Da war es wieder, das Krächzen, von dem er meinte, daß er es schon zuvor gehört hatte. Es schien von dem schwarzen Punkt zu kommen. War das also ein Riesenvogel, der ihn und Caramon verspottete?
Plötzlich plumpste etwas fast unmittelbar vor ihnen ins Wasser. Es war eckig, eingekerbt und mehrere Finger dick, eine Art flaches Brot, das ganz nah bei dem Solamnier im Wasser trieb.
Sturm reckte sich und erwischte es mit den Zähnen. Es war hart wie Holz, doch es war kein Holz. Es war eine dicke Scheibe Brot. Hungrig biß er hinein, während er mit der Schulter Caramon anstieß.
Der große Krieger bewegte sich und schlug die Augen auf. Sturm ließ die Hälfte des Brotes wieder ins Wasser fallen und stupste sie zu Caramon hin. Dieser war noch soweit bei sich, daß er es mit den Zähnen packte und in mehreren Bissen herunterwürgte.
Wieder erscholl das Krächzen, diesmal entfernter. Caramon und Sturm blickten blinzelnd zum Himmel hoch, doch sie konnten den schwarzen Fleck kaum erkennen, der über ihnen emporstieg und aus ihrem Blickfeld verschwand.
Das dicke, harte Brot war kein Ersatz für Otiks Würzkartoffeln, doch unter den gegenwärtigen Umständen schmeckte es beinahe genausogut.
Die Wärme des Seewassers lullte sie ein. Die mörderische Hitze raubte ihnen alle Energie. Die Monotonie der Wellen betäubte ihre Sinne.
Wie in Trance trieben sie ziellos dahin.
Sturm träumte von seinem Vater und fragte sich, was aus dem tapferen, dem Untergang geweihten Angriff Feuerklinge geworden war. Eines Tages würde er die Antwort erfahren. Vorläufig gab es nur wenige, unzusammenhängende Hinweise – wie Trittsteine, die über einen endlosen Teich verteilt lagen. Immer wenn Sturm auf einen der Steine trat, verwandelte dieser sich in ein Seerosenblatt, und Sturm sank auf den Grund.
Caramon träumte von einem warmen Gasthaus und einem schönen Mädchen.
Keiner von beiden bemerkte, daß der Dunst sich allmählich hob und das Wasser seine schmutzigbraune Farbe verlor.Der Kender durchmaß die Mitte seiner Steinzelle in dem unterirdischen Palastanbau. Tolpan Barfuß schien der einzige Gefangene in diesem Teil des Gebäudes zu sein. Dogz hatte ihm verraten, daß er persönlicher Gefangener des Minotaurenkönigs war. Das erfüllte Tolpan mit Stolz, selbst wenn es bedeutete, daß er besonders ausgeklügelte Foltern und Verhöre zu erdulden hatte.
Dogz war nicht der Folterer. Eines Tages brachte er das bißchen Haferschleim, das die Minotauren Tolpan zu essen gaben. Es war ein abscheuliches Zeug, selbst für Tolpan, der wie die meisten Kender recht offen war, was das Essen anging.
Auch der Befehlshaber, Clief-Eth, war nicht der Folterknecht. Er stellte nur zwischen den Martern die Fragen.
Clief-Eth wollte wissen, wofür Tolpan das Jalopwurzpulver von dem kräuterkundigen Minotaurus Argotz gekauft hatte. Inzwischen hatte Clief-Eth das Jalopwurzpulver – genau wie den restlichen Inhalt von Tolpans Beuteln –, aber offenbar war er mehr darauf aus, zu erfahren, warum der Kender die seltene Substanz überhaupt gesucht hatte.
Tolpan hätte die Frage vielleicht beantwortet, wenn er die Antwort gewußt hätte, aber die kannte nur Raistlin. Grundsätzlich war der Kender gern höflich und hilfsbereit. Aber Tolpan wußte, daß Argotz ermordet worden war und daß die stinkenden Minotauren nach diesem Mord ihm, Caramon und Sturm nachgejagt waren und irgendwie einen magischen Sturm zusammengebraut hatten, der sie an den östlichen Rand des Blutmeers befördert hatte. Er mußte Raistlin unbedingt irgendwann mal fragen, wie so ein magischer Sturm funktionierte.
Deshalb beantwortete Tolpan die Frage nicht, und die Minotauren quälten ihn schon tagelang.
Die armen, blöden, häßlichen, schmutzigen Rindviecher! Sie brauchten viel Nachhilfe bei ihren Foltertechniken. Aus Tolpans Sicht waren sich die minotaurischen Folterknechte höchst uneinig über die Frage, wie viele Schmerzen sie ihm zufügen durften, damit er ihnen sagte, was er wußte, ohne ihn schwer zu verletzten oder zu töten. Wenn sie Tolpan umbrachten oder in den Wahnsinn trieben, ohne die erwünschte Antwort zu erhalten, würde sich jemand namens Nachtmeister furchtbar aufregen.
»Vorsicht, ihr Dummköpfe!« mahnte Clief-Eth immer wieder während der Folterungen. »Der Nachtmeister hat strenge Anweisung gegeben, daß der Kender am Leben bleiben muß, bis er redet!«
Das bedeutete, daß sie ihm nicht die Zunge herausreißen konnten – was wirklich schade war, wie Tolpan überlegte, denn das wäre eine ziemlich wirksame Maßnahme gewesen.
Nachdem ihn die Henkersknechte einige Tage lang getreten und verprügelt hatten, ohne einen anderen Erfolg zu erzielen als Beulen und Blut, versuchte der Kender, Clief-Eth und seinen Untergebenen mit einfallsreichen Vorschlägen auszuhelfen.
»Warum hängt ihr mich nicht an meinem Haarknoten irgendwo auf?« riet er ihnen.
Clief-Eth hielt das für eine gute Idee. Also baumelte Tolpan einen ganzen Tag und eine Nacht, in der er nicht viel Schlaf bekam, an seinem Haarschopf von einem Haken in der Decke. Sein Gesicht lief knallrot an, und er erstickte beinahe. Tolpan mußte zugeben, daß es wirklich wehtat. Er gratulierte Clief-Eth zu seiner ausgezeichneten Foltermethode, doch auch sie erbrachte nicht das von den Minotauren gewünschte Resultat.
»Schneidet mir meinen Haarknoten ab, damit ich mich schäme«, schlug Tolpan spontan vor. »Ein Kender mit kurzen Haaren wird wie ein Aussätziger behandelt, wie eine Kuh ohne Hörner.«
Clief-Eth fand, daß es einen Versuch wert war, also schnitten die minotaurischen Folterknechte Tolpans Haare direkt an der Kopfhaut ab. Tolpan schämte sich außerordentlich – ungefähr fünf Minuten lang. Danach fiel ihm ein, daß die einzigen, die seinen geschorenen Kopf zu sehen bekamen, diese stinkenden Minotauren waren. Außerdem beschloß er, daß das Ergebnis gar nicht so unpraktisch war. Vielleicht sollte er seine Haare öfter abschneiden. Jedenfalls gratulierte er den Minotauren überaus höflich zu ihren Fähigkeiten als Folterer und ihrer Bereitschaft, neue Methoden auszuprobieren.
Natürlich hatten Clief-Eth und seine Minotauren auch ein paar eigene Ideen. Tolpan mußte zugeben, daß ein paar davon durchaus effektvoll waren.
Sie versuchten, ihn auszuhungern, obwohl Tolpan ihren Gefängnisfraß sowieso verabscheute. Die einzige Folter am Hungernlassen war, daß er Dogz nicht zu sehen bekam, den er inzwischen richtig gern hatte. Aber wenn Dogz das Essen brachte, tat er dies neuerdings unter dem wachsamen Blick von Clief-Eth und riskierte daher kein Wort an Tolpan.
Die minotaurischen Folterknechte brachen Tolpan alle Finger einer Hand, einen nach dem anderen, einmal mit einem Steinhammer, einmal durch Zurückbiegen, bis der Finger knackte und so weiter. Das tat ziemlich weh. Aber die langen, schlanken Kenderfinger sind wie die Knochen eines Menschenbabys. Sie schmerzen, doch sie heilen rasch. Das wußte Tolpan, und er gab sich größte Mühe, den Schmerz so ehrenhaft zu ertragen, wie es seinem Freund Sturm wohl gelungen wäre.
Wo waren Caramon und Sturm überhaupt? Ob sie tot waren? Während der Folter konzentrierte sich Tolpan darauf, sich um seine beiden Freunde zu sorgen. Bestimmt mußte man sie retten. Wenn er aus seiner gegenwärtigen Lage entkommen war, würde er auf jeden Fall versuchen, sie zu finden.
Die minotaurischen Folterer tauchten Tolpan versuchsweise in eiskaltes Wasser. Drei der gehörnten Unmenschen waren nötig, um seinen wildgewordenen Kopf unter die Oberfläche einer riesigen Badewanne zu drücken. Sie hielten ihn lange, lange fest. Tolpan hielt so lange den Atem an, bis es einfach nicht mehr ging. Er mußte zugeben, daß er fast ertrunken wäre. Das dürfte wohl die beste Foltermethode gewesen sein, wenn er sie nach Effektivität wertete. Aber der Kender sagte Clief-Eth immer noch nicht, was der Minotaurus wissen wollte.
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