Wolkenstürmer sammelte seine Himmelskrieger und gab bekannt, daß sie sofort nach Mithas zurückkehren würden. Die Gefährten kamen zusammen, um sich traurig von dem alten Volk zu verabschieden, das ihnen dabei geholfen hatte, Sargonnas aufzuhalten.
»Wir werden uns wiedersehen«, sagte Raistlin feierlich.
»Das werden wir ganz bestimmt«, sagte Wolkenstürmer.
Sturm schloß Wolkenstürmer steif, aber herzlich in die Arme.
Caramon trat vor, ohne zu wissen, was er sagen oder tun sollte. Er hatte Wolkenstürmer in der kurzen Zeit so gut kennengelernt. Er würde seinen Kyriefreund nie vergessen.
Wolkenstürmer sah den Menschen an. Er hob Caramons Arm an und zog den Ärmel hoch, bis er die Narbe von der Nacht des Seedrachens fand. Der Kyrie berührte die Narbe mit zwei Fingern und führte dann die beiden Finger an seine Lippen.
»Krieger«, sagte Wolkenstürmer. »Bruder.«
»Krieger«, wiederholte Caramon. »Bruder.«
Als die Kyrie losflogen, erzeugten sie mit ihren riesigen Schwingen ein eindrucksvolles Rauschen.Seit dem Angriff auf die Ruinenstadt und der Niederlage des Nachtmeisters waren sieben Tage vergangen, seit der Abreise der Kyrie zwei Tage.
Es herrschte Aufbruchstimmung unter den Gefährten. Obwohl einige verletzt waren und ihre Wunden pflegten, ging es keinem so schlecht, daß er oder sie nicht weiterziehen konnte. Dennoch verharrten die sieben Freunde auf dem hohen Plateau über der zerstörten Stadt, wo sie in der Ferne noch den rauchenden Gipfel des Dachs der Welt ausmachen konnten.
Tolpan hatte versucht, alle zu überzeugen, daß er eigentlich nie richtig böse gewesen war. Es war alles ein fabelhaftes Theater gewesen, erklärte der Kender beharrlich.
Dennoch hatte Sturm dem Kender eine ausführliche Predigt gehalten. Insgeheim glaubte er, daß der böse Kender ihn in Atossa um ein Haar umgebracht hätte. Keiner konnte den Solamnier vom Gegenteil überzeugen. Und keiner wußte so recht, ob er es überhaupt versuchen sollte.
Am späten Nachmittag, als die Essenszeit nahte, sah Flint, wie Tolpan und Sturm wieder heftig stritten. Auf einmal krümmte sich der Zwerg und hielt sich den Bauch vor Lachen. Sturm wollte wissen, was Flint so komisch fand.
»Ke – Ke – Kender ohne Zopf!« platzte der Zwerg heraus. »Solamnier mit halbem Schnurrbart!«
Alle lachten mit – bis auf Sturm, der nicht verstand, was daran so überaus lustig sein sollte.
Tolpan lachte am längsten. Als er sich schließlich wieder beruhigt hatte, wurde er ganz ernst. »Du glaubst mir doch, nicht wahr, Raistlin?«
»Ja, das tue ich«, sagte Raistlin schlicht.
»Seht ihr! Raistlin glaubt mir!« rief der Kender strahlend.
»Mein Bruder ist sehr klug«, sagte Kitiara, die ein Feuer für das Abendessen aufbaute, »aber er hat eine Schwäche für Kender.«
»Was glaubst du, Kitiara?« fragte Sturm, der auf eine Verbündete hoffte.
»Das habe ich schon gesagt«, antwortete Kit. »Er war böse, bis Dogz seinen Trank durch mein Gläschen Leucrottaspeichel ersetzte. Ohne Dogz wäre Tolpan immer noch böse – und wir vielleicht alle tot.«
»Leucrottaspeichel?« wiederholte Sturm verwirrt.
»Er wirkt bei Liebestränken als Gegengift«, warf Tanis ein, »und Kitiara dachte, wenn er bei Liebestränken wirkt, könnte er bei dem Gesinnungstrank dieselbe Wirkung haben. Hat er wohl auch, denn Tolpan ist hier und ist nicht mehr böse.«
»Der große Experte für Liebestränke«, murmelte Flint, der die Augen verdrehte. Er gab Kit einen großen Topf, damit sie Wasser holen ging.
Tolpan grinste breit, um jedem zu beweisen, daß er nicht mehr böse war.
»Hm, vielleicht«, sagte Sturm zweifelnd.
»Ist das möglich?« fragte Caramon Raistlin.
»Möglich«, sagte sein Bruder unbeteiligt.
»Was ich schon lange mal fragen wollte, Kit«, sagte Tanis, »wenn du mit Onkel Nelltis eine Leucrotta gejagt hast, wie bist du dann so schnell nach Karthay gekommen?«
Auch die anderen waren auf die Antwort gespannt. Aber Kit war verschwunden, um den Kochtopf zu füllen.
Als sie wiederkam, diskutierten die anderen bereits über ein neues Thema – die vertraute Debatte der letzten Woche: Wo sollten sie hinziehen, und was sollten sie als nächstes tun?
Seit acht Tagen lagerten sie hier oben, begruben die Toten, verabschiedeten sich von heimkehrenden Freunden und schoben ihre eigenen Pläne auf.
»Ich sage euch, was ich gerne tun würde«, sagte Caramon kühn. »Ich würde gerne nach Mithas zurückkehren und Wolkenstürmer und die Kyrie im Krieg gegen die Minotauren unterstützen. Ich möchte den Tod von Morgenhimmel rächen!«
»Ich würde auch gern nach Mithas zurückgehen«, stimmte Sturm zu. »Ich würde diesem Gladiator, Tossak, gern noch einen Hieb versetzen, jetzt, wo ich wieder fit bin.«
»Gibt es viele Schätze in diesen Minotaurenstädten?« fragte Kit.
»Klar!« rief Tolpan.
»Ich weiß nicht«, sagte Tanis nachdenklich. »Ich vermisse Solace, aber wenn wir schon einmal so weit weg sind – nämlich auf der anderen Seite der Welt –, finde ich doch, daß wir das nutzen sollten, um Land und Leute kennenzulernen. Was meinst du, Raistlin?«
Der Wind hatte aufgefrischt. Die Nacht brach an, und mit ihr wurde es kälter. Lunitari und Solinari gingen auf.
Der junge Magier lächelte dünn. »Wir können nicht für immer hierbleiben. Und der Heimweg wird sicherlich kein Zuckerschlecken. Also finde ich, wir sollten morgen früh abstimmen. Wie das auch ausfällt, wir machen das, was wir beschließen, und brechen auf.«
Sie wurden von ungewohntem Krach unterbrochen. Die Gefährten sahen zu Flint hinüber, der am Feuer stand. Ein appetitlicher Geruch wehte aus dem großen Topf herüber. Der graubärtige Zwerg funkelte sie an, während er mit einem großen Holzlöffel gegen den Topf schlug.
»Reden, reden, reden!« schäumte der Zwerg. »Kommt essen!«