Also war er wohl doch Alexander Kings Enkel.
Aber es war nützlich zu wissen, dass er seine Grenzen hatte. Die Albträume hatten sein Selbstbewusstsein erschüttert und nur Hysterie übrig gelassen. Vielleicht, weil sie so ausgesprochen außerhalb seiner Kontrolle lagen. Wenn man es genau nahm - als es dazu gekommen war, das Ungeheuer von Loch Ness und den Hyde zu bekämpfen, hatte er die erstbeste Möglichkeit genutzt, zurückzuweichen und uns andere die Drecksarbeit machen zu lassen, während er alles mit seinem kostbaren Kamerahandy filmte.
Was auch immer passierte, ich musste dieses Kamerahandy in die Finger bekommen.
Walker fiel ebenfalls zurück, um mir Gesellschaft zu leisten, und wir sprachen leise miteinander. Er verlangsamte absichtlich unsere Schritte, sodass sich ein wenig Abstand zu Peter und Honey entwickelte.
»Während Sie fort waren, hat jemand versucht, mich zu töten«, sagte er still und vollkommen sachlich. »Selbst mitten in diesem Schrecken, der da vor sich ging. Bei so viel Amok laufendem Irrsinn ist es schwer zu sagen, aber jemand hat von hinten ganz definitiv versucht, mir den Kopf von den Schultern zu drehen. Er hätte bei jedem anderen Erfolg gehabt, aber glücklicherweise haben meine Jahre in der Nightside es sehr schwer gemacht, mich zu töten.« »Selbst jetzt, wo die Autoritäten fort sind?«
»Besonders jetzt, wo sie fort sind. Ich bin auf Arten geschützt, die Sie sich nicht einmal vorstellen können. Aber der Punkt ist doch, wir wissen jetzt, wer Katt und den Blauen Elf getötet hat. Es muss entweder Honey oder Peter sein.«
»Immer vorausgesetzt, dass Sie die Wahrheit sagen.« »Ah«, meinte Walker. »So ist das, ja.«
»Keinem von uns kann man trauen. Wir sind alle Agenten.«
Kapitel Sieben
Der Tropfen im Ozean
Es gab Sonne, Licht, Wärme und nach der bitteren Kälte von Tunguska und X25 fühlte sich das wie das Paradies selbst an. Alle vier schrien wir vor Erleichterung auf, als die Teleportarmbänder uns an unserem neuen Einsatzort in der Sonne absetzten. Und das Erste, was wir taten, war, uns die dicken Pelzmäntel vom Leib zu reißen und sie in einem großen Haufen vor uns auf den Boden zu werfen. Mützen, Handschuhe und alles andere, was uns an X25 erinnerte, folgte, so schnell wir es uns vom Leib reißen konnten, und als alles auf einem Haufen lag, traten wir alle darauf ein, nur so aus Prinzip. Erst dann nahmen wir uns die Zeit, uns umzusehen und herauszufinden, wo wir waren.
Wir waren in einer ordentlichen kleinen Seitenstraße abgesetzt worden, die an den Docks einer größeren Stadt mündete. Überall waren Schiffe: meist Marine, aber auch einige zivile, Touristenboote und Fischkutter. Amerikanische Marine: große, beeindruckende Schiffe, länger als manche Straße, ausgerüstet mit der neuesten Technologie und den allergrößten Kanonen. Crewmitglieder schwärmten über die Decks wie Ameisen, die ihrer Königin dienten. Deshalb war das wohl auch kein guter Ort, herumzulaufen und Fragen zu stellen. Ich ging ans Ende der Straße und sah über das blaugrüne Wasser, das ruhig unter einem blassblauen Himmel lag, ohne eine einzige Wolke weit und breit. Die Sonne stand hoch am Himmel und schien satt, freundlich und köstlich warm. Möwen segelten in den Luftströmungen, ihre entfernten Rufe wild und spöttisch.
»Ich habe wieder Kontakt zu Langley«, sagte Honey. Sie hielt eine Hand an ihren Kopf. Ob das bei einem Hirnimplantat half, wusste ich nicht. Sie rümpfte die Nase, fast wimmerte sie. »Sie brüllen ganz schön. Offenbar haben sie es verdammt persönlich genommen, als ich vom Planeten runtergefallen bin und sie mich nicht mehr lokalisieren konnten. Sie haben drei verschiedene Spionage-Satelliten programmiert, nichts weiter zu tun als nach mir zu suchen. Sie waren besorgt. Das war wohl echt süß von ihnen, wenn sie nur aufhören würden, mich anzubrüllen. Ah, sieht so aus, als wären wir grade in Philadelphia, Pennsylvania.«
»Wie lange hatten sie uns nicht auf dem Schirm?«, fragte ich.
»Drei Tage, sieben Stunden«, erwiderte Honey. »Man stellt mir eine Menge Fragen.«
»Wen kümmert's«, meinte Peter. »Hier riecht es lecker!«
»Wonach?«, fragte Walker.
»Mir egal, ich werd's essen.« Peter sah sich um und schnüffelte wie ein Bluthund, der Witterung aufnimmt, in der Luft herum. Er tauchte in die Hauptstraße ein, folgte seiner Nase und alles, was uns übrig blieb, war, ihm zu folgen.
»Ich kann sagen, dass ich mich ebenfalls etwas hungrig fühle«, sagte Walker und schritt mit militärischer Zackigkeit dahin. »Gibt es irgendwelche Sternerestaurants in Philadelphia?«
»Ach, bestimmt«, sagte ich fröhlich. »Matrosen mögen gutes Essen. Und Schnaps und Tattoo-Läden und -«
»Langley will genau wissen, wo wir waren und was wir gemacht haben«, sagte Honey und ging wie eine hochgewachsene Göttin in ihrem leuchtend weißen Overall neben mir her. »Sie haben geglaubt, dass es keinen Ort gäbe, an den sie mir mit ihren brandneuen Spielsachen nicht folgen könnten, die armen Kleinen.«
»Sagen Sie ihnen nichts«, meinte Walker sofort. »Jedenfalls … noch nicht. Vielleicht kommt die Zeit, in der wir mit vertraulichen Informationen handeln müssen.«
»Warum sollte ich denn mit meinen eigenen Vorgesetzten verhandeln müssen?«, fragte Honey kalt.
»Ich meinte Alexander King«, sagte Walker geduldig. »Es ist bekannt, dass der Autonome Agent überall Kontakte hat, in jeder Organisation. Außer vielleicht bei den Droods. Wie auch immer, ich denke, wir müssen unsere Geheimnisse sorgsam hüten, bis das Spiel beendet ist.«
»Er hat recht«, sagte ich. »Geheimnisse haben nur Macht und Wert, solange sie Geheimnisse bleiben.«
»Was soll ich dann Langley sagen?«, fragte Honey. »Irgendwas muss ich ihnen sagen, und wenn es nur dazu dient, das Brüllen in meinem Ohr zu stoppen.«
»Erzähl ihnen von X25«, sagte ich. »Aber nicht, was wir da gemacht haben. Sie werden so aufgeregt darüber sein, die Koordinaten von einer der alten sowjetischen Wissenschaftsstädte zu haben, dass ihnen egal sein wird, was wir getan haben.«
»Was Sie getan haben«, sagte Walker. »Mir ist das nach wie vor noch geringfügig unangenehm.«
»Dieses Gefühl den Droods gegenüber ist sehr gut«, sagte ich. »Es hilft, angemessen respektvoll zu bleiben.«
»Ach, stecken Sie sich Ihren Respekt doch an den Hut«, sagte Walker.
Honeys Gesichtsausdruck wurde abwesend, als sie wahrscheinlich ihre CIA-Ansprechpartner mit Informationen über X25 belieferte. Hoffentlich blieb sie dabei, ein bisschen diskret über dieses ganze Zeug mit dem Tunguska-Ereignis zu bleiben. Natürlich hätte sie denen absolut alles erzählen können. Oder das Ganze. Ich hatte keine Möglichkeit, das herauszufinden. Es war wichtig, sich daran zu erinnern, dass sie eine erfahrene Agentin im Einsatz war und ich mir nicht leisten konnte, ihr zu trauen. Oder Walker. Oder Peter.
Immerhin war Katt tot. Und der Blaue Elf. Und ich hatte nie etwas gesehen. Ich konnte mir nicht helfen, aber ich hatte das Gefühl, wäre ich nur ein wenig mehr am Ball geblieben, ein bisschen aufmerksamer, dann hätte ich etwas gesehen. Etwas tun können. Katt war eine Rivalin gewesen, ja, und ich hatte sie kaum gekannt. Und nach allem, was Blue mir und meiner Familie angetan hatte, waren wir Todfeinde. Aber selbst so hatte ich Katt gemocht. Und Blue war auch mein Freund gewesen.
Deshalb arbeite ich lieber allein bei einem Einsatz. Nichts verkompliziert die Dinge so sehr wie Leute.
Peter brachte uns schnell zu der Imbissbude, die er erschnüffelt hatte. An diesem Punkt aber hatten wir alle schon den Duft in der Nase und folgten ihm auf dem Fuße. Mir war gar nicht bewusst gewesen, wie hungrig ich war. Ein kleiner Biber sättigt nur für kurze Zeit. Peter drängelte sich direkt durch den Eingang, ohne die großen Poster in den Fenstern zu studieren, aber Walker warf einen Blick darauf und erhob Einspruch.
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