Schließlich kehrte er in den Palast zurück, bereit für ein Mahl, etwas Wein und ein eingehendes Gespräch mit den sieben jungen Zauberern. Unterwegs überlegte er, ob er sie gleich töten sollte, als Vorsichtsmaßnahme, aber auch um seine Macht zu erproben, oder ob er sie lieber in seine Dienste für mögliche spätere Verwendung nehmen sollte. Er war noch zu keiner Entscheidung gekommen, als er im Palast angelangte.
Inzwischen wuschen sich die sieben, denen die Diener mitgeteilt hatten, dass das Mahl im Speisesaal serviert würde, kleideten sich an und sprachen miteinander.
»Du-jum«, sagte Elath mit schwermütiger Stimme, »ist unser Feind. Ich spüre es.«
»Noch nicht«, widersprach Aspre. »Er könnte es werden, wenn wir uns unklug verhalten. Aber er ist es nicht, noch nicht. Unser wahrscheinlichster Gegner ist Prinzessin Yarise.«
Menth, der jüngste, schnaufte spöttisch. »Na und? Sie ist bloß eine Frau, und eine törichte noch dazu. Ihre Zauberei vermag weder Du-jum zu helfen, noch uns zu schaden. Sie gibt sich mit Räucherwerk- und Parfümöl-Beschwörungen ab, versteht sich jedoch auf nichts annähernd so Wirksames wie unsere Sternenzauber.«
Aspre bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Hüte dich, Menth; und dasselbe gilt für euch alle. Unterschätzt nie eine Frau als Feindin, und schon gar keine, die so anziehend wie Yarise ist. Ihre Macht über Du-jum überwiegt möglicherweise all unsere Zauberkünste.«
Als alle darüber nachdachten, fügte Aspre hinzu: »Ich glaube nicht, dass Du-jum sich von irgend jemand beeinflussen oder besitzen lässt. Aber ich fürchte, Yarise bildet sich das ein. Sie vermeint, mit ihrer Leidenschaft und dem Versprechen ihres Körpers Macht über ihn bekommen zu können, und es wäre möglich, dass sie Angst hat, wir könnten uns mit Du-jum gegen sie zusammentun. Deshalb mag sie uns sehr gefährlich werden. Wenn es um Stolz, Hass und Ehrgeiz geht, erweist sich als wahr, was im Weggefährten steht: ›Im Stolz ist keine Gerechtigkeit. Vertrau keinen Versprechen, und trau keinen, die nach Macht dürsten. Ihnen schließt der Verrat eine Faust und blendet ihnen ein Auge. Ihre Zunge wird zum Dolch, ihre Versprechen zerfallen zu Asche.‹ Er hob die Arme, starrte auf die Handflächen, dann presste er sie zusammen und murmelte ein Schutzgebet.
Dienerinnen klopften an Yarises Tür, traten jedoch nicht ein; das hätten sie nie gewagt. Yarise lag auf ihrem Bett. Sie kicherte und seufzte, strich über ihren nackten Körper und räkelte sich sinnlich. Dann nahm sie Endis blondes Haar zwischen die Finger, zog den Kopf des Mädchens heran und drückte ihr einen langen, nassen Kuss auf die Lippen.
»Du hast es gut gemacht, Endi«, lobte sie schließlich.
»So seid Ihr zufrieden mit mir?« Das Mädchen zitterte. Sie wischte sich die Lippen ab und drehte sich hastig um, um ihren Ekel zu verbergen.
»O ja, durchaus. Hast du noch Angst?«
»Ich werde immer Angst haben.«
»Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Vielleicht solltest du mich lehren, Angst zu haben, Endi.«
Endi setzte sich auf. Sie spürte einen eisigen Schauder und fühlte sich übel.
»Ist Angst etwas, das man lernen oder lehren kann, Endi? Was meinst du?«
»Verzeiht, wenn ich es sage, Herrin – ich glaube nicht, dass das eine oder andere möglich ist.«
»Vielleicht hast du recht«, sagte Yarise ruhig. »Vielleicht habe ich alle Furcht, die mir im Leben beschieden war, bereits hinter mir. Nun, ich habe mich damit abgefunden, nur noch töricht, besorgt, ja eventuell sogar verzweifelt zu sein – aber keine Angst zu haben.« Lächelnd setzte sie sich auf. Doch dann, in einem plötzlichen Stimmungswandel, warf sie das dunkle Haar zurück und befahl scharf: »Hol mir mein Gewand und meine Duftstoffe, Endi. Ich muss in den Speisesaal gehen.«
Es war dunkel. Omeron hatte den Weg ausgewählt, der in eine schmale Gasse führte. Einer nach dem anderen kletterten seine Leute heraus, heimlich und verstohlen wie Verbrecher und Feinde und Halunken. Alles erschien ihnen fremd, als sie zur nächsten Straße schlichen, so vertraut ihnen hier noch vor einer Woche alles gewesen war. Nun schienen Qualen, Verrat und Zauberei geradezu spürbar in der Luft zu hängen. Omeron hatte Sadhur angewiesen: »Geh du mit der Hälfte der Männer nordwärts, während ich die andere Hälfte südwärts mitnehme.«
Sie hatten sich die Hände geschüttelt und sich versprochen, ihr Bestes zu tun, noch ein Gebet gemurmelt – und sich getrennt.
Sofort teilte Sadhur seine Männer in Dreier- und Vierergruppen auf. »Kurz vor dem Morgengrauen treffen wir uns alle wieder hier«, sagte er zu ihnen. »Auch Lord Omeron wird hierher zurückkehren. Passt gut auf euch auf, lasst euch, nicht umbringen, und tötet niemanden, außer es ist unumgänglich. Wohin ihr auch geht, lauscht achtsam, überlegt gut und seid nicht voreilig im Handeln oder Sprechen. Wir suchen Widerstandskämpfer! Es muss ihrer viele geben, die sich nichts sehnlicher wünschen, als eine Gelegenheit zu kämpfen. Aber zeigt ihnen den Erkennungsgruß nur, wenn ihr ganz sicher seid, dass sie sich uns anschließen, und wenn ihr von ihrem Mut und ihrer Treue überzeugt seid.«
Dann brach Sadhur allein und voll innerem Grimm auf; er wollte niemanden bei sich haben. Sein Grimm vermischte sich mit wilder Begeisterung. Jetzt war die Zeit der Vergeltung, der Rache; die Zeit, alles rückgängig zu machen, was geschehen war; die Zeit, jene zu vernichten, die Vernichtung verursacht hatten.
Leicht vornübergebeugt, das Schwert unter dem langen Umhang verborgen, schritt er an Soldaten vorbei und tat, als habe er ein festes Ziel, genau wie die anderen Bürger, die er stumm durch die Straßen hasten sah. Überall auf den fackelbeschienenen Straßen standen Wächter, auch hinter Fenstern und auf den Dächern. Die meisten wären Schwarze: barbarische Krieger aus Kush, Keshan und Darfar, und zwischendurch ein Söldner mit hellerer Haut aus Stygien oder Iranistan.
Sadhur kam an Geschäften vorbei, aus denen man Freudenhäuser gemacht hatte, Banken, die zu Stallungen geworden waren, Bibliotheken, in denen nun Bier und Wein flossen. An Häuserwänden waren mit Blut fremdartige, magische Zeichen gemalt. Manche waren mit Kohle durchgestrichen und darunter oder darüber trutzige Herausforderungen gekritzelt, wie: »Tod dem Hexer Du-jum!« »Die Rache der Götter auf Du-jum!« Und häufiger als alles andere: »Omero dafu! « – »Omeron lebt!«
Er kam an vier oder fünf Wächtern an einer Straßenecke vorbei, die um eine junge Frau herumstanden und auf sie einredeten. Einer strich ihr über das Haar, und sie wimmerte. Sadhur sah stumm zu, während er vorüberging, aber, er musste heftig dagegen ankämpfen, nicht das Schwert zu ziehen und den Männern eine Lehre zu erteilen. Das Mädchen schrie auf, als ein Soldat sie in die Knie zwang. Dann trat ein anderer heran und schlug ihr die Hand ins Gesicht.
Sadhur nutzte die Gelegenheit. Dermaßen abgelenkt, sahen die Soldaten nicht, wie er in eine Gasse einbog. Erst als er sich in ihrer Dunkelheit unbemerkt fühlte, blieb er kurz stehen und schaute sich um, so gut es ging. Dann eilte er fast lautlos weiter. Er kam an einer niedrigen Tür vorbei und kurz danach zu einem vergitterten, aber offenen Fenster. Licht fiel aus ihm auf die Gasse und erhellte bis zur Hälfte die gegenüberliegende Hauswand. Als Sadhur näher kam, quiekten Ratten in einem Abfallhaufen und huschten hastig fort. Außerhalb des Lichtscheins blieb er stehen und blickte den schattenhaft zu sehenden Nagern nach.
Aus dem offenen Fenster hörte er Gesprächsfetzen.
»… wenn wir wirklich glaubten, dass du eine Verschwörung gegen Du-jum planst, Kiros?«
Sadhur horchte auf.
Die hörbar nervöse Stimme eines jungen Mannes antwortete: »Ich weiß nicht … Aber Sirt, es ist ja ohnehin Unsinn, da wir doch nur den Fall setzen …«
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