Iceni starrte den Bericht an und wunderte sich, warum sie darauf nicht bloß überrascht, sondern schockiert reagierte. Gegen das Timing ist nichts einzuwenden. Jetzt raubt mir dieser Idiot nicht länger den Schlaf, und Togo kann …
Togo.
Was habe ich ihm gestern gesagt? Was habe ich zu Togo gesagt?
Dass er eine Lösung finden soll, was Buthol betrifft?
Was Togo so ausgelegt haben könnte, dass ich Buthol aus dem Weg geräumt wissen wollte.
Dieses eine Mal wollte ich ein Problem nicht auf diese Weise aus der Welt schaffen. Dieses eine Mal wollte ich es richtig machen.
Und trotzdem könnte ich seinen Tod befohlen haben.
Sie saß da und schaute auf ihr Display. Togo zu sich zu zitieren, würde nichts bringen. Er wusste, wie es ablief. Das war keine routinemäßige Angelegenheit, so als würde man für jemanden ein Erschießungskommando kommen lassen, das diesen Jemand öffentlich für sein Versagen im Dienst bestrafen sollte. Unter dem richtigen Vorwand konnte man so ohne viel Theater eine Person aus den unteren Reihen der Hierarchie loswerden. Aber nicht jeder, der eliminiert werden musste, hatte ein Verbrechen begangen, und manche Personen, die eigentlich neutralisiert werden sollten, hatten mächtige und einflussreiche Gönner. Es existierten bewährte Mittel und Wege, wie man das erledigen konnte und gleichzeitig jede persönliche Schuld für die Tat vermied. Wenn sie Togo fragte, ob er Buthol selbst getötet oder jemanden damit beauftragt hatte, würde er das leugnen. So war es immer. Schließlich versetzte er sie damit in die Lage, selber reinen Gewissens alles leugnen zu können. Sie hatte ihm nicht gesagt, er solle Buthol töten, und Togo würde einen Mord nicht zugeben. Wie oft hatten sie dieses Spiel schon gespielt, um Gewissheit zu haben, dass ein Verhör durch den ISD ergebnislos verlief?
Haben Sie den Auftrag gegeben, ihn zu töten?
Ich habe niemandem gesagt, er solle ihn töten.
Die Antwort wird als wahrheitsgemäß eingestuft.
Warum störte es sie nur so sehr, dass dieser Buthol womöglich auf ihre Veranlassung hin sein Leben verloren hatte? Es lag an dieser verdammten Marphissa und ihrem Vortrag über den Schutz des Volks.
Aber es ging auch um ihren eigenen Schutz und den ihrer Leute. Ich hatte eigentlich etwas dagegen unternehmen wollen. Ich hatte Attentate von der Liste der möglichen Mittel des Personalmanagements streichen lassen wollen.
Vielleicht hat Drakon ja damit zu tun. Buthol hat auch ein paar hässliche Dinge über ihn gesagt.
Sie zögerte, dann rief sie Drakon.
»Stimmt was nicht?«, fragte er, kaum dass er sie sah.
Das war nicht gut. Das Ganze hatte sie so mitgenommen, dass es ihr anzusehen war. »Ich wollte mich nur erkundigen, General, ob in Ihrem Büro in letzter Zeit Personal entlassen wurde.« Der Satz war alter Code, mit dem nachgefragt wurde, ob irgendwelche Attentate ausgeführt worden waren.
Drakon ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »In letzter Zeit nicht.«
Entweder hatte er den Mord nicht angeordnet, oder er wollte es nicht zugeben. Sie musste mit jemandem reden, der verstehen würde, was vorgefallen war. Aber wie sollte sie Drakon gegenüber zugeben, dass sie womöglich ein Attentat befohlen hatte? Zugegeben, CEOs machten so etwas ständig, aber streng genommen war es dennoch illegal. Und wenn sie jetzt ihre Beteiligung einräumte, konnte das später gegen sie verwendet werden – und das auch noch von jemandem, der diesen Beweis benutzen konnte, um sie von der Bildfläche verschwinden zu lassen und die alleinige Macht über dieses Sternensystem für sich zu beanspruchen.
Hatte Malin ihr die Wahrheit über Drakons Absichten gesagt? Konnte sie es wagen, dem Mann zu glauben?
Wenn dieser Idiot bloß nicht mit Morgan geschlafen hätte! Ich konnte spüren, wie wir uns näher gekommen waren, wie sich ein Gefühl dafür entwickelte, dem jeweils anderen schon mal ein Stück weit zu vertrauen …
Ein anderer Gedanke schoss ihr förmlich durch den Kopf und traf sie so unvorbereitet, dass Iceni nur hoffen konnte, dass Drakon sie nicht sofort durchschaute. War das Morgans Absicht gewesen? Hat sie gemerkt, dass ich mich in Drakons Nähe allmählich wohler gefühlt habe? Hat sie Sex als Mittel benutzt, um einen Keil zwischen uns zu treiben? Sie muss gewusst haben, dass ich auf irgendeinem Umweg davon erfahren würde.
Gehört das mit zu Morgans Spiel? Will sie mein Misstrauen gegenüber Drakon schüren, damit ich die Arbeit mit ihm aufkündige, weil er nicht die Finger von ihr lassen konnte? Aber wie konnte sie sich so sicher sein, dass ich das Ganze nicht nur als Gerücht abtun würde?
Augenblick mal. Malin hat es mir gesagt.
War Malin nur eine Marionette, die von Morgan als Botenjunge benutzt wurde, wenn sie etwas durchsickern lassen wollte? Oder machten die beiden womöglich gemeinsame Sache? War der Zwischenfall auf der Orbitaleinrichtung nur inszeniert gewesen, um allen weiszumachen, dass zwischen Malin und Morgan böses Blut herrschte und eine Zusammenarbeit der beiden schlicht undenkbar war?
Aber wie konnte Togo die Anzeichen für eine solche Zusammenarbeit übersehen? Er hat mir nie gesagt …
Du kannst niemandem vertrauen.
Absolut niemandem.
Iceni sah Drakon an, der sie anschaute und geduldig auf ihre Reaktion wartete. Ihr Instinkt forderte sie auf, sich von diesem Mann fernzuhalten und alles zu unternehmen, um seinen Einfluss so weit wie möglich zu beschneiden und ihn schließlich ganz aus dem Verkehr zu ziehen. Drakon besaß als Einziger im ganzen Sternensystem genug Macht, um ihre Position unmittelbar zu gefährden.
Aber was, wenn das die falsche Antwort war? Was, wenn sie nur dann eine echte Chance hatte, wenn sie ein wenig Vertrauen in den Idioten setzte, der dumm genug war, um mit einem verrückten Miststück ins Bett zu gehen, und der zynisch genug war, um sich nicht darum zu kümmern, dass er gegen eine seiner wenigen selbst auferlegten Regeln verstoßen hatte und für ein kurzes Vergnügen seine eigene Position in Gefahr brachte.
Oder wurde er all seiner Macht zum Trotz von seinen Untergebenen in diese Richtung manipuliert?
» Viele CEOs begehen den Fehler, sich nur über diejenigen Sorgen zu machen, die in der Rangordnung über ihnen stehen« , hatte ihr ein Mentor einmal gesagt. » Dabei sollten sie sich lieber Sorgen machen, was wohl ihre Untergebenen vorhaben. Man muss nicht viel Kraft aufwenden, um jemanden zum Stolpern zu bringen. Man muss nur wissen, wann der Moment gekommen ist, um ihm ein winziges Hindernis vor die Füße zu legen. Und wer kann so etwas besser als die Leute, die man kaum wahrnimmt, während sie für einen die Drecksarbeit erledigen?«
» General Drakon.« Das wird mir noch leid tun. Das weiß ich. Aber ich tue es einfach. Es ist das, was jeder von mir als Letztes erwarten würde. »Ich möchte mich gern mit Ihnen persönlich treffen. Neutrales Terrain, keine Adjutanten, keine Assistenten.«
Er sah sie sekundenlang an, dann nickte er. »Gut. Der übliche Treffpunkt? Ich kann in einer halben Stunde da sein.«
»Dann werden wir uns dort treffen.«
Nachdem sich die Tür zum Konferenzraum geschlossen hatte, setzte sich Drakon hin und sah Iceni an.
»Ich werde jetzt etwas Dummes tun«, verkündete sie.
»Tatsächlich? Das scheint momentan um sich zu greifen«, gab Drakon mit einer Mischung aus Spott und Verbitterung zurück. »Ich hoffe, es ist so dumm wie das, was ich getan habe.«
»Ich werde Ihnen sagen, dass ich durch eine nachlässig formulierte Aussage womöglich den Tod eines Mannes herbeigeführt habe«, sagte sie und führte aus, was sich zugetragen hatte, dann wartete sie seine Reaktion ab.
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