Der Hyde stand sehr still da, er kauerte fast wie ein Tier. Seine Augen schossen hin und her - auch wenn er seinen Kopf nicht bewegte -, um herauszufinden, wer von uns der Schwächste sei. Dieser eine würde am leichtesten zu quälen sein. Seine schlauen Augen blieben schließlich auf Honey liegen, der einzigen Frau in unserer Gesellschaft, und ihr kaffeebraunes Gesicht wurde steif und gespannt unter seinem direkten verächtlichen Blick.
»Hübsch, hübsch«, sagte der Hyde mit einer Stimme, die so glatt war wie Seide und so süß wie Zyanid. »Es ist so nett von euch, mich in meinem abgelegenen Reich zu besuchen. Ich mag dich, du siehst appetitlich aus.«
»Halt deine dreckige Klappe«, sagte Honey. Ihre Stimme war nicht mehr so fest wie sonst. Sie konnte den Ekel, den sie spürte, nicht verbergen.
»Verwandle dich zurück«, sagte Walker zu dem Hyde. »Werde wieder menschlich.«
Aber auch wenn seine Worte mit aller Autorität durch die Nacht hallten, die ein Mann, dem man in der Regel gehorchte, aufbringen konnte, es reichte nicht. Es waren nur Worte. Er hatte seine Stimme verbraucht. Der Hyde lachte lautlos.
»Wie ist dein Name?«, fragte ich. Er sah mich an, und die Intensität seines Blicks traf mich wie eine Ohrfeige.
»Namen«, sagte er. »Wozu, mein Herr? Hat die Pest einen Namen? Haben Vergewaltigung oder Folter, Krebs oder Senilität einen Namen oder eine Identität? Ich bin, was ich bin, und es ist herrlich. Ich zertrample euch unter meinen Füßen, reiße euch das Fleisch von den Knochen und stecke meinen Schwanz in alle Löcher, die ich mache.«
»Dein Name«, beharrte ich. »Sag mir deinen Namen.«
»Ihr wollt wissen, wer ich war, guter Herr? Vergesst ihn. Er spielt keine Rolle. Hat er nie getan. Aber ich spiele eine Rolle. Ich werde schreckliche Taten begehen, bis die Welt an meiner schieren Gegenwart erkrankt. Ich werde in Blut und Innereien waten und frohe Lieder singen, weil ich ein sehr mächtiger Albtraum bin. Ich werde dieses Land mit Hydes bevölkern, diese verdorbene Welt in mein furchtbares Antlitz verwandeln und jede Minute davon lieben. Mein Name? Edward Hyde, zu Ihren Diensten, mein Herr. Hier ist die Hölle und ich bin mittendrin. - Die alten Scherze sind doch immer die besten, ist es nicht so?«
Sein Lächeln war jetzt sehr breit, und ich hasste ihn mehr, als ich jemals jemanden gehasst hatte.
»Wie fühlt sich das an?«, fragte Peter. Er kämpfte darum, eine feste Stimme zu behalten. »Wie fühlt sich das an, Hyde zu sein?«
Der Hyde betrachtete ihn neugierig und Peter zuckte tatsächlich zurück. »Ich bin der Donner, der Blitz«, erwiderte der Hyde. »Ich kann euch das sagen: Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss. Ich bin der Tumor im Gehirn, der Wind, der die Bäume entwurzelt und das Ding, dass sich des Nachts unter eurem Bett versteckt. Und ich liebe es. Es ist herrlich, von der Angst befreit zu sein, selbst das Ding zu sein, das jeder andere fürchtet. Oh, meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihr habt keine Ahnung, wie gut sich das anfühlt - all die Beschränkungen des menschlichen Daseins abzustreifen, all die Ketten, mit denen uns die Gesellschaft bindet, um uns kleinzuhalten. Endlich frei zu sein, weil die einzig wahre Freiheit die ist, wirklich alles zu tun.« Er lachte wieder lautlos. »Ich bin alles, was ihr immer sein wolltet und was ihr nicht einmal euch selbst gegenüber zugeben könnt. Ich werde tun, was ich tun muss und keiner von euch kann mich aufhalten. Und wenn sie schließlich die Überreste eurer Leichen finden und sehen, was mit ihnen getan wurde, dann werden sie schreien und kotzen und kreischen, bis sie den Verstand verlieren.«
Er brach ab, weil Honey plötzlich ihre schimmernde Kristallwaffe in der Hand hielt. Ihre Lippen hatten sich zu einem tödlichen Lächeln verzogen, es sah aus wie das Lächeln eines Totenkopfs. Der Hyde kicherte auf einmal: ein hartes, sich überschlagendes Geräusch, das die Seele zerstörte. Und dann warf er sich nach vorn, unwahrscheinlich schnell, nur ein Schemen im Licht des Feuers. Er schlug ihr die Waffe verächtlich aus der Hand und warf Honey mit einem einzigen, fiesen Schlag mit dem Handrücken zu Boden. Blut aus Nase und Mund spritzten durch die Luft. Sie traf schwer auf dem Boden auf.
Walker zog einen Kundela der Aborigine aus seiner Westentasche. Peter riss eine große Kanone aus einem versteckten Holster. Der Blaue Elf intonierte einen Fluch auf den Hyde herab; alte Elfenmagie - aber seine Stimme war ein tiefes langsames Kriechen. Weil ich in dem Moment hochgerüstet hatte, in dem sich der Hyde bewegte, schloss meine goldene Rüstung mich ein und isolierte mich vor den unterschwelligen Auswirkungen der Gegenwart des Hydes. Ich konnte jetzt klar denken und war nicht mehr vom Einfluss der Gegenwart des Hydes beeinflusst.
Ich hasste ihn dennoch genauso wie vorher.
Ich stürzte in Richtung des Hyde; meine Rüstung beschleunigte mich so sehr, dass der Rest der Welt nur noch zu kriechen schien. Trotzdem spürte er, dass ich kam und wandte sich von Honey ab und zu mir hin. Das hatte ich beabsichtigt. Ich fiel über ihn her, meine Fäuste schlugen in ihn ein wie goldene Hämmer. Blut flog aus dem Gesicht des Hydes, als ich darauf einschlug. Ich fühlte und hörte, wie die Knochen in seinem Gesicht und seinem Schädel brachen und splitterten. Der Hyde jedoch gab nicht einen Zentimeter nach. Er schlug mit Fäusten wie Keulen auf mich ein, aber die Kraft der Schläge prallte an meiner unnachgiebigen Rüstung ab. Er hatte die Stärke seines schrecklichen Daseins und war dadurch dazu verurteilt, ohne Rücksicht zu kämpfen, aber am Ende war er doch hauptsächlich ein Mann, während die Rüstung mich zu sehr viel mehr machte.
Er war ein Hyde - aber ich war ein Drood.
Ich prügelte ihn mit den Dornen an meinen gerüsteten Fäusten zu Tode. Ich tötete ihn: für das, was er war, was er getan hatte und was er beabsichtigt hatte zu tun. Er ging kämpfend zu Boden, und er starb mit einem Fluch gegen mich auf den Lippen. Ich brach ihm Arme und Beine, schlug in seine Rippen und versenkte meine Faust tief in seinen Schädel. Auch als es schon vorbei war und ich schwer atmend über seiner Leiche stand, während Blut von meinen dornigen Händen tropfte, fühlte ich nichts. Absolut nichts. Ich sah mich langsam um. Honey war wieder auf den Beinen, drückte ein Taschentuch gegen ihren blutenden Mund und ihre Nase. Ihre Augen waren sehr groß. Für einen Moment erkannte ich den Ausdruck auf ihrem Gesicht nicht. Sie sah mich auf die gleiche Weise an, wie sie den Hyde angesehen hatte. Als ob ein Monster durch ein anderes ersetzt worden wäre.
Ich sah auf den toten Hyde herab. Ich erwartete beinahe, dass er sich wieder in seine ursprüngliche, menschliche Form verwandelte, aber das tat er nicht. Nur der Trank oder die Pflanze oder was auch immer er genommen hatte, hätte diese Verwandlung rückgängig machen können.
Ich rüstete ab und sah die anderen mit meinem bloßen, menschlichen Gesicht an. Ich zitterte. Walker sah mich nachdenklich an. Peters Gesicht war leer und ausdruckslos, als wüsste er nicht, was er denken sollte. Honey kam langsam vor, um sich vor mich zu stellen. Ihre Lippen waren geschwollen, und dunkle Flecken wurden unter ihrer kaffeebraunen Haut sichtbar.
»Es ist schon in Ordnung, Eddie«, sagte sie. »Wir verstehen das.«
»Wirklich?«, sagte ich. »Vielleicht kannst du mir das dann erklären. Ich habe mich noch nie so vergessen. Noch nie derartig … die Kontrolle verloren. So vollständig. Man darf die Kontrolle nicht so verlieren, wenn man die goldene Rüstung trägt. Ich wusste nicht, … dass ich so viel Wut und Hass in mir habe.«
»Wir haben alle einen Hyde in uns«, sagte Walker. »Vielleicht hat seine Gegenwart etwas davon in uns wachgerufen.«
Peter ging mit gezücktem Fotohandy langsam um den Hyde herum. Er filmte die Leiche aus jedem Winkel. Als er fertig war, steckte er das Handy weg und sah mich an. »Also«, sagte er. »Was machen wir mit der Leiche?«
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