Kiv sah über seine Schulter, rutschte weiter in seinem knarrenden Stuhl zurück und schloß die Augen. »Das Ziel ist das Mädchen«, sagte er weich.
Hauk setzte einen gespielt amüsierten Ausdruck auf und kratzte sich am Bart. »Er meint ihr Tablett, nicht wahr, Tyorl?«
Einen Augenblick lang glaubte Tyorl ganz und gar nicht, daß Kiv das Tablett meinte. Er nahm einen langen, gelassenen Schluck und setzte den Krug dann wieder auf den Tisch. Als ob er über Hauks Frage nachdächte, blickte er von dem Mädchen, das schon halb an der Theke war, zu Hauks Dolch auf dem Tisch. Auf der Klinge glitzerte verschüttetes Bier.
»Natürlich meint er das Tablett.« Tyorl zog seinen eigenen Dolch aus der Scheide. »Oder, Kiv?«
Kiv hielt die Augen geschlossen. Er grinste das faule, gefährliche Grinsen einer Katze. »Natürlich. Das Tablett. Genau in die Mitte, sonst gilt der Treffer nicht.«
Der Mann, der gegen den Einsatz seiner Börse gewesen war, lachte nervös. »Keine Punkte, wenn die Kleine getroffen wird?«
Auf der Kante von Tyorls Dolch tanzte das Licht des Feuers. Kiv öffnete die Augen, sah das Schwert und zuckte mit den Schultern. »Kein einziger«, sagte er nachdrücklich.
Jetzt war der Raum still, bis auf die leisen Schritte des Mädchens, das zur Theke lief. Niemand bewegte sich. Langsam drehte es sich um, das hölzerne Tablett in der Hand, weil es plötzlich merkte, daß alle es anschauten.
Als Hauks Finger sich um den Griff seines Dolches schlossen, waren seine Augen so hart wie die blauen Saphire seines Schwertes. Tyorl konnte ihn fast denken hören: Schlechte Wette! Aber er würde sich nicht herausreden.
Tyorl fluchte in sich hinein. Den eigenen Dolch immer noch in der Rechten, griff er sich mit der Linken einen Bierkrug und warf damit.
»Mädchen! Runter!«
Die grünen Augen weit aufgerissen, duckte sich das Schankmädchen und hob dabei das Tablett über den Kopf, um den Krug abzuwehren. Hauks Dolch zischte durch die Luft, ein silberner Blitz, dem das Auge nicht zu folgen vermochte.
Das Mädchen schrie, jemand brach in atemlosen, besoffenen Jubel aus, und dann waren die einzigen Geräusche das dumpfe Eindringen des Stahls in das Holz und das entsetzte Schluchzen des Schankmädchens. Dieses Schluchzen hing einen Augenblick in der Luft, bis es unter hochschlagendem Stimmengewirr und dem Knall eines umfallenden Stuhls verschwand. Einer der Männer aus der Stadt vom Nachbartisch lief zu dem Mädchen. Es war ohnmächtig geworden.
Das Serviertablett lag ebenfalls auf dem Boden. Genau in seiner Mitte zitterte Hauks Dolch.
Einer der Zwerge am anderen Ende der Taverne, ein Einäugiger mit schmalem Gesicht, stand auf und verließ die Wirtsstube. Frische, kalte Luft wehte in die Taverne. Der blaue Rauch des Kaminfeuers tanzte, um sich dann zu beruhigen, als die Tür sich hinter ihm schloß.
Tyorl bemerkte die Bewegung. Sein Freund raffte sich auf und schob das Schwert in die Scheide. Das Gesicht über dem kurzen, schwarzen Bart war erbleicht. »Genau in die Mitte, Kiv.«
Kiv schloß wieder die Augen. Er wollte nicht hinsehen. Eine leise Röte zog sich über sein Gesicht.
Tyorl schnappte sich die drei Geldbeutel vom Tisch. »Geh und entschuldige dich bei dem Mädchen, Hauk. Unsere Freunde wollen sich jetzt verabschieden.«
Kiv schüttelte den Kopf. »Ich kann nirgends hin.«
»Dann such dir einen Platz.« Tyorls Daumen fuhr am Heft seines Dolches entlang. »Du hast heute nacht genug getrunken und gespielt. Deine Taschen sind leer.«
Kiv sah von Tyorls Dolch zu Hauks Hand, die auf dem Heft seines eingesteckten Schwertes lag. Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, weil seine Freunde aufstanden.
»Na los«, sagte einer verdrießlich, »du hast unser Geld verspielt, Kiv. Laß uns wenigstens unsere Köpfe, ja?«
Kiv leckte sich über die Lippen und holte vorsichtig Luft. »Ich finde, man hat uns übers Ohr gehauen. Du hast dich eingemischt, Elf.«
»Nein«, sagte Tyorl einfach.
Zwischen Hauks Fingern strahlten Saphire wie kalte, blaue Augen. Kiv machte einen Schritt vor, aber die Hand seines Kumpels fiel ihm hart auf die Schulter und hielt ihn fest.
»Komm schon, Kiv. Gib’s auf.«
Tyorl lächelte.
Der große Mann kam mit einem Ruck auf die Beine, stieß den Stuhl hinter sich weg und zog von dannen. Hauk ließ sein Schwert los und ging durch den Raum, um seinen Dolch zurückzuholen.
Tyorl lehnte sich wieder an die Wand. Er konnte es kaum erwarten, Langenberg hinter sich zu lassen.
Der schale Geruch von verschüttetem Bier mischte sich mit dem sauren Gestank ungewaschener Spüllappen. Im Nebenraum hockte Kelida mit klappernden Zähnen und schluckte heftig. Sie schloß die Augen und sah wieder das Licht des Feuers über die Dolchklinge flackern.
Sie hörte ein Stöhnen, das sie als ihr eigenes erkannte. Er hätte sie fast umgebracht! Draußen in der Gaststube wurde wieder in normaler Lautstärke geredet. Tenny, der Wirt, gab dem Putzjungen eine kurze Anweisung. Aus dem Faß an der Tür ergoß sich Bier in einen Krug.
Sie arbeitete erst zwei Wochen in der Taverne, aber das erste, was sie gelernt hatte, war, einem Dolch aus dem Weg zu gehen. Tenny bewunderte diesen Sport und machte sich nichts daraus, daß seine Wand als Ziel diente. Er schien sich auch nichts daraus zu machen, daß gerade eben seine Kellnerin das Ziel gewesen war.
Allmählich kehrte ihr Bewußtsein zurück. Jemand hatte sie aufgerichtet und ihr Wasser ins Gesicht gespritzt. Dann hörte sie Schritte hinter sich. Sie drehte sich um. Es war der junge Messerwerfer.
Sein Dolch steckte wieder in seinem Gürtel. Das Gesicht unter der gebräunten Haut war grau, als er sich neben sie hockte, und Kelida merkte, daß er schwitzte.
»Es tut mir leid«, sagte er. Seine Stimme war tief, und als er versuchte, leise zu sprechen, brach sie leicht.
»Du hast mein Leben aufs Spiel gesetzt«, klagte sie ihn an.
Er nickte. »Ich weiß.«
Als er seine große, schwielige Hand ausstreckte, zuckte Kelida zurück. Er war wie ein Bär: untersetzt, mit breiten Schultern und einem schwarzen Bart. Nur seine Augen waren nicht bärenähnlich; sie waren blau. Als ihr plötzlich bewußt wurde, daß er zwischen ihr und der Tür zum Schankraum stand, wandte sie den Blick nicht mehr von ihm ab. Er las die Wut auf ihrem Gesicht und sprang auf. Dann trat er zurück, um ihr den Weg zur Tür freizumachen.
»Es tut mir leid«, wiederholte er.
Kelida wollte zur Tür. »Laß mich bloß in Ruhe!«
»Es ist vorbei«, sagte er. Dann lächelte er, und seine Lippen verzogen sich selbstverächtlich. »Es tat mir schon leid, als der Dolch losflog.«
Ohne nachzudenken, baute sich Kelida mit geballten Fäusten vor ihm auf. »Würde es dir noch mehr leid tun, wenn ich tot wäre?«
Er wich nicht aus. »Aber ich hatte nicht vor, daneben – «
»Du hast mit meinem Leben gespielt!« Auf einmal glühte sie vor Zorn und Wut. Kratzend und tretend stürzte sie sich auf ihn. Sie fuhr ihm mit den Fingernägeln durchs Gesicht. Bis er ihre Handgelenke mit seiner einen großen Hand gepackt hatte, sah sie bereits Blut aus den Kratzern über seinem Bart quellen. Er hielt ihre Hände hoch und von seinem Gesicht fern. Sie spuckte ihm in die Augen.
Mit der Rückseite seiner freien Hand wischte er sich das Gesicht ab und zog sein Schwert. In diesem Moment sah Kelida seine blauen Augen sehr deutlich. Er zögerte und ließ dann plötzlich ihre Hände los.
»Es tut mir leid. Ich habe wirklich dein Leben aufs Spiel gesetzt.« Er wog das Schwert in seinen beiden, offenen Händen und hielt es ihr wie anbietend hin. Die Saphire auf dem Griff sogen alles Licht in dem düsteren Lagerraum in sich auf und ließen die Steine wie Zwielicht schimmern. Ein dünner, roter Streifen zog sich durch den scharfen, blauen Stahl, als wäre er die Seele der Klinge.
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