Sonja schluckte.
Der Mond verbarg’ sich wieder hinter Wolken.
Etwas – ein Fisch, ein Vogel oder eine Schlange – platschte im dunklen Teich. Und während Sonja beunruhigt die nackte Frau am Ufer beobachtete, erklang zischelnd Iluras Stimme: »Ssssonjaaa …«
Das Zischen einer Schlange. Sonja rührte sich nicht.
»Ssssonja … Hab keine Angst. Ich bin verwundet.«
Schweiß rann Sonja über Hals und Bauch und juckte unter ihrer Rüstung.
»Bitte … Ich kann dir nichtsss tun. Ich würde essss auch nicht.«
Sonja ging durch den Schlamm, während der Mond abwechselnd schien und sich verbarg. Sie kämpfte gegen ihren tiefen Instinkt an, dieses nichtmenschliche Wesen mit dem Schwert anzugreifen.
Unsicher, mit verzogenem Gesicht, beugte sie sich über Ilura.
Die Zauberin keuchte schwer. Ihr nackter schlanker Körper schimmerte gespenstisch bleich auf dem dunklen Uferschlamm. »Es – es wird mir bald wieder besser gehen. Bitte, hab’ keine Angst vor mir. Was ich tat, tat ich … um gegen Du-jum zu kämpfen. Es war notwendig … um ihn zu hindern …«
Sonja starrte sie an. »Du … du warst die … Schlange?«
Ilura lachte mühsam. »Ja. Ja.«
»Du bist eine Zauberin und verwandelst dich in eine Schlange?«
»Es ist ein … Trugbild, auf gewisse Weise. Und doch …«
Ilura hörte zu sprechen auf. Sie begann tiefer zu atmen, und nach einer kurzen Weile war sie kräftig genug, sich auf einen Arm gestützt aufzusetzen. Sie blickte Sonja fest in die Augen.
Sonja sah die dunklen Blutergüsse an Iluras Beinen, Hüften, Armen und Brüsten. Stammten sie von den Krallen des Riesenvogels?
. »Verrat mein Geheimnis nicht, Sonja.« Iluras Stimme klang flehend. »So sehr du auch Zauberei verabscheust, hasse Du-jum, nicht mich.«
»Und warum sollte ich dich nicht hassen?«
»Sagtest du nicht selbst, du schuldest mir Dank? Und Omeron … auch ihm habe ich geholfen. Glaubst du da wirklich, dass alle Zauberei böse ist?«
Sonja antwortete nicht.
»Sind alle Schwerter böse, Rote Sonja von Hyrkanien? Oder ist es nicht eher so, dass das Böse in dem Menschen ist, der die Klinge führt?«
Immer noch schwieg Sonja. Sie zauderte vor einem Zugeständnis. Ilura sagte kehlig und nun völlig menschlich, ohne jegliches Zischeln: »Hüte mein Geheimnis, Sonja, dann werde ich dir alles erzählen.«
»Das ganze Geheimnis?«
»Meine Schlangengestalt ist lediglich Teil meiner Zauberei. Ich wurde von jenen, die mich schickten, mit starken Kräften ausgerüstet, auch verfüge ich über vererbte Magie, derer ich mich bedienen muss, um eine alte Rechnung zu begleichen. Mein Tempel hat mich geschickt, damit ich Du-jum stelle, damit ich Vergeltung an ihm übe, so gut ich es kann. Ich bin ein Schatten aus der Vergangenheit. Ein Schatten, der auf Du-jums Seele fällt, und ich weiß, dass er ihn jetzt spürt.«
Unwillkürlich beugte Sonja sich näher. »Warum, Ilura? Warum?«
»Du-jum … Du-jum, Rote Sonja, ist mein Vater.«
Der Mond trat bereits seinen Abstieg am Himmel an, als Sonja Ilura verließ, damit sie sich am Ufer des dunklen Teichs ungestört ausruhen und ihren Überlegungen nachhängen konnte.
Sonja eilte durch den Wald, verärgert über ihre Ängste, verwirrt, aber nun fest entschlossen, ihren Plan durchzuführen, nun, da sie die ganze Geschichte kannte, oder zumindest Iluras Version.
»Mein Vater war ein Sterblicher«, hatte Ilura ihr erzählt. »Doch meine Mutter gehörte zu den unsterblichen Schlangenfrauen. Ich wurde mit dem Zeichen des untergehenden Sternes auf meiner Handfläche geboren, und von den Schlangenfrauen in ihrem verborgenen Tempel fern im Süden aufgezogen. Meine Pflicht ist es, Du-jum zu finden und zu töten, wenn ich es vermag. Er ist ein mächtiger Hexer und ein Mann von großer Anziehungskraft, das zumindest habe ich gehört. Er verführte meine Mutter, eine Tempelwächterin, durch Zauberkräfte, um das Zepter Ixcatls stehlen zu können, das er, wie er glaubte, zur Verstärkung seiner Kräfte brauchte. Ich bin das Nebenerzeugnis seines damaligen Plans – die Tochter, die er nie gesehen hat.
Die Ältesten von Set und Apop verfluchten das Zepter, als sie feststellten, dass es fehlte. Deshalb hat es Du-jum auch wenig genutzt, aber in seiner Hand ist es immer noch. Ich wurde erzogen und gelehrt, meine Pflicht zu erfüllen. Es bedeutet für mich die Aufnahme und entsprechende Vollführung. Aus Du-jums eigener Untat muss die Vergeltung kommen, die sein Ende ist. Ich werde nicht ohne das Zepter zurückkehren, sondern eher sterben.«
Sonja erreichte das Lager gerade, als die Männer sich zum Aufbruch bereitmachten. Omeron sah sie aus dem Wald kommen, und warnte seine Wachen, nicht auf sie zu zielen.
»Wir hätten Euch fast mit einem Pfeilhagel begrüßt«, empfing er sie. »Wir hielten Euch für tot, von dem Vogel verschlungen.«
»Ich folgte ihm«, entgegnete Sonja. »Ich sah, wie er die Schlange abschüttelte, und versuchte sie zu finden.«
»Die Schlange?«
»Ja.«
Barsch fragte Sadhur: »Und habt Ihr sie gefunden?«
Sonja blickte ihn an und antwortete bedächtig: »Ich fand einen fast seegroßen Teich, etwa eine halbe Meile östlich von hier, doch keine Spur der Schlange. Ich vermute, sie stürzte in den Teich.«
Schweigen antwortete ihr. »Ich fand die Schlange nicht«, wiederholte sie.
Omeron seufzte tief. »Habt Ihr immer noch die Absicht, uns in die Stadt zu begleiten?«
»Ja.«
»Dann kommt. Zum Ausruhen ist keine Zeit mehr. Wir müssen das Tal vor Tagesanbruch erreichen.«
Sonja nickte. »Nun, dann wollen wir es angehen. Ich bin ebenso bereit, gegen Du-jum zu kämpfen, wie jeder andere von euch auch.«
Aber Misstrauen und argwöhnische Blicke folgten ihr, als sie sich auf ihr Pferd schwang und Omeron, Sadhur und den anderen aus dem Lager und in die Nacht, hinunter zur Stadt im Tal folgte.
Eine Feier sollte stattfinden, hatte Yarise beschlossen – ein Fest, ein unvergessliches Bankett mit Tänzerinnen und anderer Unterhaltung war angebracht, um den überlebenden Stadtältesten und Edlen von Thesrad ihren und Du-jums guten Willen zu zeigen. Ein Bankett sollte es werden, wie sie und Du-jum es inzwischen gewöhnt waren, mit Unterhaltung, die die ganze Nacht andauerte. Und dieser Unterhaltung sollte es nicht an feinen Andeutungen und Hinweisen fehlen – vielleicht eine Folterung von Rebellen, kunstvoll durchgeführt, und ein paar Zauberkunststücke, um die Reichen und Edlen von Thesrad zu warnen, die neuen Herrscher anzuerkennen und nicht mehr für die verlorenen Ideale des alten zu kämpfen. Sie würde es diesen Leuten zeigen, die sie nie geliebt und immer als Fremde betrachtet, hatten, dass man mit ihr rechnen musste.
Nun, da sie sich entschlossen hatte, konnte sie kaum den Morgen erwarten, um Du-jum in ihren Plan einzuweihen. Hastig verließ sie den Garten, in dem sie die ganze Nacht überlegend umhergewandelt war, eilte in den Palast und zur Vorkammer ihres Schlafgemachs, in das sich Du-jum nach seiner Beschwörung und dem Ausschicken des. Vogels zurückgezogen hatte.
Ihr Herz schlug schneller, als sie durch ein Fenster einen gewaltigen Schatten am Mond vorbeigleiten sah. Doch nicht eine Wolke war es, sondern der zurückkehrende Vogel, der nun immer kleiner werdend auf den Palast zuflog.
Endi hatte beschlossen fortzugehen.
Die Zeit war gekommen, den Göttern zu vertrauen und, ob es nun kühn war oder nicht, gefährlich oder nicht, zu versuchen Thesrad zu verlassen und nichts als fortzugelangen von den Schrecken des Palasts und den entsetzlichen Gefahren in der Stadt. Du-jum und Yarise waren beide wahnsinnig, und beide zu stark, als dass sie gegen sie angekommen wäre.
Nachdem sie Du-jums furchterregende Belebung des Vogelanhängers miterlebt hatte, war sie wie gehetzt durch den Palast gelaufen und hatte sich in einer Nische der Küche versteckt. Dort hatte sie sich allmählich beruhigt und war zu ihrem Entschluss gekommen. Sie musste fliehen!
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