»Für Honey?«
»Für Honey und Blue und Katt und all die anderen Leute, die der Autonome Agent über all die Jahre hinweg reingelegt hat. Alexander King hat sich in unserer Branche zur Legende gemacht, indem er über jeden getrampelt ist, der ihm im Weg stand. Er hat gute Dinge getan, wichtige Dinge, das kann man nicht abstreiten. Aber nur um seinen Ruf aufzubauen und damit er mehr verdienen konnte. Darum geht es nicht, wenn man Agent ist. Die Welt ist viel zu gefährlich geworden, um Außenseitern wie ihm zu erlauben, einfach frei herumzulaufen.«
»Sie selbst haben sich weit aus dem Fenster gelehnt, um sich selbst als autonomer Agent für die Droods zu etablieren«, murmelte Walker.
»Das tue ich noch«, sagte ich. »Es geht nicht um das, was man tut. Es geht darum, warum man es tut. Ich halte meine Familie in einem gesunden Abstand, damit ich sie klar als das sehen kann, was sie ist, und auch als ihr Gewissen fungieren kann, wenn es nötig ist. Ich bin Agent und kein Killer. Aber ich werde Alexander und Peter King umbringen für alles, was sie getan haben. Nicht nur wegen Honey. Und Blue und Katt. Werde ich deshalb mit Ihnen Probleme kriegen, Walker?«
»Nicht im Geringsten. Aber Eddie, verstehen Sie mich richtig. Wenn es soweit ist und Sie entdecken, dass Sie es doch nicht können - sie töten, meine ich -, dann werde ich das tun. Und Sie stehen mir dann besser nicht im Weg. Ich war nie ein Agent, Eddie. Ich war immer Soldat.«
»Für Honey?«, fragte ich.
»Nein, sie lag mir nicht sonderlich am Herzen. Typisch arrogante CIA-Tussi. Nein, einige Leute müssen einfach getötet werden.«
In diesem Augenblick kam ein großer, muskelbepackter und mehr als modisch angezogener junger Mann plötzlich aus der Menge, um sich bedrohlich vor uns aufzustellen. Er fixierte Walker mit einem schäbigen Grinsen. Er war leidlich gut aussehend, auf eine arisch-blonde, steroiden-freakige Art und Weise, und aus der Nähe roch er nach Schweiß und Testosteron.
»Hallo, Georgie«, sagte Walker. »Sie sehen heute ganz besonders wie Sie selbst aus. Was macht Ihre Verdauung?«
»Lecken Sie mich, Walker«, sagte Georgie. »Ich muss mich von Ihnen nicht mehr blöd anquatschen lassen. Sie sind wohl nicht mehr so arrogant obenauf ohne Ihre Stimmte, was? Nicht mehr so allmächtig, seit Sie Ihre Stimme im Krieg gegen Lilith verloren haben! All diese Jahre haben Sie mir in meine Geschäfte gepfuscht, mich vor meinen Leuten gedemütigt, nur weil Sie das konnten - aber jetzt können Sie mit mir nicht mehr so reden! Jetzt bin ich dran! Und Sie werden bekommen, was Sie verdienen!«
»Ein Freund?«, fragte ich Walker.
»Nicht im Entferntesten.« Walker sah Georgie ruhig in die Augen und wenn ihm das Gerede etwas ausmachte, dann versteckte er das wirklich gut. »Dieser alarmierende und leicht hysterische Mensch ist Georgie Gutzeit. Ihr spezieller Mann in der Nightside für alles, was schlecht für Sie ist und wenn Sie es für wenig Geld haben wollen. Ob Sie nun Drogen, lose Sitten oder dämonische Besessenheit brauchen, Georgie kann es Ihnen für weniger Geld besorgen als jeder andere. Natürlich kann man bei solchen Preisen weder Qualität noch Kundenservice erwarten. Es gibt keine Geld-zurück-Garantie oder Entschuldigungen von Georgie Gutzeit. Aufgepasst, Kunde - und doch gibt es jede Minute einen neuen.«
»Das ist alles, was Sie jetzt noch haben«, sagte Georgie. »Worte. Keine Stimme, um etwas draus zu machen. Ich werde Ihnen sämtliche Knochen brechen, Walker, und Sie in den Boden stampfen. Keiner wird Ihnen hier helfen. Sie haben hier keine Freunde.« Er warf mir einen schiefen Blick zu. »Halten Sie sich da raus. Das geht Sie nichts an.«
»Du riechst komisch«, sagte ich. Dann sah ich Walker an. »Gestatten Sie mir …«
»Nicht nötig«, sagte Walker.
»Wirklich, es macht mir nichts aus. Es macht keine Mühe.«
»Das ist doch nur Georgie Gutzeit«, sagte Walker. »Ich könnte mit Georgie Gutzeit fertig werden, wenn ich bewusstlos wäre.« Er lächelte leicht in Georgies errötendes Gesicht, völlig unberührt von der Größe des Mannes, seiner bedrohlichen Ausstrahlung oder seiner Wut. »Wollen Sie das wirklich? Sind Sie sicher, dass ich meine Stimme nicht mehr habe? Wäre ich sonst hier im Stragefellows, ohne meine Stimmte, die mich beschützt? Vielleicht haben Sie all die schrecklichen Dinge vergessen, die ich Ihnen im Lauf der Jahre angetan habe. Oder die Sie sich unter meinem Einfluss selbst angetan haben. Sie sind nur ein billiger Schläger, Georgie, aber ich - ich bin Walker. Und jetzt hauen Sie ab und hören auf, mich zu belästigen. Oder ich werde Ihnen befehlen, etwas ganz Amüsantes und so Extremes zu tun, dass die Leute noch in dreißig Jahren über Sie lachen.«
Es war kein Körnchen Unsicherheit in Walkers Stimme. Er klang wie jemand, der jedes Wort meinte, das er sagte, auch die, die er nur andeutete. Georgie Gutzeit zögerte. Seine Wut verblasste angesichts Walkers Sicherheit. Georgie sah sich um. Eine Menge Leute hatten aufgehört mit dem, was sie taten, um zu sehen, was vor sich ging, aber keiner von ihnen sah aus, als hätte er die Absicht, sich einzumischen. Immerhin handelte es sich hier um Walker. Georgie drehte sich abrupt um und stakste davon. Walker nahm einen Schluck Perrier, seinen kleinen Finger abgespreizter denn je. Und jeder machte sich wieder daran, das zu tun, was er gerade tat.
»Furchtbarer Kerl«, murmelte Walker. »Ich hätte ihn schon vor Jahren einkassiert, aber dann würden zehn andere seine Stelle einnehmen. Für die, die hierherkommen, um Sünden für wenig Geld zu erstehen, wird es hier immer einen Markt geben.«
»Ich glaube, das haben Sie sehr elegant gedeichselt«, sagte ich.
»Danke. Ich habe viel Übung.«
»Wie lange glauben Sie, können Sie so weitermachen, bevor die Leute sicher wissen, dass Sie wegen Ihrer Stimme bluffen?«
»Warum glauben Sie, dass ich bluffe?«, fragte Walker.
Ich sah ihn nicht an. »Darf ich Sie was fragen? - Sie haben Ihre Stimme ursprünglich im Krieg gegen Lilith verloren? Lilith wie die biblische Lilith?«
»Ja.«
»Vergessen Sie's. Ich glaube nicht, dass ich das wirklich wissen will.«
»Sehr weise«, sagte Walker.
Hinter der Bar gab die Tragbare Zeitanomalie ein höfliches Zirpen von sich, um uns wissen zu lassen, dass die Ladezeit vorbei war. Die blonde Barkeeperin zog die Taschenuhr aus etwas, was wie ein Batterieladegerät auf Steroiden aussah, und knallte die Uhr mit so einem lauten Peng vor Walker auf die hölzerne Bar, dass wir beide zusammenzuckten. Walker lächelte höflich, tippte zum Abschied an seine Melone, nahm die Uhr und wandte sich mir zu.
»Das müssen wir draußen machen«, sagte er. »Hier in der Bar sind zu viele Schutzschilde und Verteidigungen eingebaut.«
»Um die Gläubiger draußen zu halten?«, fragte ich. »Das hab ich gehört!«, rief die Barkeeperin.
»Ich stelle fest, dass Sie es nicht abstreiten, Carol«, sagte Walker. »Also los, Eddie.«
Draußen vor der Bar konnte ich einen ersten wirklichen Blick auf die Nightside werfen. Walker gab mir ein paar Augenblicke Zeit, um mich umzusehen und mich mit der Umgebung vertraut zu machen. Die Nightside war alles, was ich immer dachte, dass sie sei: laut, schmierig, knallbunt und sie steckte tief in ihrem eigenen gefährlichen Glamour. Es war, als stünde man auf einem Boulevard der Hölle. Grellbunte Lichter blinkten über den halb geöffneten Türen von Nachtklubs, die nie schlossen, zusammen mit jeder Art von Musik, zu der man je bis zum Umfallen tanzen wollte, bis die Füße bluteten und einem das Herz brach. Läden und Kaufhäuser, die alles verkauften, wovon man selbst in seinen schlimmsten Albträumen träumte. Alle Sünden wurden angeboten, jede Sehnsucht ermutigt. Die Bürgersteige waren gepackt voll mit möglichen Kunden, die heiß auf Vergnügungen, Geheimnisse und in der Außenwelt verbotenes Wissen waren. Ungeheuer und Monster bewegten sich offen unter ihnen. An jedem anderen Ort hätte ich meine Sicht benutzen müssen, um so viel so klar zu sehen, aber das hier war die Nightside. Und das, alles das, war einfach nur Alltag.
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