»Sie machen Witze.« Sie hätte schon blind sein müssen, um nicht zu erkennen, wie begehrenswert Colonel Morgan für einen Mann sein musste. Außerdem war sie alt genug, um zu wissen, dass Männer nicht perfekt waren, vor allem wenn es um ihr Verhältnis zu Frauen ging. Dennoch verspürte sie immer noch Enttäuschung, wenn ein Mann nicht ihre in ihn gesetzten Erwartungen erfüllte. »Nur eine Nacht?«
»Ja, und es wird keine Wiederholung geben.«
Etwas an seinem Tonfall machte sie stutzig. »Was stört Sie daran?«
»Sie wissen, ich vertraue ihr nicht. Meine Befürchtung ist, dass sie eine ganz andere Absicht damit verfolgte, General Drakon zu verführen, und dass sie diese Nacht irgendwann zu ihrem Vorteil nutzen wird.«
»Wenn er sich eine verrückte Hure in sein Bett holt, dann muss er damit rechnen, dass es Probleme gibt«, gab Iceni zurück und bemerkte dabei, wie wütend sie sich anhörte. Man hätte meinen können, dass sie diesen Zwischenfall persönlich nahm. Was natürlich völlig lächerlich war.
»Sie ist nicht verrückt, jedenfalls nicht in der Art, die Sie meinen. Morgan legt immer wieder ein Verhalten an den Tag, das andere dazu veranlasst, sie zu unterschätzen. Genau das hat sich aber bei vielen als der letzte Irrtum in ihrem Leben erwiesen. Sie ist sehr gut sowohl in kurzfristigen wie in langfristigen Plänen. Und sie verfolgt auch jetzt wieder einen. Nehmen Sie sie nicht auf die leichte Schulter.«
Iceni schnaubte gereizt. »Vielleicht wären wir unter diesen Umständen ohne sie besser dran, anstatt uns Sorgen machen zu müssen. Ganz gleich, wie gefährlich sie auch ist, sie kann eliminiert werden. Niemand ist unbesiegbar.«
»Von einer solchen Vorgehensweise muss ich dringend abraten. Ich würde mich auch nicht daran beteiligen.«
Jetzt gesellte sich auch noch Frust zu ihrer Verärgerung. »Sie hassen sie doch so wie jeder andere auch. Sie selbst haben sogar schon versucht, sie zu töten. Und mir wollen Sie jetzt davon abraten?«
Colonel Bran Malin verzog den Mund. »Ich habe nicht versucht, sie zu töten.«
»Wieso nicht?«
Abermals hielt er eine Weile inne. »Drei Gründe. Erstens: Sie ist hart im Nehmen und sehr intelligent. Jeder Attentatsversuch wäre ein mühsames Unterfangen, und die Folgen eines Scheiterns wären gravierend. Zweitens schätzt General Drakon ihre Ratschläge und ihre Fähigkeiten. Fände er heraus, dass jemand einen Anschlag auf Morgan geplant hat, dann wäre er sehr unglücklich. Und wenn ich dabei auch noch eine Rolle spielen würde, dann hätte ich nie wieder eine Chance an ihn heranzukommen. Nicht mal mir würde er einen Anschlag verzeihen, der sich auf einen aus seiner Sicht treuen Untergebenen richtet. Ich hatte meinen Platz an seiner Seite beinahe verspielt, nachdem es zu diesem … Missverständnis gekommen war, als der Angriff auf die Orbitaleinrichtung hier im System stattfand. Hätte ich im Verlauf dieses Vorfalls nicht jemanden getötet, der seinerseits eindeutig Morgans Tod wollte, dann wäre es mir nicht möglich gewesen, Drakon vom Gegenteil zu überzeugen. Und er hätte mir niemals verziehen. Wenn er Sie im Verdacht hätte, an einem Attentatsversuch auf Morgan beteiligt zu sein, könnte das für ihn Grund genug sein, Sie aus dem Weg zu räumen, weil er dann davon ausginge, der Anschlag auf Morgan sei nur eine Vorstufe zu einem Angriff auf ihn selbst.«
Diese Argumente waren so überzeugend, dass Iceni sie nicht ignorieren konnte, auch wenn sie ihre Zweifel hatte, was Malins Erklärung für das »Missverständnis« betraf, bei dem er angeblich nicht auf Morgan geschossen hatte. Da war noch irgendwas anderes, aber sie konnte es nicht näher bestimmen. »Und der dritte Grund?«, hakte sie nach.
Malins Miene zeigte keine Regung, als er antwortete: »Das ist eine private Angelegenheit.«
»Ich möchte es aber erfahren.«
»Da muss ich Sie leider enttäuschen.«
Verärgert schob sie das Kinn vor und fragte sich, ob sie ihn stärker unter Druck setzen und ihm damit drohen sollte, ihn an Drakon zu verraten, wenn er ihr Ansinnen ablehnte. Ihr war nach wie vor nicht klar, wieso Malin sie überhaupt mit Informationen versorgte, aber bislang hatte er ihr noch nie etwas gesagt, das sich rückblickend als unzutreffend entpuppt hatte. Eine Quelle so dicht an Drakon war unbezahlbar. Malin musste so gut wie sie selbst wissen, dass sie einen solchen Informanten nicht verlieren wollte, solange er für sie weiterhin von Nutzen sein konnte. Also würde er die Drohung, ihn an Drakon zu verraten, auch sofort als Bluff erkennen. »Sie haben keine Ahnung, welchen Plan Morgan verfolgt?«
»Ich kann nur das sagen, was ich über sie weiß. Sie ist ehrgeizig, sie hat keine moralischen Bedenken, und sie scheitert kaum einmal mit einem Vorhaben.«
Iceni lachte leise auf. »Wieso ist sie bloß keine CEO geworden?« Die Frage brachte sie auf einen anderen Gedanken. »Glauben Sie, sie will mich ersetzen?«
»Es wäre möglich. Und vielleicht ist Drakon das Werkzeug, mit dem sie das erreichen will.«
»Wer von uns schwebt dann in größerer Gefahr? Sie oder ich? Oder etwa Drakon selbst?«
»Ich glaube, Drakon ist vor ihr sicher, aber ich kann es nicht mit Gewissheit sagen. Ich weiß es schlichtweg nicht«, fuhr Malin fort. »Wenn ich ums Leben komme, dann versuchen Sie hinter die Kulissen der sich abspielenden Geschehnisse zu schauen. Ich habe nichts darüber herausfinden können, wer Colonel Rogero töten wollte. Vielleicht hatte sie damit auch irgendwas zu tun. Rogero und Gaiene stehen Drakon sehr nahe, Kai ein kleines bisschen weniger. Wenn ich die Lage richtig einschätze, wird Morgan versuchen, Drakon auf lange Sicht von jedem außer ihr selbst zu isolieren, damit niemand mehr da ist, der ihn auf Ideen bringen kann, die ihren Absichten zuwiderlaufen.« Malin blickte Iceni unmittelbar in die Augen. »Dazu gehören Sie auch. Ich bin mir nicht sicher, was General Drakons Gefühle Ihnen gegenüber angeht, aber zumindest respektiert er Sie.«
»Aber er vertraut mir nicht«, räumte Iceni ein.
»Richtig. Er vertraut mir und Morgan, außerdem Rogero, Gaiene und Kai.«
»Ihnen vertraut er, und Sie verraten mir seine Geheimnisse«, wandte sie ein.
Wieder hielt Malin inne. »Ich stehe loyal zu General Drakon.«
Tatsächlich? Welche langfristigen Pläne verfolgen Sie, Colonel Malin? Natürlich werden Sie sie mir nicht verraten, aber wie viel von dem, was Sie mir soeben gesagt haben, ist die Wahrheit, wie Sie sie kennen, und wie viel davon zielt darauf ab, mich davon zu überzeugen, das zu tun, was Sie wollen? »Loyal zu General Drakon? Das müssen Sie mir erst noch beweisen.«
»Es ist wahrscheinlich unmöglich, Ihnen einen überzeugenden Beweis zu liefern.«
»Ganz im Gegenteil«, sagte Iceni. »Töten Sie sie.«
»Morgan? Nein.«
»Behalten Sie sie dann wenigstens im Auge?«, wollte sie wissen.
Malin verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Ich tue kaum etwas anderes, als sie zu beobachten. Und ich drehe ihr nie den Rücken zu.«
»Wenn Sie schon nicht das tun wollen, was mit Blick auf Morgan getan werden müsste, dann behalten Sie zumindest auch General Drakon im Auge. Vielleicht können wir ihn ja so von einer Dummheit abhalten.«
»Ich beobachte ihn auch. Zugegeben, bei Taroa bin ich einmal nicht aufmerksam gewesen, aber sie wird sich ihm so nicht noch einmal nähern können. Und falls sie es versucht, wird General Drakon sie diesmal abweisen.«
»Sie mögen Ihre Zweifel haben, aber ich habe meine eigenen Zweifel«, sagte Iceni. Männer! Wenn man sich bei ihnen doch bloß darauf verlassen könnte, dass sie Entscheidungen mit ihrem Gehirn treffen.
Diese verdammte männliche Fehlbarkeit machte es für Frauen viel leichter, sie wie Werkzeuge für ihre Zwecke zu benutzen.
Frauen wie Morgan.
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