Und wir sind jetzt hier und brechen nahezu jede Regel, die es gibt, einfach indem wir hier sind. Wenn wir auch nur ein wenig Verstand hätten, dann sollten wir verdammt noch mal abhauen, solange wir noch können.«
»Und wohin gehen«?«, fragte Honey. »Es gibt hier kein Anderswo.«
»Die Teleportarmbänder werden uns nicht wegbringen, bis wir das Rätsel gelöst haben«, sagte Peter.
»Ich mag diese Stadt nicht«, erklärte Walker. »Ich finde sie verstörend.«
Wir alle sahen ihn an. »Ach, kommen Sie«, sagte ich. »Sie sind die Polizei der Nightside! Einer der gefährlichsten und beunruhigendsten Orte in diesem oder jedem anderen Universum. Und Sie sind verstört?«
»Etwas Schlechtes ist hier passiert«, sagte Walker. »Ich kann das spüren. Ich fühle mich … verletzlich. Nichts, was ich gewöhnt bin zu fühlen. Es ist irgendwie erfrischend, denke ich. Ja. Es ist lange her, dass ich mich einer echten Herausforderung gegenübersah, ohne Verstärkung, ohne meine Stimme, nur - ich. Das Schicksal der ganzen Welt könnte auf unseren Schultern liegen und davon abhängen, was wir als Nächstes tun. Ist das nicht wundervoll?«
»Sie sind echt schräg«, sagte Peter.
»Nein«, sagte Honey sofort. »Eddie ist schräg.«
»Ich bin nicht schräg!«, protestierte ich. »Ich bin bloß auf andere Weise normal.«
Keiner hatte danach noch viel zu sagen, also gingen wir weiter, tiefer in die Stadt hinein. Wie die meisten Designerstädte der Sowjets folgten die Straßen einem einfachen Muster, und jede Straße war gerade breit genug, um einen Panzer hindurchzulassen, sollte es einen Aufstand geben. Kein Lebenszeichen irgendwo, weder ein vergangenes noch ein gegenwärtiges. Aber nach einer Weile konnten wir Anzeichen von Kämpfen sehen, von einer bewaffneten Auseinandersetzung und von Massakern. Aus- oder eingetretene Türen. Fenster mit wenig oder gar keinem Glas mehr darin. Brandschäden, rußschwarze Wände, ausgebrannte Häuser. Ganze Gebäude waren in die Luft gejagt worden, reduziert auf einzelne Wände und Trümmerhaufen. Einige ließen vermuten, dass sie von innen gesprengt worden waren. Und massenweise Einschusslöcher.
»Hier gab es einen intensiven Schusswechsel«, sagte Walker. »Eine Menge Schusswaffen, alle möglichen Kaliber. Granaten und auch Brandbomben. Warum also sehen wir keine Leichen?«
»Die paar Soldaten, die hier raustaumelten, haben von Monstern geredet«, meinte ich. »Jedenfalls die, die nicht so traumatisiert waren, dass sie nie wieder sprachen. Also, wen oder was haben sie beschossen? Irgendwo muss es Leichen geben, Soldaten und Zivilisten. Wer hat sie also weggeräumt?«
Keiner von uns hatte eine Antwort darauf, also gingen wir einfach weiter. Wir kamen an einem Gebäude vorbei, dass nur noch so schwach und unsicher stand, dass unsere Schritte ausreichten, es endgültig zu Fall zu bringen. Es sackte langsam in sich zusammen, beinahe entschuldigend, sodass wir Zeit genug hatten, uns in Sicherheit zu bringen. Die Wände falteten sich einfach zusammen und fielen um, und das ganze Ding kippte auf die Straße. Eine große Wolke erhob sich, sowohl von Staub als auch von Rauch, aber der Klang des Zusammenbruchs war seltsam gedämpft, die Echos hallten nicht nach. Die Stille war bald wieder da, als ob sie nicht gern gestört würde.
Honey hatte ihre schimmernde Kristallwaffe in der Hand und warf böse Blicke um sich, bereit, die Waffe auf jeden loszulassen, aber nichts zeigte sich. Ein Teil einer Wand bröckelte unerwartet ab, und Honey wirbelte herum und schoss darauf. Die strahlende Energie ließ die Ziegel auseinander fliegen, Bruchstücke flogen durch die Luft. Wir alle duckten uns. Dann richteten wir uns wieder auf und starrten Honey vorwurfsvoll an. Sie sah uns mit ihrem besten Das-war-Absicht-Blick an und ließ die Kristallwaffe wieder verschwinden.
»Gut gemacht«, sagte Walker ziemlich heftig. »Die Wand wird nie wieder jemanden angreifen. Und wenn es hier irgendwelche Überlebenden gibt, dann wissen sie jetzt sicher, dass sie Besuch haben. Besucher mit Knarren und dem absoluten Willen, sie zu benutzen. Vielleicht wollen Sie auch einem von uns in den Fuß schießen, wenn Sie schon mal dabei sind?«
»Bringen Sie mich nicht in Versuchung«, meinte Honey.
»In gefährlichen Situationen ist Selbstkontrolle eine Tugend«, bemerkte Walker.
»Belehren Sie mich nicht, Sie steifärschiger Brite«, sagte Honey. »Manchmal muss man eben einfach etwas erschießen.«
»Typisch CIA«, sagte Peter.
Wir gingen tiefer in die Stadt und die Überreste des harten Kampfs wurden immer extremer. Ganze Gebäude waren in die Luft gejagt worden und hinterließen jetzt Lücken in den Häuserreihen wie Zähne, die man aus einem Kiefer gezogen hatte. Die, die noch standen, waren ausgebrannt, bis sie von allein zusammenfielen. Wir überprüften einige der noch sicher aussehenden Ruinen von innen. Immer noch keine Leichen. In den Wänden gab es lange, gerade Risse, wie Krallenspuren, und klaffende Löcher wie Wunden. Es war etwas … Fremdes um das alles. Ich hatte meinen Teil an Kämpfen gesehen und auch den Schaden, den sie anrichten konnten, aber das hier war anders. Was hier passiert war, passte nicht zusammen, egal, wie lange ich auch darüber nachdachte.
Und dann kamen wir zu einer Straße, die völlig von getrocknetem Blut verkrustet war. Eher schwarz als rot, reichte der Fleck die ganze Länge der Straße entlang und in Wellen die Gebäudewände hoch, als sei ein wilder Strom Blut die Straße von einem Ende zum anderen entlanggeschwappt.
»So viel Blut«, sagte Honey nachdenklich. »Wie viele Leute sind hier gestorben?«
»Und wer hat sie umgebracht?«, meinte Peter und sah sich schnell um.
»Immer noch keine Toten«, sagte Walker, lehnte sich lässig auf seinen Regenschirm und betrachtete die Szene mit professionellem Interesse.
»Vielleicht hat jemand all die Leichen gefressen«, sagte ich. »Monster, schon vergessen? Irgendetwas ist immer noch hier. Ich kann's fühlen. Es beobachtet uns.«
»Ich hoffe, es sind keine Ratten«, sagte Peter plötzlich. »Ich kann Ratten nicht ausstehen. Mäuse mag ich auch nicht besonders.«
»Oh, Mäuse sind kein Problem«, sagte ich. »Als ich noch klein war, war eine meiner Aufgaben in Drood Hall, vor dem Frühstück eine Runde zu drehen und alle Mausefallen zu kontrollieren. Ich brachte die vollen Fallen zu den Toiletten und veranstaltete für die kleinen Leichen eine Seebestattung. Ich habe eine ziemliche Zeremonie daraus gemacht, wenn mir danach war.«
»Seht ihr?«, meinte Honey. »Schräg.« Dann unterbrach sie sich plötzlich und sah mich nachdenklich an. »Eddie, du sagtest vorhin, dass hier etwas Mächtiges tief unter dem Permafrost schliefe, nicht weit von hier. Könnte das nicht etwas mit dem zu tun haben, was hier passiert ist?«
»Nein«, sagte ich sofort. »Zuerst einmal: wir haben es rund hundert Meilen von hier begraben. Und außerdem, selbst wenn es sich im Schlaf rühren würde, hätten wir das schon lange vor derartigen Ereignissen gewusst. Wenn dieses Ding darin verwickelt wäre, dann wäre das hier viel schlimmer.«
»Wie viel schlimmer?«, fragte Walker.
»Apokalyptisch viel schlimmer«, erwiderte ich.
Walker zuckte mit den Achseln. »So was habe ich schon mitgemacht.«
Ich fragte nicht weiter nach. Möglicherweise hatte er recht. Ich hatte mal darüber nachgedacht, die Nightside zu besuchen. Und hatte mich dann brav mit einer kalten Kompresse auf der Stirn ins Bett gelegt, bis diese Idee wieder verschwunden war.
»Könnte das … Ding, diese Person, was auch immer, irgendetwas mit dem Tunguska-Ereignis zu tun haben?«
»Nein«, sagte ich. »Meine Familie hat ihn dort schon vor Jahrhunderten begraben.«
»Etwas oder jemand so gefährliches?«, fragte Honey vorwurfsvoll. »Und ihr habt niemandem je davon erzählt?«
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