»Warum erzählen Sie mir das?«, wollte er wissen. »Ihnen muss doch klar sein, was ich mit dieser Information bewirken könnte.«
»Ich … vertraue darauf … dass Sie das nicht machen werden.«
Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr von Taroa sah sie ihn daraufhin lächeln. »Sie haben recht. Das war wirklich dumm. Aber Sie können froh sein, denn ich war sogar noch viel dümmer. Ich will nicht, dass jemand in meinem Keller nach vergrabenen Leichen sucht, also werde ich auch niemanden zu Ihnen schicken, um in Ihrem Keller zu suchen. Das ist eine von diesen Situationen, die sich noch böse rächen können. Zu der Frage, was mit Buthol passiert ist oder was mit ihm passiert sein könnte …« Drakon zuckte mit den Schultern. »Lassen Sie sich davon nicht den Schlaf rauben. Wenn Sie dieses Mal einen Fehler gemacht haben, dann wissen Sie, was Sie beim nächsten Mal nicht sagen dürfen.«
Konnte er tatsächlich verstehen, wie es ihr erging? »Unter welchen Umständen ist ein Fehler hinnehmbar, wenn dadurch ein Mensch gestorben ist?«
Drakon schaute zur Seite. »Präsidentin Iceni …«
»Sagen Sie verdammt noch mal Gwen, wenn Sie mit mir reden.«
Einen Augenblick lang schien er verblüfft zu sein. »Also gut. Gwen, haben Sie eine Ahnung, wie viele Gefechte ich ausgetragen habe und wie viele kleine Fehler mir dabei unterlaufen sind? Und wie viele Soldaten wegen dieser kleinen Fehler gestorben sind?«
»Das ist was anderes. Sie haben versucht, Ihren Job zu tun. Sie haben noch gelernt, wie …«
»Es kommt mir aber nicht wie etwas anderes vor. Nicht, wenn man sich selbst verdammt noch mal was wert ist.« Diesmal schien Drakon überrascht darüber zu sein, dass er sich soeben zu seinen Gefühlen bekannt hatte.
»Dann verstehen Sie mich. Vergessen Sie, was man uns beigebracht hat. Vergessen Sie alle Lektionen, die Sie auf dem Weg zum CEO gelernt haben. Wollen wir das haben? Diese Fähigkeit, mächtig genug zu sein, um aus einer bloßen Laune heraus oder auch nur aufgrund eines Fehlers einen Menschen zu töten?«
Sie hatte einen Streit erwartet, eine wütende Verteidigung von Prinzipien. Aber Drakon saß lange Zeit nur schweigend da.
Nach einer Weile erwiderte er: »Keiner von uns ist vollkommen. Wir beide sind menschlich genug, um mehr Fehler zu machen, als wir eigentlich sollten.«
»Sollten dann unseren Fähigkeiten Grenzen gesetzt werden, damit uns weniger Fehler von dieser Art unterlaufen?«
»Hat das was mit den Dingen zu tun, die Sie zuvor über die Änderungen im Rechtssystem gesagt hatten?«
»Zum Teil ja.«
»Was genau wollen Sie von mir?«
Iceni atmete tief durch. »Würden Sie mir zustimmen, dass wir keine weiteren Hinrichtungen und Attentate mehr anordnen? Außer wenn wir beide der Meinung sind, dass das im Einzelfall doch angebracht ist?«
Nach einer Pause fragte er: »Haben Sie herausgefunden, wer Rogero töten wollte?«
»Nein, aber ich frage mich, ob jemand, der für Sie oder für mich arbeitet, die einsame Entscheidung getroffen hat, so vorzugehen, weil er glaubt, dass eine solche Taktik die Standardvorgehensweise ist.«
»Weil es die Art ist, wie die Dinge erledigt werden.« Drakon formulierte es als Feststellung, nicht als Frage.
»Und wer weiß, wen er zu seinem nächsten Ziel erklärt hat?«, fügte Iceni hinzu. »Ich will wissen, ob es jemand auf mich abgesehen hat, dem Sie nicht den Befehl dazu gegeben haben. Wir stehen hier am Anfang einer großen Sache. Wir haben die Stabilität in diesem Sternensystem gewahrt, wir haben zwei andere Sternensysteme als potenzielle Verbündete, und wenn wir nicht ausgelöscht werden, können wir immer weiter wachsen. Bedrohungen von außen sind eine Sache, die wir nicht kontrollieren können. Aber Bedrohungen von innen können uns genauso vernichten. Wir beide müssen einander vertrauen können, und eine Vereinbarung, auf außerrechtliche Tötungen zu verzichten, kann ein wichtiger Beitrag sein, um dieses Vertrauen zu begründen.«
»Warum sollten Sie mir glauben, wenn ich behaupte, ich werde keine weiteren Tötungen befehlen?«, wollte Drakon wissen.
»Weil ich glaube, dass Sie sich verdammt noch mal etwas wert sind, General Drakon.«
Warum zum Teufel musste ich das jetzt sagen?
Aber gleich darauf lächelte er sie an. »Dann schlage ich Ihnen etwas vor. Ich werde mich einverstanden erklären, ohne Ihre Zustimmung keine Hinrichtungen oder Attentate anzuordnen, und ich werde meine Leute noch einmal eindringlich darauf hinweisen, dass sie auch nicht eigenmächtig tätig werden dürfen. Im Gegenzug …«
»Ja?«
»… nennen Sie mich Artur anstatt General Drakon. Zumindest wenn wir allein sind.«
»Ich weiß nicht. Das ist ein großer Schritt«, gab Iceni zurück. »Wer nennt Sie sonst noch Artur?«
»Niemand. Schon lange nicht mehr.«
»Dann bin ich einverstanden.« Aber wenn du noch einmal mit dieser Frau schläfst, dann wirst du für mich bis zum Ende aller Zeiten »General Drakon« bleiben.
Ehe sie weiterreden konnte, begann ihre Komm-Einheit eilig zu pulsieren. Sie hörte, dass Drakons Einheit gleichzeitig anschlug. »Was ist jetzt los?«, knurrte sie gereizt. »Ich hoffe, das ist was Wichtiges.«
»Das ist es«, erwiderte Togo. »Aktualisieren Sie Ihr Systemdisplay.«
Das über dem Tisch schwebende Bild des Midway-Sternensystems flackerte kurz.
»Verdammt«, murmelte Drakon.
Am Hypernet-Portal wurden Schiffe angezeigt, die ins System gekommen waren. Iceni warf einen Blick auf die Identifizierungen gleich neben den Schiffen. »Eine Syndikat-Flotte.«
»Und sie haben ein Schlachtschiff«, ergänzte Drakon.
»So was haben wir auch.«
»Ja, aber wahrscheinlich ist deren Schlachtschiff voll einsatzfähig.«
Darauf wusste Iceni keine Antwort. »Und sechs Schwere Kreuzer. Wie viele Leichte Kreuzer? Ah, vier. Dazu zehn Jäger.« Selbst ohne das Schlachtschiff hätte diese Flotte ein Problem für Icenis Kriegsschiffe dargestellt, da denen ein einsatzbereites Schlachtschiff fehlte. »Die wollen das System unbedingt zurückerobern.«
»Wir erhalten eine Nachricht von der Flotte.« Drakon betätigte eine Taste.
Ein Fenster öffnete sich vor ihnen, darin tauchte das vertraute Gesicht eines Mannes in CEO-Kleidung auf. »Hier spricht CEO Boyens. An die ehemaligen CEOs Iceni und Drakon. Ich wurde hergeschickt, um dieses Sternensystem wieder der Kontrolle durch die Syndikatwelten zu unterstellen. Sie haben sich beide des Verrats schuldig gemacht. Wenn Sie an einem Deal interessiert sind, dann rate ich Ihnen, mir umgehend ein sehr gutes Angebot zu machen.« Boyens lächelte auf die typische CEO-Weise, die immer eine Spur Überheblichkeit erkennen ließ, dann endete die kurze Nachricht.
Nach längerem Schweigen sah Drakon Iceni an. »Irgendwelche Vorschläge?«
Sie schüttelte den Kopf. »An CEO Boyens’ Mitgefühl zu appellieren dürfte wohl sinnlos sein. Er ist zwar längst nicht der schlimmste Syndikat-Offizier, den ich kenne, aber er ist sehr ehrgeizig. Was können wir ihm anbieten?«
»Als Bestechung?«, fragte er. »Das Wertvollste in diesem System sind momentan wir beide. Wenn Sie wollen, werfe ich eine Münze, damit wir bestimmen können, wer hier wen opfert.«
»Er muss sich nicht mit einem von uns begnügen«, sagte Iceni. »Nicht, wenn er eine so große Streitmacht mitgebracht hat. Was wir brauchen …« Sie brach ab, da ein weiterer Alarm ertönte, diesmal in einer Tonlage, die ihr so vertraut war, dass sie sie niemals würde vergessen können. »Nein!«
Drakon sah sich das Display an, dabei nahm sein Gesicht einen noch düstereren Ausdruck an. »Doch. Die Enigmas sind zurück.«
Die Syndikat-Flotte war vor Stunden durch das Hypernet-Portal ins System gekommen, aber die Enigmas, die durch den Sprungpunkt von Pele eingetroffen waren, hielten sich ebenfalls seit einigen Stunden im System auf. Es war bloß das Licht ihrer Ankunft, das den Planeten erst jetzt erreichte. Boyens würde sie ungefähr zur gleichen Zeit sehen und sich damit abfinden müssen, dass er seine Rückeroberungspläne an die aktuelle Situation anpassen musste.
Читать дальше