit Makeln behaftet und sieht bloß ein, dass unsere minimalen Chancen restlos schwinden, wenn wir uns gegeneinander wenden, anstatt uns gemeinsam den Enigmas in den Weg zu stellen?
Sie sagte weiter nichts zu Drakon, sondern nahm Kontakt mit der Syndikat-Flotte auf, um ihr ein Angebot zu machen, das sie hoffentlich nicht ablehnen würde.