»Das ist Tee«, unterbrach der Phaeton seine sich überschlagenden Gedanken. »Der wird dir helfen, unsere Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten.«
»Meine Güte«, sagte Tolpan, der aber doch etwas erleichtert war. »So etwas braucht ihr nicht, damit ich die Wahrheit sage. Ich erzähle euch gerne alles, was ihr wissen wollt.«
Der Phaeton runzelte die Stirn. »Trotzdem würden wir es vorziehen, wenn du den Tee trinkst. Er wird dir nichts tun« – er faßte seinen Stab fester – »ebensowenig wie wir, wenn du nichts zu verbergen hast.«
»Verbergen? Ich doch nicht«, sagte Tolpan. »Allerdings, einmal – ich trink’ ja schon«, sagte er eilig. Tolpan hob den warmen Becher hoch und nahm einen langen Zug von der dampfenden, blaßgrünen Flüssigkeit. Dann gingen seine Augenbrauen erstaunt hoch. Der Wahrheitstee war nicht annähernd so heiß, wie man vom Dampf her annehmen konnte, und er schmeckte ungefähr so, wie Gras wohl schmecken würde, wenn man es stundenlang vor sich hinköcheln lassen würde – stark, bitter, aber trotzdem erfrischend.
»Wer bist du, und woher kommst du?«
Aus reiner Neugier beschloß Tolpan, den Tee auf die Probe zu stellen, indem er eine Lüge erzählte. »Mein wahrer Name ist Lippenschmatzer Triefeimer – der andere ist nur ein Deckname.« Die Phaetone starrten ihn ungerührt an. »Ich bin der Kronprinz von Solamnia.« Immer noch keine Reaktion, weder von den Phaetonen, noch vom Tee.
Er schüttelte den Kopf. »Ich muß sagen, ich glaube nicht, daß dieser sogenannte ›Wahrheitstee‹ besonders gut wirkt«, gestand Tolpan. »Ich habe gerade ein paar faustdicke Lügen erzählt, und es ist nichts passiert – ich habe mich nicht verschluckt, und meine Nase ist auch nicht lang geworden wie in diesem Märchen.« Um Verwirrung zu vermeiden, entschied er sich für die Wahrheit.
»Ich bin nicht Lippenschmatzer Triefeimer«, bekannte er. »In Wirklichkeit bin ich Tolpan Barfuß. Und ich bin auch nicht mit der königlichen Familie von Solamnia verwandt, falls es eine gibt.« Nachdem er die Wahrheit gesagt hatte, fühlte sich der Kender irgendwie besser, auch wenn er nicht so recht wußte, weshalb.
Mit immer noch unbewegtem Gesicht zeigte der Phaetonenmann auf einen der Stühle am Feuer und wies Tolpan an, sich hinzusetzen, was der dankbar tat. Dem Kender kam es so vor, als wenn diese Phaetone die Angewohnheit hatten, ein bißchen zu viel zu starren, und das gab ihm das Gefühl, in Gefahr zu sein. Normalerweise gefiel ihm das, doch diesmal fühlte er sich dabei unbehaglich.
Der Phaetonenmann zog einen Stuhl vor Tolpan und sah dem Kender tief in die Augen. »Ich möchte wissen, warum du hier bist.«
»Tja, das wüßte ich selber gern«, erwiderte Tolpan. »Ihr habt mich schließlich hergebracht – wie wär’s, wenn ihr mich mal aufklärt?« Erwartungsvoll schaute er von einem Gesicht zum anderen, aber keiner schien ihm irgendwelche Erklärungen geben zu wollen. Das kleine Phaetonenmädchen kicherte, doch die Mutter brachte es mit einem strengen Blick zum Schweigen.
»Ich werde diese Frage noch mal stellen«, sagte der Mann. »Warum bist du in die Berge gekommen?«
Tolpan lächelte begreifend. »Ach, ihr meint nicht ›hier‹ hier, sondern ›hier‹ überhaupt. Das ist ein bißchen kompliziert, und ich sollte wirklich bald wieder bei meinen Freunden sein, darum werde ich es so kurz wie möglich machen.
Meine Freunde und ich – nämlich Tanis und Flint und Selana, bloß ist Selana nicht bei uns, weil sie hier irgendwo herumläuft und einen kahlköpfigen Zauberer mit einem Armband sucht –, aber zurück zu dem Armband, das Flint gemacht hat. Wir brauchen es für Selanas Bruder, bloß hat es der Zauberer genommen, wie ich schon sagte, und er will Rostrevors Seele Hiddukel vorwerfen – kann mir nicht vorstellen, wie das schmecken soll. Jedenfalls hat der Zauberer das Armband diesem Zombie abgenommen, bloß da war er noch kein Zombie, sondern nur ein Mann namens Delbridge, der nicht sehr ehrlich war – ›Dieb‹ wäre wohl das richtige Wort für ihn –, und der hat es von Gäsil, der ein ganz anständiger Kerl war, bloß würde ich ungern aus Versehen im Haus seiner Frau landen. Die scheint eine richtige Schreckschraube zu sein. Und der hatte es von mir, weil ich es zufällig hatte, nachdem wir das Gasthaus ›Zur Letzten Bleibe‹ verlassen hatten. Flint muß es wiederhaben, damit er es Selana geben kann, damit die es Semunel geben kann, weil der es braucht, weil er nicht die Zukunft vorhersehen kann.« Tolpan holte Luft. »So, ich glaube, das war’s so ungefähr.« Er schmatzte mit den Lippen und sah sich um. »Habt ihr noch mehr von dem Tee?«
»Nein!« sagte der Phaetonenmann schnell. Die beiden erwachsenen Phaetone beugten sich dicht zu dem weißhaarigen hin und berieten sich mit gedämpften Stimmen. Tolpan hörte sehr wenig, und was er aufschnappte, war in einer Sprache, die er nicht verstand.
»Du bist komisch«, sagte das kleine Mädchen zu Tolpan, zupfte an seiner Tunika und lächelte scheu.
»Oh, danke«, sagte Tolpan leicht verwirrt. Er erinnerte sich gar nicht daran, Witze erzählt zu haben. Aber wer wußte schon, was Phaetone zum Lachen brachte?
Er nickte zu den drei Erwachsenen hinüber. »Was reden sie da?«
Das kleine Mädchen zuckte mit den Schultern. »Sie überlegen, ob du am Leben bleiben darfst oder nicht.« Sie kam etwas näher und flüsterte: »Eindringlinge dürfen das normalerweise nicht, aber ich glaube, deine Chancen stehen besser als üblich.«
Tolpan schluckte langsam angesichts des hitzigen Disputs. Der weißhaarige Phaeton wirkte beunruhigt und schüttelte nach jeder Bemerkung der beiden anderen den Kopf. Sie schienen ihn von etwas überzeugen zu wollen. Schließlich schlug der jüngere Mann mit entschlossener Miene die Faust in die Handfläche. Der Alte schüttelte ein letztes Mal den Kopf und schaute aus dem Fenster, als ob er sich von aller Schuld freisprechen wollte. Der Jüngere drehte sich um und ging mit ebenso ungerührtem Gesicht wie zuvor zu Tolpan.
Er legte eine Hand auf seine Brust. »Ich bin Nanda Lokir, Oberhaupt unserer Siedlung. Das hier« – er zeigte auf den Weißhaarigen, – »ist Hoto Lokir-Ulth, in eurer Sprache mein Urgroßvater. Meine Frau und Beraterin, Cele Lokir, und unsere Tochter, Zeo.«
Tolpan nahm die Vorstellung als gutes Zeichen.
»Du bist ein sehr glücklicher Kender. Eigentlich richten wir jeden hin, der beim Verhör lügt.
Wir sind eine friedliebende Rasse, aber wir schätzen Ehrlichkeit und Zurückgezogenheit über alles. Die Wahrheit scheint dir wenig wert zu sein, und in Hotos Augen spricht das stark gegen dich, aber wir alle glauben, daß du und deine Freunde uns einen wichtigen Dienst erweisen können. Ich habe sie holen lassen, damit sie sich uns anschließen.«
Nanda ging zur Kochstelle. »Hast du vielleicht Hunger?«
Tolpan nickte eifrig. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er zum letzten Mal gegessen hatte. Bevor sie nach Tantallon gekommen waren? Als er mit Selana über den Markt gerannt war? Nandas Frau, Cele, öffnete einen kleinen Vorratsschrank links von dem Herd. Sie zog ein hölzernes Brettchen mit einem goldbraunen, knusprigen runden Brotlaib hervor. Dann reichte sie Nanda eine große Schüssel mit einer Art Suppe. Er stellte sie zum Erhitzen in die Kohlen. Aus einem anderen Schrank nahm sie ein Stück frischer, sahnig weißer Butter. Nachdem sie das Brot aufgeschnitten hatte, in das ganze, leckere Körner eingebacken waren, bestrich sie es mit Butter und gab dem Kender eine Scheibe. Der riß die Augen auf.
»Das ist köstlich!« murmelte er, während er sich einen großen Bissen in den Mund stopfte. »Aber wenn man so weit oben wohnt, wo bekommt man dann die frische Butter oder auch nur die Kuh für die Milch her?«
»Wir schlafen und kochen in unseren hohen Häusern«, erklärte Cele, »aber wir arbeiten unten im Tal. Wir wollen uns nicht mit anderen Kulturen vermischen, darum versorgen wir uns selbst und stellen keine Waren zum Handeln her. Wir bauen Getreide, Obst und Gemüse an, züchten Schafe und Ziegen und halten Hühner und Kaninchen, auch wenn Zeo dauernd Kuscheltiere aus ihnen machen will.« Cele lächelte ihre kleine Tochter liebevoll an und streichelte ihr die langen Locken.
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