Ich rüstete ab.
»Tut mir leid, Chloe«, sagte ich zu der leeren Luft an der Stelle, an der sie gestanden hatte. »Ich hoffe, du bist glücklich da, wo auch immer du bist.«
»Du hast sie umgebracht!«, sagte der Tanzende Narr.
»Ihre eigene Kraft hat sich gegen sie gewandt«, sagte ich. »Und wag bloß nicht, so empört zu tun, Nigel! Du weißt verdammt gut, dass du sie nie hast leiden können. Nicht wirklich. Wag bloß nicht, so zu tun, als wärst du ihr Freund gewesen. Du hast sie nur in deiner Nähe geduldet, weil du glaubtest, sie könnte dir nützlich sein; eine große Kanone, mit der du den Leuten drohen konntest, wenn sie sich von deinen Kampfkünsten nicht haben beeindrucken lassen. Sie war immer eher meine Freundin als deine.«
»Du warst nie ihr Freund«, sagte der Tanzende Narr.
»Manchmal … hat man eben einfach keine Zeit dafür«, sagte ich.
Der Tanzende Narr lachte kurz. In dem Geräusch lag keine Freude. »Du hast mir einen meiner Kollegen genommen. Scheint nur fair, dass ich dir einen von deinen nehme. Ich hab Sie sowieso nie gemocht, Walker.«
Sein langer, schlanker Körper ging abrupt in eine Kampfkunst-Pose, als er sich gegen Walker wandte. Offenbar wollte er ihn überraschen, aber Walker wartete schon mit einer Pistole in der Hand auf ihn. Er lächelte kurz und schoss dem Tanzenden Narr ins Knie. Die Kugel zerschmetterte die Kniescheibe. Der Tanzende Narr gab einen schockierten, überraschten Ton von sich, als der Einschlag das Bein unter ihm wegriss und er auf den Boden fiel. Tränen strömten über sein Gesicht, als er sein blutiges Knie mit beiden Händen umklammerte, als glaube er, er könne es mit schierer Kraft zusammenhalten. Sein Atem kam kurz und schnell, als der Schmerz ihn in Wellen traf, eine schlimmer als die andere.
»Wie haben Sie das gemacht?«, fragte er Walker und presste die Worte heraus. »Ich bin schnell. Und ich kann Kugeln aus dem Weg gehen. Ich weiß immer, was kommt! Wie konnten Sie das tun?«
»Weil Sie noch nie jemanden wie mich getroffen haben«, sagte Walker gelassen.
Ich ging hinüber zu ihm, um dem verkrüppelten Tanzenden Narren etwas Raum zu lassen. »War das nötig, Walker?«
»Ich denke schon, ja«, antwortete er. »Wir haben nicht alle eine Rüstung, die uns beschützt.«
»Tut mir leid, Nigel«, sagte ich zum Tanzenden Narren.
»Schieb's dir sonst wohin«, sagte er. Beide Hände waren nun blutverschmiert und sein kaputtes Bein zitterte im Schock und von dem Schaden, den die Nerven davongetragen hatten. »Ich werde euch dafür kriegen, euch beide! Ich werde nicht aufgeben, niemals. Was von eurem Leben noch übrig ist, werdet ihr damit verbringen, immer über eure Schulter zu sehen, in der Erwartung, mich zu sehen. Und eines Tages werde ich da sein. Ich werde euch beide umbringen dafür!«
»Nein, das werden Sie nicht«, sagte Walker und zerschoss dem Tanzenden Narren die zweite Kniescheibe.
Er stieß nur noch einen kurzen Schrei aus, dann verlor der Tanzende Narr vor Schmerz, Schock und Schreck das Bewusstsein. Ich sah ihn an und dann Walker.
»Es war eine Gnade, wirklich«, sagte Walker und steckte die Waffe weg. »Rache ist so eine Lebenszeitverschwendung. Außerdem ist es nie weise, einem Feind die Möglichkeit zu geben, einen zu verfolgen.«
»So wird es wohl sein«, sagte ich. »Wenigstens werden sie ihn jetzt nicht mehr den Tanzenden Narren nennen.«
Wir beide sahen nach Sargnagel Jobe. Er lag tot auf dem Boden. Ich winkte Walker, um mir zu helfen, ihn aufzuheben und in einen Stuhl zu setzen, damit er es wenigstens bequem hatte, wenn er wieder ins Leben zurückkehrte. Ich ließ Nigel, wo er war. Ich wollte nicht riskieren, ihn zu wecken.
»Nun«, sagte Walker. »Das war ja alles eine nette Ablenkung, aber es hat uns nicht näher an Alexander und Peter herangebracht. Ich glaube sogar, dass wir nach alldem annehmen müssen, dass sie uns von dem Moment an beobachtet haben, in dem wir hier auftauchten und sich deshalb möglicherweise auf dem Weg zum nächsten Ausgang befinden oder sich gerade in einem geheimen Betonbunker einschließen.«
»Nein«, sagte ich. »Die hauen nicht ab. Nicht, wo noch so viel zwischen uns zu klären ist. Sie wissen, dass sie nicht gewonnen haben, bis ich geschlagen bin. Und zwar auf faire Weise geschlagen, um meine Familie davon abzuhalten, ihnen nachzustellen. Denn die andere Seite von ›Einer für die ganze Familie‹ ist ›Die ganze Familie für einen‹. Und die beste Chance der Kings zu gewinnen besteht darin, es hier auf ihrem eigenen Territorium auszutragen, wo sie über alle Vorteile verfügen.«
»Würden Sie immer noch mit sich handeln lassen?«, fragte Walker. »Finger weg, sichere Passage nach draußen, wenn Sie dafür die Geheimnisse des Autonomen Agenten opfern müssten?«
»Nein«, sagte ich. »Aber die denken, dass sie mich davon überzeugen können, genau das zu tun. So denken die.« Ich hob meine Stimme. »Ich weiß, Sie können mich hören, Alexander! Reden Sie mit mir! Sagen Sie mir, wo Sie sind, damit wir das von Mann zu Mann ausmachen können! Sie wissen selbst, dass Sie das wollen!«
Auf einmal erschien ein Abbild Alexander Kings, der bequem auf seinem großen, hölzernen Thron saß, vor uns in der Luft. Er sah genauso aus wie damals: ein gealterter Exzentriker in extravaganter Kleidung. Aber sein Lächeln war jetzt kalt und berechnend. Sein Gesicht wirkte dadurch um Jahre
gealtert.
»Kommt einfach geradeaus«, sagte er. »Ich warte.«
Das Bild war fort. Ich sah zu Walker und beugte mich dann vor, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. »Bestehen Sie nicht auf dem Protokoll. Wenn Sie die Chance haben, töten Sie ihn.« »Mit Freuden«, murmelte Walker.
Wir gingen weiter durch das Monument, das der Autonome Agent zum Ruhme des eigenen Genies geschaffen hatte, und kamen durch einen Raum nach dem anderen, alle voller Trophäen und Erinnerungen; ein Museum, das er dem Gedenken des eigenen Lebens errichtet hatte.
Endlose Bilder einer langjährigen und regen Karriere, aus allen Zeiten und Epochen, die einen jungen Alexander King zeigten, der beständig älter wurde. Aber nicht über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus. Es gab keine Fotos, die einen Mann zeigten, der seine mittleren Jahre überschritten hatte, oder gar einen alten Mann, der ins Rentenalter humpelte. Nur Porträts des legendären Autonomen Agenten mit berühmten Gesichtern aus Politik und Religion, mit Filmstars und anderen Berühmtheiten und selbst ein paar Göttern und Monstern. (Obwohl Letztere kaum fotogen waren.) Alexander King war zu seiner Zeit wirklich herumgekommen.
Ich hielt vor einem Foto an, das hübsch gerahmt war, aber dennoch nur eines unter vielen. Ein junger und hübscher Alexander stand da und hatte seinen Arm um eine sehr junge Martha Drood gelegt. Ein einfacher Schnappschuss eines warmen Moments im Kalten Krieg. Martha, als sie noch nichts weiter gewesen war als eine junge Agentin. Sie war nicht einmal so alt wie ich und wunderschön, genau wie alle sagten.
Ein anderes Foto zeigte einen mittelalten, aber immer noch eleganten Alexander, der neben einem jungen Walker stand, der in etwas gekleidet war, was ganz nach seinem allerersten guten Anzug aussah. Ich sah zu Walker hinüber und er zuckte leicht mit den Achseln.
»Wenn man Arbeit hat, die getan werden muss, dann holt man sich den besten Mann für den Job. Und für lange Zeit war das Alexander King.«
»Haben Sie das bemerkt?«, fragte ich und wies mit einem Wink auf die ganzen Fotos an der Wand. »All diese Bilder von dem Mann selbst, seiner Welt und all den Leuten, die er kannte. Aber keines seiner Familie. Nicht Alexander mit seiner Ehefrau, wer auch immer sie war, oder seiner Tochter. Oder Peter. Welcher Mann hat keine Familienfotos?«
»Ein Mann, der für seine Arbeit lebt«, sagte Walker. »Man wird nicht zum größten Agenten aller Zeiten, indem man sich … Ablenkungen erlaubt.«
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