»Aber … hier gibt es Hamburger!«, klagte er. »Ich wollte etwas essen. Etwas Richtiges!«
»Seien Sie kein solcher Snob!«, sagte Honey. »Wir sind in den USA, in Gottes eigenem Land und dem unglaublich schnellen Fast Food.«
Walker schnaubte laut. »Und der noch schnelleren Magenverstimmung. Jedes Land, das zur besten Sendezeit Werbung für Abführmittel im Fernsehen macht, hat ernsthafte Probleme.«
»Ach, halten Sie schon den Mund und kommen Sie«, sagte ich. »Ich kann bratendes, totes Tier riechen, und meine Geschmacksnerven machen sich schon gegenseitig fertig.«
»Wenn irgendjemand versucht, mir etwas in einem Eimer zu servieren, dann wird es Ärger geben«, knurrte Walker ominös.
Honey und ich schoben ihn durch die Eingangstür und gingen zu Peter, der bereits einen Tisch geordert hatte. Er hatte schon die Aufmerksamkeit einer hübschen jungen Kellnerin errungen, die eine hässliche rosafarbene Uniform trug und gab seine Bestellung auf. Er war erst halb durch die Speisekarte, und sie hatte schon ihr halbes Pad abgehakt. Wie das mit Hamburgerläden so war, der hier war wohl besser als die meisten. Hinreichend sauber, nicht zu voll und die vor sich hin trällernde Hintergrundmusik war wohl von jemandem ausgewählt worden, der wenigstens schon mal etwas von Melodien gehört hatte. Überall hingen glänzende, große Poster, mit wunderbaren Illustrationen der herrlichen Dinge, die man bestellen konnte. Wahrscheinlich waren sie dazu da, dass man draufzeigen konnte, wenn man nicht in der Lage war, die Karte zu lesen. Ich habe eine Schwäche für diese großen, fröhlichen Plakate, auch wenn das, was sie zeigen, nur selten Ähnlichkeit mit dem hat, was man letztendlich serviert bekommt. Ich hoffe immer, dass ich eines Tages bekomme, was ich bestelle, ein Triumph des Optimismus über die Erfahrung.
»Was willst du haben, Eddie?«, fragte Honey und ließ ihre Augen über die laminierte Karte schweifen.
»Egal«, sagte ich. »Alles. Töte einfach eine Kuh und bring sie mir. Ich habe echt Hunger. Ich könnte dich essen, wenn es mit dem Service zu lange dauert.«
»Ein netter Gedanke, Eddie«, sagte Honey. »Vielleicht später, ja?« Sie sah mich an und ließ ihre Wimpern flattern.
»Meist bevorzuge ich ja Burger King«, sagte ich und wechselte diplomatisch das Thema. »Wenigstens kriegt man da, was man bestellt hat und nichts sonst. Ich meine, wenn ich einen doppelten Schinken-Cheeseburger haben will, wie damals zu den besten Zeiten des Heiligen St. Cholesterin, dann will ich den auch. Doppelt Fleisch, Käse und Schinken in einem Brötchen. Sonst nichts. Kein verdammter Salat und keine verdammte Gewürzgurke. Wenn ich einen Salat als Beilage haben wollte, dann hätte ich nach einem gefragt.«
»Wie pingelig«, meinte Honey und nahm die Augen nicht von den Kombi-Angeboten.
Am Ende bestellten wir das komplette Menu, um es unter uns aufzuteilen. Ich sah mich um, während die Kellnerin damit beschäftigt war, alles zu registrieren, und dabei beinahe den ganzen Speicherplatz ihres Pads brauchte. Die große Wanduhr zeigte auf fünf vor halb drei am Nachmittag, was erklärte, warum der Laden nicht allzu voll war. Ich wies Honey auf die Uhr hin. »Gott allein weiß, wo meine körpereigene Uhr ist«, sagte sie und streckte sich langsam und genüsslich wie eine Katze. »Ich hasse Teleport, immer bekomme ich einen Jetlag davon. Und das Gepäck endet meist in einer anderen Dimension.«
Wir überzeugten Walker, ein paar der schlankeren Menüs zu ordern, aber er befasste sich immer noch mit der Getränkekarte. Er seufzte und schüttelte den Kopf. Schließlich sah er zur Kellnerin hoch.
»Bitte nur einen Tee, meine Liebe. Haben Sie Earl Grey da?«
»Bringen Sie mich nicht in Verlegenheit«, sagte Honey bestimmt. »Sie werden Kaffee trinken und ihn lieben.«
»Amerikanischen Kaffee?«, sagte Walker. »Ich bin eindeutig in der Hölle. Bringen Sie mir einfach eine Tasse Wasser, meine Liebe.«
»Wasser sollten Sie hier nicht trinken, Schätzchen«, sagte die Kellnerin. Sie hatte offenbar an Walker Gefallen gefunden, oder zumindest an seinem Akzent. »Selbst das abgefüllte ist nicht sonderlich gut. Ich sag Ihnen was, ich bringe Ihnen ein schönes Dr. Pepper. Wie wär's?«
Walker lächelte sie an. Die Kellnerin war ein großes, proper aussehendes Mädchen, dessen vorspringender Busen die Knöpfe an ihrer hässlichen Uniform zu sprengen drohte.
»Ich danke Ihnen, das wäre wunderbar, meine Liebe.«
Die Kellnerin zeigte ihm ihre perfekten Zähne und trottete mit ihrem Pad voller Bestellungen davon.
»Eine sehr warmherzige und verständnisvolle junge Dame«, sagte Walker. »Was ist ein Dr. Pepper?«
»Das ist wie der Hafen«, sagte Honey freundlich. »Nahe am Wasser.«
Das Essen kam, und wir alle konzentrierten uns darauf reinzuhauen. Es gibt nichts Besseres als einen ordentlichen Hunger, um alles gut schmecken zu lassen. Zu meiner Erleichterung bekam ich meine Burger ganz ohne Salat und eingelegte Gurke, auch am Käse hatten sie nicht gespart. Keiner von uns fühlte sich nach Konversation, wir saßen nur da, kauten, schluckten und ließen ab und an ein zufriedenes Grunzen hören. Auch Walker schlang sein Zeug herunter und probierte schließlich auch von den Tellern der anderen. Zweifellos würde er nach dem Essen zur Beichte gehen und gestehen, in welche Niederungen sich sein Magen begeben hatte.
Es war nicht so, als hätten wir einander viel zu sagen gehabt, trotz allem, was wir miteinander durchgemacht hatten. Vielleicht war es sogar gerade, weil wir so viel miteinander durchgemacht hatten. Eine ganze Menge von dem, was in X25 geschehen war, all die Dinge, die wir erlebt hatten - vieles war zu privat, zu persönlich, um darüber zu sprechen. Sowohl unsere Körper als auch unsere Seelen hatten Blessuren davongetragen. Ich erinnerte mich daran, meine Eltern gesehen zu haben. Oder etwas, das eklatant so ausgesehen hatte wie meine Eltern. Nichts nahm einen je so sehr gefangen wie unbeendete Emotionen. Wenn das alles vorbei war, Alexander King seine Informationen hatte und die Droods ihre kostbaren Geheimnisse sicher vor dem Zugriff des Rests der Welt weggesperrt hatten - dann war es Zeit, allerhöchste Zeit, dass ich endlich die Wahrheit über das erfuhr, was meinen Eltern zugestoßen war. Wer sie wirklich getötet hatte und warum. Und vielleicht auch Mollys Eltern. Gab es wirklich eine Verbindung? Molly war immer bereit, das Schlimmste in den Droods anzunehmen. Trotzdem, ich hatte schon zu lange auf die Wahrheit gewartet. Wenn dieses Spiel erst einmal vorbei war, würde ich mir Zeit freischaufeln für etwas, das wirklich zählte.
Ich hatte meiner Familie schon zu lange gestattet, mich abzulenken.
Wir alle hatten schließlich einen Punkt erreicht, an dem selbst schiere Willenskraft keinen Krümel mehr hinter unsere Lippen gebracht hätte. Wir lehnten uns zurück, genossen unsere vollen Bäuche und sahen uns gegenseitig in der Erwartung an, der andere würde zuerst anfangen zu reden. Und weil keinem von uns danach war, über X25 zu reden, sprachen wir über Philadelphia und warum wir hierher geschickt worden waren.
»Es muss das Philadelphia-Experiment sein«, sagte ich.
»Glaube ich auch«, sagte Honey und nickte zustimmend.
»Haben sie nicht einen Film daraus gemacht?«, fragte Walker.
»Den hab ich gesehen«, sagte Peter. »Fing schauerlich an, dann verlor er an Fahrt, und ab da ging es abwärts. Allerdings war die Fortsetzung nicht schlecht.«
»Wenn alles, was du kennst, der Film war, dann weißt du gar nichts«, sagte ich. »Der Film handelte von Zeitreisen, aber bei dem Experiment ging es um etwas anderes.«
»Ich dachte immer, dass das Philadelphia-Experiment einfach nur eine weitere urbane Legende sei«, meinte Walker. »Der Fall des verschwundenen Schiffes und all das. Ich habe nie irgendwelche offiziellen Akten dieses Falles gesehen, und ich habe Akten von den meisten Dingen gesehen, die eine Rolle spielen. Erinnern Sie mich daran, Ihnen bei Gelegenheit vom unheiligen Gral zu erzählen.«
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