»Bäh«, grunzte Dogz, als er seine Hand hochnahm, die vom Blut aus der verklebten Wunde an Sturms Hinterkopf verschmiert war. Vor lauter Abscheu verpaßte er Sturm eine Ohrfeige. Der Solamnier nahm den Schlag stoisch hin.
»Das war’s!« kreischte Tolpan, der vergeblich an seinen Fesseln zerrte. »Jetzt kannst du nicht mehr zurück! Sturm hat sein ganzes Leben noch keinem Unbewaffneten etwas getan, jedenfalls nicht, solange ich ihn kenne! Und das sind Jahre, nämlich mindestens ein oder zwei bis jetzt. Und er ist so ziemlich der edelste, anständigste Mann, dem du je begegnen wirst, abgesehen von mir.«
Diesmal schien die Kenderstimme den Minotaurus zu überraschen, als hätte er sich bisher nicht dazu herabgelassen, Tolpan wahrzunehmen. Caramon hörte, wie Dogz Luft holte und zurücktrat, um mit seiner leisen, grollenden Stimme mit dem Anführer zu reden.
»Der dritte ist ein Kender, Sarkis.«
»Und?«
»Kender sind unrein. Sie wandern umher und leben vom Stehlen und Betrügen. Wenn man einen berührt, heißt es, zieht man Verachtung oder, schlimmer noch, eine Krankheit auf sich. Ich glaube nicht, daß es nötig ist, den da zu durchsuchen.«
Hinter den beiden Minotauren ertönte ein wütendes Zischen. Hinter Caramon erhob sich Tolpans beleidigte Stimme:
»Unrein! He, du großer Hornochse! Ich möchte dir mitteilen, daß ich regelmäßig bade. Mein Gesicht habe ich gestern erst gewaschen, um genau zu sein – jedenfalls wenn ich recht vermute, daß heute der Tag nach gestern ist, was ich nicht sicher weiß, weil ich keine Ahnung habe, wo ich bin und wie lange es gedauert hat, mich hierher zu befördern. Aber wenn du persönliche Körperpflege zur Sprache bringen willst, dann schlage ich vor, du nimmst mal deine tellergroßen Nüstern, bückst dich und schnupperst an dir selbst!«
Sturm biß sich auf die Zunge.
Caramon verdrehte die Augen.
Der menschliche Abschaum und die Oger mit den Schwimmhäuten lachten höhnisch.
Der mit dem Namen Sarkis ging an Dogz vorbei und tauchte in den grauen Nebel bei der verhüllten Gestalt ein. Diesmal konnte Caramon kein einziges Wort verstehen, nur wildes Schnauben, das von gutturalen Silben und Zischen unterbrochen wurde. Der Anführer beriet sich offensichtlich mit der geheimnisvollen Gestalt.
Caramons Gedanken überschlugen sich. Beim Gedanken an seinen Zwillingsbruder verharrten sie. Raistlin und er waren mittlerweile hervorragend aufeinander eingespielt und ergänzten sich so gut, daß sie in vielen kritischen Situationen den jeweiligen Vorteil nutzen konnten. Der junge Krieger wünschte sich von ganzem Herzen, jetzt seinen Bruder an seiner Seite zu haben. Was würde Raistlin in diesem Fall tun?
Sarkis kehrte zurück und fuhr Dogz verächtlich an: »Pah, Dogz! Es ist richtig, daß Kender ehrlos sind, aber es ist doch bekannt, daß sie gegenüber gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Krankheiten immun sind. Genauso leicht könntest du dich bei einem Baumstumpf anstecken. Laß mich das erledigen, du abergläubischer Trottel!«
Tolpan gelang es, sich so zu verrenken, daß er sehen konnte, wie sich Sarkis mit ausgestreckten Riesenhänden über ihn beugte. »Du häßlicher, warziger, schweinemäuliger, matschfarbiger Kretin! Ich bin so ehrenhaft wie jeder andere – gut, vielleicht nicht gerade so ehrenhaft wie Sturm oder auch Caramon, der auf seine eigene, schlichte Art ehrenhaft ist – aber doppelt, zehnmal, hunderttausendmal ehrenhafter als solche wie ihr! Und sei gewarnt, daß ich dich mit jeder Krankheit anstecken könnte, die ich will, wenn es mir nur wichtig genug wäre… He, laß das! Hör auf damit! Das kitzelt! Hihi! Haha-hahaha!«
Der verrückte Kender redet sich um Kopf und Kragen, dachte Sturm. Von seiner Warte aus sah er, daß Sarkis Tolpans Päckchen und Beutel entdeckt hatte. Der Minotaurus grinste, worauf gelbe Zähne in seinem viehischen Gesicht zu sehen waren.
Sarkis stapfte zu seinem Stellvertreter und hielt dabei Tolpans Beutel hoch. Wild funkelte er seinen Untergebenen an.
»Und, was ist das?« fragte der gemaßregelte Dogz.
Die Menschen und die Oger kicherten, bis Sarkis sie mit einem Blick zum Schweigen brachte. Sarkis marschierte zu der Gestalt im Nebel zurück. Die Unterhaltung bestand aus weiterem Zischen und gedämpftem Grunzen. Dann kam er zu Dogz zurück.
»Er ist derjenige«, erklärte Sarkis.
Dogz wollte hingehen, aber Sarkis hielt ihn an der Schulter fest. »Du darfst ihm nichts tun! Nimm ihn und seine Beute mit!« Er gab ihm die Sachen des Kenders.
Dogz eilte zu Tolpan. Ein hoher, schriller Schrei gellte durch die Luft. Caramon und Sturm kämpften mit ihren Fesseln, doch sie konnten nichts tun.
Dogz kam mit Tolpan wieder hinter dem Mast hervor. Er hielt den quietschenden, schimpfenden Kender an seinem Haarknoten so weit wie möglich von sich ab. Es sah aus, als ob der riesige Minotaurus ein Kaninchen an den Ohren gepackt hatte, doch in diesem Fall spuckte das Kaninchen einen Strom von Verwünschungen aus.
»Autsch! Von allen – Du klumpfüßiger, knoblauchfressender Hohlkopf! Paß doch auf, was du – Autsch! Wo gehen wir denn – Autsch! Du übergroße, vertrottelte, milchlose Kuh! Autsch! Das sind meine Haare, an denen du ziehst! He, was ist denn mit Caramon und Sturm? Eeeyyy!«
Unter den Augen von Caramon und Sturm reichte der Minotaurus den strampelnden Kender an zwei Menschen weiter, die über die Reling kletterten und verschwanden, wahrscheinlich in ein unten liegendes Beiboot. Breit grinsend vor Zufriedenheit drehte sich Dogz zu Sarkis um.
Caramon hörte ein schlurfendes Geräusch und konnte vage erkennen, wie die verhüllte Gestalt sich über die Reling zurückzog, um dann vom Nebel verschluckt zu werden. Die anderen Menschen, Schwimmoger und Minotauren eilten hinterher.
Dogz trat vor und fragte drohend: »Was wird aus den beiden hier?«
Sarkis zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Die sind unwichtig. Werft sie über Bord und steckt das Schiff an.«
Die wenigen verbliebenen Menschen kamen näher. Einer von ihnen, ein Hüne von einem Mann mit rotem Bart und einer Seilnarbe am Hals, warf Dogz einen flehenden Blick zu. Dogz nickte ihm zu.
Die beiden Stiermenschen drehten sich um und verschwanden ebenfalls über die Seite des Schiffes.
Die Menschen umstellten Caramon und Sturm und verprügelten sie mit kurzen Keulen. Da Caramon sich nicht verteidigen konnte, versuchte er, seine Augen zu schützen, indem er sie fest zusammenpreßte. Neben ihm stöhnte Sturm, grunzte dann, als die ersten Schläge trafen, nahm aber dann die Prügel schweigend hin.
Der Mann mit der Seilnarbe begann gegen den Mast zu treten. Nach einigen Tritten brach er unten ab, und er und die anderen Menschen hoben ihn hoch und schleiften Sturm und Caramon zur Seite der Venora.
Überall hörte man, wie das Schiff leck geschlagen wurde. Dann ertönte ein Brausen und ein Windstoß fuhr über das Deck, und plötzlich schlugen die Flammen hoch.
Sturm und Caramon, die immer noch an das Maststück gefesselt waren, wurden in die Luft gehoben. Mit einem rauhen Singsang hoben die Männer die Gefangenen über die Reling und schwangen sie mehrmals wieder aufs Schiff zurück, ehe sie sie mit einem letzten Ruf fallen ließen. Sturm und Caramon und der Rest vom Mast flogen durch die Luft und platschten dann als wildes Knäuel ins Wasser.
Als Caramon ins Wasser klatschte, begann er zu kämpfen. Seine Arme schienen ganz an den Holzmast gebunden zu sein, und seine Hände waren stramm gefesselt. Schon ohne diese Hindernisse war Schwimmen nicht gerade Caramons stärkste Seite. Im Krystallmirsee wäre er vor ein paar Monaten fast ertrunken, wenn Sturm ihn nicht gerettet hätte. Seither hatte er ein paar bescheidene Züge geschafft, aber jetzt strampelte er um sein Leben.
So, wie sie im Wasser aufgekommen waren, wurde Sturm vom Mast kurz unter Wasser gedrückt und brauchte ein paar Momente, bis er an die Oberfläche kam. Keuchend versuchte Sturm, seine Arme loszuwinden, aber wie Caramon schaffte er es nicht. Mit den Beinen trat er kräftig nach unten. Zum Glück für die zwei hielt das Stück Holzmast sie an der Oberfläche.
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