»Wirklich?« meinte Tolpan mit breitem Grinsen. »Tja, ich habe einiges erlebt. Erst wurden wir von dem Kapitän der Venora verraten – ich mochte ihn sowieso nicht. Ich habe ihn Alte Walroßfratze genannt. Dann kam dieser unglaublich große Sturm, bloß war das gar kein richtiger Sturm, sondern – «
Drei Minotauren mit beschlagenen Keulen und Schwertern brachen durch den Rauch und griffen sie an.
Tanis fuhr wütend herum, bremste ihren Angriff ab und rannte dann nach einer Seite davon. Tolpan lief in die andere Richtung.
Einer der Kyrie war bei dem Feuerballbeschuß gefallen. Ein anderer hatte seinen Kameraden zur Seite gezogen und war von der Gruppe getrennt worden.
Tanis war verschwunden.
Die anderen sammelten sich an einem kleinen Vorsprung. Eine Gruppe Minotaurensoldaten setzte ihnen zu. Kitiara und Yuril schlugen mit dem Rücken zum Fels mit ihren Schwertern nach zwei Stiermenschen. Wolkenstürmer und drei andere Kyriekrieger kämpften in der Nähe und wehrten mehrere Minotauren mit gekrümmten Keulen ab.
Einer der Minotauren kam näher und stach mit dem Schwert nach Yuril. Er traf sie in die Seite. Sofort fuhr Kitiara herum und schlitzte dem Angreifer am Ellbogen den Arm auf. Der Minotaurus wich zurück. Er umklammerte den Arm, um den Blutfluß zu stoppen. Sein Kamerad schubste ihn beiseite und stürzte sich auf Kitiara, solange sie ihre Stellung noch nicht wieder eingenommen hatte.
Wenigstens dachte Kit, er hätte sich gestürzt, aber als sie ungeschickt auswich, fiel der Minotaurus einfach weiter und blieb mit dem Gesicht nach unten tot liegen. In seinem Nacken steckte ein kleines Messer.
Sie erhaschte gerade noch einen Blick auf den Kender, der davonrannte.
Yuril brach zusammen. Kitiara hielt sie an den Schultern fest. »Schaffst du’s?« fragte sie. Yuril nickte schwach und wurde ohnmächtig.Tolpan konnte Dogz einfach nicht finden.
Die Minotauren hatten den Verräter zum Rand des Schauplatzes geschleppt, wo ein Stiermann den Gefangenen abseits vom übrigen Geschehen nervös bewachte. Dogz saß betroffen da und starrte auf seine Füße. Er war in seiner eigenen Welt. Plötzlich hörte er einen lauten Rums. Als er hochsah, ging der Minotaurensoldat in die Knie, griff sich an den Hals und kippte dann vornüber in den Staub.
Tolpan schlenderte heran.
»Liegt alles im Handgelenk«, prahlte er. »Nicht jeder Kender kann einen Hupak so gut werfen wie ich. Ach, ich könnte wirklich behaupten, kaum ein Kender kann einen Hupak so gut werfen wie ich. Gut, vielleicht Onkel Fallenspringer, aber der hat es mir schließlich beigebracht!«
Mitten in dem lärmenden, rauchverhangenen Getümmel um sie herum band Tolpan Dogz rasch los.
Dogz bewegte sich nicht. »Du bist zurückgekommen, Freund Tolpan«, sagte er, doch seiner Stimme fehlte der gewohnte hallende Klang.
»Das war ich dir doch schuldig, oder?«
»Es ist schön, daß du wieder so bist wie früher«, sagte der Minotaurus. »Also hat das Gegengift der Frau gewirkt.«Der Minotaurensoldat erwies sich als zäh, wild und kampferfahren. Caramon kam nicht an ihm vorbei.
Es schien ein Patt zu sein, bis Tanis angelaufen kam und Caramon mit seinem Schwert unterstützte. Der Halbelf schlug zu, während Caramon weiter zustach. Ihre Waffen trafen gegen die Stange des Minotaurus.
Zum ersten Mal sah Caramon einen Anflug von Panik in den Augen des Soldaten. Der Minotaurus stolperte und zog sich ein paar Schritte zurück. Alle seine Bewegungen waren jetzt nur noch Verteidigung, und Tanis und Caramon nutzten ihren Vorteil. Der Minotaurus ermüdete offensichtlich allmählich unter ihrem Angriff und würde nicht mehr lange durchhalten.Auf dem Gerüst stellte sich der Nachtmeister Raistlin Majere.
Nachdem Tolpan das Seil um seine Hände durchtrennt hatte, hatte der junge Magier rasch auch den Strick um seine Füße gelöst. Jetzt stand er blaß und schwitzend mit festem Blick da wie ein Tier, das gleich losspringen würde.
»Die Dinge laufen nicht gerade gut… was?« sagte Raistlin mit leiser, entschlossener Stimme.
Der Nachtmeister war vom alptraumhaften Ablauf der Ereignisse überrollt worden. Aber jetzt weckte der Mensch vor ihm, der irgendwie seine Pläne durchschaut und sich mit anderen verschworen hatte, um sie scheitern zu lassen, erneut seine Entschlossenheit. Der Oberschamane der Minotauren starrte auf den viel kleineren Raistlin herab. Zufrieden stellte er fest, daß der winzige Mensch keine Waffe hatte.
»Der Spruch ist gesagt«, grollte der Oberschamane. »Jetzt fehlt nur noch das Opfer. Und wie ich sehe, bist du immer noch hier, Raistlin Majere aus Solace. Mir scheint, es hat genug Unterbrechungen und Verzug gegeben. Die Stunde deines Todes ist da. Sargonnas wartet!«
Raistlin war weiter vorgerückt, während der Nachtmeister gesprochen hatte. Jetzt sprang er los – von dem Oberschamanen zum Zauberbuch, das auf dem Pult lag. Er riß das Buch hoch und hielt es vor sich.
Der Nachtmeister hielt inne und hinkte überrascht auf Raistlin zu. »Was soll das, Zauberer?« sagte der Minotaurenschamane höhnisch. »Glaubst du, dir bleibt noch Zeit, einen Spruch zu lernen, um mich zu besiegen? Oder willst du mein Zauberbuch bloß als Schild verwenden?«
Raistlin fuhr herum und schleuderte das Zauberbuch über den Schlund des Vulkans.
»Nein!« schrie der Nachtmeister, der vergeblich dem Buch nachsetzte. »Nei-i-i-n!«
Gerade als der Minotaurus Raistlin den Rücken zudrehte, kamen Tanis und Caramon oben auf dem Gerüst an. Sie warfen ihre Waffen auf die große Gestalt. Zwei Schwerter fuhren in den Rücken des Nachtmeisters. Der Oberschamane hing noch einen Augenblick am Rand des Gerüsts, verlor dann den Halt und stürzte kopfüber in den Feuerkrater.
Caramon und Tanis umarmten Raistlin.
Fragend schaute der junge Magier auf den Kampf, der unten weiterging.
»Kit geht es gut«, erklärte Caramon schnell. »Tolpan auch. Wir tun unser Bestes, die Minotauren zu besiegen!«
»Wir haben keine Zeit mehr«, sagte Raistlin angespannt. »Wir müssen uns beeilen.«
Caramon und Tanis sahen, daß aus dem Schlund des Vulkans bereits eine rote Wolke drang. Wie ein feuriger Wirbelwind wuchs sie an. Sie mußten das Gesicht von der sengenden Hitze abwenden.
Ein Geräusch wie das von hunderttausend Pferdehufen begleitete die Wolke. Caramon warf einen kurzen Blick in den orangeroten Feuersee, dessen riesige Wellen hochschwappten, bevor Raistlin ihn fortriß. Caramon und Tanis wurden von dem jungen Magier die Stufen des Gerüsts hinuntergedrängt.»Kitiaras Gegengift?« fragte der Kender begriffsstutzig.
»Ich habe es dir statt deiner üblichen Doppelportion verabreicht«, sagte Dogz ernst.
»Ja, genau, darüber hatte ich noch mit dir reden wollen. Der Trank hat noch nie besonders gut geschmeckt, aber beim letzten Mal war es noch schlimmer…«
Plötzlich hielt der Kender inne. Er hörte ein seltsames Geräusch, das ganz anders klang als die Kampfgeräusche, die er bisher gehört hatte. Tolpan schaute zum Gerüst hoch. Es stand leer. Ein Feuersturm brauste aus dem Maul des Vulkans empor und loderte über den Platz.
»Oh-oh«, schluckte Tolpan. »Darüber reden wir später. Jetzt verschwinden wir lieber.« Er zupfte an Dogz, der noch nicht aufgestanden war.
»Ich komme nicht mit«, sagte Dogz.
»Was machst du?«
»Ich komme nicht mit«, wiederholte Dogz. Jetzt stand er auf, bückte sich und legte dem Kender die Hände auf die Schultern. Dogz sah seinem Freund in die Augen. »Ich habe meiner Rasse Schande gemacht«, sagte der Minotaurus. »Ich habe Befehle mißachtet. Ich bin entehrt.«
»Wie?« stotterte Tolpan, der sich wild umsah. Minotauren rannten schreiend an ihnen vorbei und warfen ihre Waffen weg. In dem Durcheinander von Feuer und Rauch konnte er keinen seiner Freunde entdecken. »Was soll das heißen? Du hast mir das Leben gerettet! Für mich bist du ein Held!«
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