»War es deins? Er hat gesagt, er durfte es setzen. Aber…«
»Doch, natürlich, es ist seins. Er ist der Schwertkämpfer, junge Dame, ich bin der Schütze. Wen ich etwas anderes brauche, habe ich meinen Dolch.« Tyorl lächelte. »Ich habe ihm das Messerwerfen beigebracht, und ich kann ihn immer noch darin schlagen. Das genügt mir.«
Unwillkürlich lächelte Kelida. »Dieses Schwert ist die halbe Stadt wert.«
»Es ist die ganze Stadt und noch zwei solche Städte wert. Ist er überhaupt nicht zurückgekommen?«
»Nein. Ich – ich habe das Schwert.« Sie hatte es in einen alten Mehlsack eingewickelt und hinter zwei alten Weinfässern im Lagerraum versteckt. Es war Tennys bester Wein, und aus diesen Fässern würde niemand außer ihm zu zapfen wagen. Heute abend hatte er keinen Grund gehabt, dorthin zu gehen. Sie hatte über das Schwert und den Wert, den das Gold und die Saphire darstellten, den ganzen Abend nachgedacht. Vielleicht konnte sie es verkaufen und Langenberg irgendwie verlassen, auch wenn sie keine Ahnung hatte, wohin sie sich wenden sollte.
»Soll ich es dir holen?«
Er runzelte die Stirn. »Du würdest es mir einfach geben?«
»Was soll ich damit?«
»Es verkaufen.«
Kelida schüttelte den Kopf. »Und was dann?«
»Ich weiß nicht. Hier weggehen.«
»Ich kann nirgends hin. Meine Familie – meine Familie ist tot. Niemand reist allein auf der Straße. Und wenn ich etwas Wertvolles bei mir hätte, würde ich das erst recht nicht tun.« Sie sah ihn forschend an. »Außerdem ist es das Schwert von deinem Freund. Warum willst du, daß ich es verkaufe?«
»Ich will nicht, daß du es verkaufst. Ich bin nur überrascht, daß du es nicht verkaufen willst. Auch gut. Früher oder später wird er es holen kommen.«
Kelida fing wieder an zu wischen. »Ich habe gesagt, er hat es mir geschenkt.«
Tyorl nickte. »Stimmt, unser Freund Hauk hat eine kleine Strafe verdient.« Er stieß sich lächelnd von der Theke ab. »Gib es ihm nicht ganz ohne Widerspruch zurück, Kleine. Laß ihn ein bißchen zappeln, ja?«
Kelida sagte nichts, sondern sah Tyorl hinterher, als er die Gaststube verließ und nach oben in sein Zimmer ging. Dann holte sie das sperrige Bündel mit dem Schwert in dem alten, braunen Sack hervor und brachte es in ihr kaltes, zugiges Dachzimmer oben in der Taverne.
Kelida fiel auf den Haufen aus Stroh und rauhen Wolldecken, der ihr als Bett diente. Sie wickelte das Schwert aus, zog es ein Stück weit aus der einfachen, schmucklosen Scheide und sah zu, wie das Gold und das Silber, die Saphire und der Stahl das schwache Licht der Sterne einfingen.
Hauk hatte all diesen Reichtum auf die Geschicklichkeit seiner Hand gesetzt! War er verrückt, oder hatte er einfach zuviel getrunken? Aufgrund seiner ledernen Jagdkleider und hohen Stiefel hielt sie ihn für einen Waldläufer.
Seine Stimme, befand sie, war eher daran gewöhnt, über eine gelungene Jagd zu jubeln oder einen Schlachtruf zu brüllen. Die leise Entschuldigung war ihm nicht leichtgefallen. Plötzlich merkte sie, daß sie sich auf den Morgen und Hauks Rückkehr wegen des Schwerts freute.
Dann fiel ihr ein, daß sie ja wütend auf ihn war. Eine kleine Strafe, hatte der Elf gesagt. Kelida lächelte. Sie fand, eine kleine Strafe stünde ihm zu.
An den Steinen klebte Blut, eine Spur der achthundert Menschen, die hier durchgezogen waren. Die Flüchtlinge schleppten sich taumelnd in einer langen Reihe dahin. Manche, die hinfielen, rafften sich selbst wieder auf die Beine. Andere lagen zitternd vor Kälte im roten Staub, bis alle an ihnen vorbei waren oder ihnen einer hochhalf. Wenn man ihnen half, dankten sie ihren Rettern, wenn sie das noch fertigbrachten. Wenn alle vorbeigingen, rappelten sie sich selbst wieder auf. Wenn nicht, waren sie tot.
Frauen mit Kindern am Rockzipfel und Babys an der Brust folgten ihren Männern. Hungrig, ewig hungrig suchten sie rastlos beiderseits der langen Reihe nach Anzeichen von etwas Eßbarem. Die Ebene war leer. Hier wuchs nichts, und das Wild war längst vor dem Heer der Flüchtlinge geflohen.
Hungrig. Immer waren sie hungrig.
Vor ihnen erhoben sich Berge, verschwanden unter ihren blutenden Füßen und erhoben sich erneut. Es waren die Blutberge, rot wie ihr Name, mitleidlose Anhöhen aus bitterem Stein und erstickendem Staub. Das Wasser hier war brackig und schmeckte faulig. Niemand hielt an, um eine Feldflasche zu füllen. Niemand blieb zurück, um seinen Durst zu stillen, der ebenso schlimm war wie der Hunger.
Kaum einer dachte darüber nach, ob Thorbardin ihr Zufluchtsort sein würde. Nur wenige konnten überhaupt noch darüber nachdenken, und niemand hatte die Kraft, zu überlegen, was mit ihnen geschehen würde, wenn die Zwerge ihnen kein Obdach gewähren würden.
Dann zwingen wir sie zum Zuhören, hatte Tanis gesagt.
Das reichte den Menschen, die nirgends anders hinkonnten.»Halt! Genug!« Gneiss’ Ruf nach Ordnung durchschnitt Ranzes Schimpftirade wie ein Blitz eine schwüle Sommernacht. Die Halle der Lehnsmänner war mit Wandteppichen geschmückt, von denen jeder eine Szene aus der Geschichte der Zwerge darstellte. Alle waren kunstvoll aus schimmerndem, satt gefärbtem Garn gewebt. Die Wandbehänge dämpften Gneiss’ tiefes Bellen kaum. Er versuchte, die Kopfschmerzen zu ignorieren, die hinter seinen Augen pochten.
Die Wandbehänge hatten noch nie die lautstarke Rage der Auseinandersetzungen gedämpft, die hier im Rat der Lehnsherren ausgetragen wurden. Gneiss wußte auch nicht, warum sie es jetzt tun sollten.
Fackeln in versilberten Halterungen flackerten wie bei einem Sturm. Schatten liefen die Säulen hinauf und verwoben sich mit der Dunkelheit der gewölbten Decke. Die sechs Zwerge, die sich zum Rat der Lehnsherren versammelt hatten, wurden still.
Hornfell, der Hylar und Sohn von Hochkönigen, wartete geduldig, daß Ruhe einkehrte. Realgar, der dunkeläugige Derro und Ränkeschmied mit seiner schwarzen Seele, belauerte Gneiss wie eine Schlange ihre Beute. Sein Verbündeter, Ranze, mit seinem unbändigen Temperament und den mörderischen Wutanfällen, stand stocksteif da. Er wartete nicht auf die Erlaubnis zu sprechen, sondern darauf, daß seine Wut sich genug abkühlte, damit er seine Tirade fortsetzen konnte. Tufa fuhr mit seiner Hand durch den roten Bart, in einer Weise, die nicht beleidigen, aber auch nicht ermutigen sollte. Er sah als erster beiseite. Der Gossenzwerg Bulp betrachtete die Innenseite seiner Augenlider und verschlief leise schnarchend selbst Ranzes Wutgedonner und Gneiss’ blitzartigen Schrei nach Ruhe.
Ranze, der Lehnsherr der Daergars, ballte die Fäuste. Sein Kiefer war hart wie Stein, und er war nicht so leicht zum Schweigen zu bringen. »Bei der Schmiede der Götter, das ist zuviel! Achthundert?« Seine Stimme fiel gefährlich tief. »Ich sage nein. Sollen wir jeden Strolch willkommen heißen, der es bis zu unseren Toren schafft? Nein.« Er schnaubte verächtlich und ablehnend. »Als nächstes bittet ihr noch darum, daß wir die Hügelzwerge einladen.«
Alle Augen wanderten zu Gneiss, der bis jetzt geschwiegen hatte. Gneiss lächelte nicht, obwohl er das hätte tun können. Er war stolz auf seine Selbstbeherrschung. Dann schaute er zu Tufa, dem Lehnsherr der Klar und Herrscher über den einzigen Clan von Hügelzwergen, der heute noch in Thorbardin lebte. Ranzes verächtliche Bemerkung sprach für sich selbst. Tufas normalerweise milde, geduldige Augen wurden hart.
Da ist einer, dachte Gneiss, der bald in Hornfells Lager wechselt.
Hornfell wußte das und lächelte. Genau, dachte Gneiss, lächele nur in deinen Bart hinein, mein Freund. Du weißt, daß Tufa jetzt auf deiner Seite steht.
Seufzend trommelte Gneiss mit den Fingern auf der breiten Marmorlehne seines Throns. Bulp von den Aghar würde ebenfalls wie Hornfell stimmen. Das tat er immer, wenn er wach war. Der Gossenzwerg war eine mehr als mitleiderregende, zu nichts taugliche Gestalt, aber Gneiss war sicher, daß Hornfell nicht verächtlich auf irgendeine Unterstützung bei seiner Bitte, den Menschen aus der Außenwelt Zuflucht zu gewähren, verzichten würde. Nicht einmal die eines kastenlosen Gossenzwergs.
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