Wie das Rascheln dürrer Blätter im Herbst klang es, als die Schlangen über das Kopfsteinpflaster glitten, mit gähnenden Rachen und spitzen Giftzähnen. Verzweifelt schrie der Reiter, als das Pferd ihn in panischer Angst abwarf.
Es war schnell vorbei. Tot blieb der Mann auf der Straße liegen, und die Schlangen und Echsen krochen über ihn hinweg. Wiehernd galoppierte das Pferd davon.
Ilura und ihre mächtige Schar drangen weiter vor und ließen Tod und Grauen in der Dunkelheit zurück. Sie hatten jetzt nur noch die halbe Stadt zwischen sich und dem Palast.
Rasch drückte einer von Sonjas Männern dem Mädchen die Hand auf den Mund und die Spitze seines Kurzschwerts an die Kehle. Verstört versuchte sie sich zu befreien, doch dann erschlaffte sie halb besinnungslos in seinem Griff.
Sonja ging auf das Mädchen zu und blickte in die weit aufgerissenen Augen. »Sie ist nur eine Dienerin«, sagte sie. »Nimm das Schwert weg.«
Der Soldat gehorchte.
»Versprichst du, nicht zu schreien, dann nimmt er auch die Hand von, deinem Mund«, wandte Sonja sich an das Mädchen.
Die Dienerin nickte heftig.
»Also, lass sie los!«
Das Mädchen wäre fast gefallen, doch Sonja und der Soldat stützten sie schnell. In diesem Augenblick rief Kiros: »Endi! Endi!«
»Kiros?« hauchte das Mädchen. »Kiros?«
»Ihr kennt euch?« fragte Sonja erstaunt.
»Sie ist eine von Yarises Leibmägden«, antwortete Kiros. Dann wandte er sich an das Mädchen. »Endi, wir waren im Verlies gefangen. Wir entkamen. Du darfst nicht bei uns gesehen werden!«
»Wir befreiten sie heute Nachmittag«, sagte Sonja nun. »Hör zu, Endi, weiß jemand von der Flucht der Gefangenen?«
Endi schüttelte den Kopf. »Ich habe nichts gehört. Was habt ihr vor?«
»Wir werden Du-jum töten.«
Das schien Endi nicht zu überraschen. Ein Schatten flog über ihr Gesicht. Düster erkundigte sie sich: »Yarise ebenfalls?«
»Yarise? Wieso fragst du das?« sagte Sonja scharf.
Nun zitterte Endis Stimme. »Sie ist eine Hexe. Sie tut mir weh. Sie tut allen weh!«
»Wir wollen nur Du-jum.«
»Dann gebt mir ein Schwert … oder ein Messer! Ich werde Yarise töten …«
»Sonja!« rief der Soldat an der Tür leise.
Sie eilte zu ihm. Im Thronsaal wurde soeben Du-jum jubelnd begrüßt.
»Es geht los, Sonja!«
»Psst!« Sonja drehte sich zu Endi um. »Bleib einstweilen hier, Mädchen. Und wenn der Kampf begonnen hat, läufst du am besten hinaus auf die Straße. Nur sieh zu, dass du von hier verschwindest, wenn dir dein Leben lieb ist.«
Sie drängten sich jetzt an die Tür. Sonja streckte den Kopf hinaus, dann huschte sie über den Korridor und drückte sich an die Wand. Andere folgten ihr. Langsam machten sie sich daran, den Gang entlangzuschleichen, auf die Galerie um den Thronsaal zu.
Kiros schaute über die Schulter noch einmal zu Endi,: dann hielt er an und eilte zu ihr zurück.
»Ich bin jetzt ein Rebell, Endi – ich kämpfe für Omeron. Ich war gefangen im Verlies – die Rothaarige und ein paar andere befreiten mich. Bist du immer noch Yarises Leibmagd?«
Mit verzerrtem Gesicht nickte sie.
»Zu schade, dass wir einander nicht besser kennen gelernt haben – vor all dem jetzt.«
Traurig lächelte Endi ihn an. »Gib mir ein Messer.«
»Lieber nicht.«
Mit Tränen in den Augen bat sie: »Dann … gib mir einen Kuss.«
Er küsste sie sanft.
»Viel besser als Yarises Küsse …« ‚ murmelte das Mädchen.
Entsetzt starrte Kiros sie an und zog ein Messer aus seinem Gürtel. »Es muss wohl sein. Hier nimm es zu deinem Schutz. Aber glaub nicht, dass du unbedingt jemanden damit töten musst! Lauf so schnell du kannst, und sieh zu, dass du aus dem Palast bist, ehe der Kampf hier beginnt. Versprichst du mir das?«
»Komm schon, Kiros!« rief einer der ehemaligen Gefangenen. »Du bist der letzte!«
Kiros gab dem Mädchen schnell noch einen Kuss, dann eilte er den anderen nach.
Sonja, die den anderen vorausschlich, kam zu einer Ecke und spähte vorsichtig herum. Ein Zugang zur Galerie wurde von mehreren Soldaten bewacht, die alle Richtung Saal blickten.
Sonja holte tief Luft. »Beeilt euch!« mahnte sie ihre Leute. »Und betet zu Mitra, dass zumindest einige der anderen rechtzeitig kommen. Wo ist denn der Zauberer Elath? Vielleicht kann er voraussehen …«
Sie hielt inne, denn sie stellte nun fest, dass der Zauberer nicht mehr unter ihnen war. Offenbar hatten auch die anderen nicht bemerkt, wann er sich zurückgezogen hatte, denn sie schauten sich genauso verwirrt um wie sie. Wie lange war Elath schon verschwunden?
Ihre Überlegungen wurden von Begeisterungsrufen aus dem Thronsaal unterbrochen, denen plötzliche Schreie folgten, dann das Klirren von Klingen, ein Poltern umkippender Tische und Du-jums donnernde Stimme.
»Kommt!« befahl Sonja und stürmte schon mit gezogenem Schwert um die Ecke.
Es gibt mehr Möglichkeiten zu sterben als zu leben.
Wie nie zuvor erkannte Omeron die Wahrheit dieses alten Sprichworts – nun, da Du-jum eine kurze Ansprache vor seinen Gästen gehalten hatte und sich jetzt zu ihm umdrehte, ihm in die Augen blickte und eine Hand zur ersten magischen Marter hob.
Die Zeit verlangsamte sich. Verzweifelt wehrte Omeron sich gegen seine Bande, wappnete sich gegen die bevorstehenden, unausweichlichen Schmerzen. Du-jum lächelte.
Da gellte ein Schrei vom Haupteingang – der. Todesschrei eines Wächters. Ihm folgten wilde Kampfrufe, als Bewaffnete in den Saal stürmten.
Weitere Schreie schrillten, dann flog etwas durch den Saal und verfehlte Du-jum nur knapp: ein Speer, der klappernd auf dem Boden aufschlug.
Omeron blickte hoch, gerade als einer von Du-jums Leuten gellend von der hohen Galerie stürzte und auf einem Tisch landete, der unter der Wucht zersplitterte. Die dort sitzenden Edlen sprangen rückwärts auf, prallten dabei gegen ihre Diener, und alle fielen zu einem wirren, strampelnden und zappelnden Haufen.
»Zurück!« rief Yarise vom Thronpodest. »Oder ich töte euch alle durch Zauber!«
Doch dann taumelte sie, als ein Wurfgeschoß sie am Kopf traf und Blut über ihre Stirn rann. Wimmernd stolperte sie die Podeststufen hinunter und rannte zu einem Ausgang.
Die sechs Zauberer drückten sich sofort an die Wand und schützten sich mit einem magischen Schirm. Geschosse prallten dagegen, ohne ihnen etwas anhaben zu können.
»Kommt! Auf sie!«
Der Ruf kam von oben. Omeron drehte den Kopf und sah die rothaarige Kriegerin durch einen größeren Trupp Wachen am Kopfende der Treppe zur Galerie stürmen – und ihr folgte eine brüllende Flut Gerüsteter mit grimmigen Gesichtern und allen möglichen Waffen.
Da stürzte ein zweiter Trupp durch eine Nebentür in den Saal, und der Tumult wurde noch größer. Weitere Du-jum-Soldaten fielen über die Galeriebrüstung herab auf die Tische. Blut floss, Stahl klirrte laut, und Schreie schrillten, während der Kampf hasserfüllt tobte.
Die Edlen zogen ihre verborgenen Klingen und schlossen sich Omerons Leuten an. Des Hexers Männer wichen im Schock zu den Wänden zurück.
Du-jum wandte sich wild an Omeron. »Das ist dein Werk!« brüllte er, und die gelben Augen blitzten vor Wut. Er hob die Hand zu einem Zauberangriff.
Doch ehe er seine Gebärde vollendet hatte, bohrte sich eine Klinge in seinen Unterarm. Du-jum zischte, funkelte den Edlen an, der das Messer geworfen hatte, dann zog er es ohne das geringste Anzeichen von Schmerz aus dem Arm und schleuderte es zurück. Es grub sich in die Stirn des Edlen.
»Sie werden nicht gewinnen!« rief Du-jum Omeron zu, doch dann wurde er von der wilden Menge der Kämpfenden zurückgedrängt.
Sonja, die sich in der vordersten Reihe des Gemenges befand, sah, wie Omeron sich in seinen Fesseln am Rad wand, und rief seinen Namen, dann kämpfte sie sich einen Weg frei und rannte auf ihn zu. Ein Du-jum-Mann hieb mit der Axt nach ihr, dass Sonja sich nur noch retten konnte, indem sie sich auf den Boden fallen ließ. Im Vorbeischlittern schwang sie ihre Klinge hoch und traf den Soldaten mit einem tödlichen Streich. Nun sprang sie auf und stürmte zu Omeron.
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