»Nein«, widersprach der Halbe Mann. »Das ist keine Antwort. Es ist niemals gut, den niederen Klassen Waffen in die Hände zu drücken. Sie könnten anfangen, sich über ihren Stand Gedanken zu machen. Kanonen und Gewöhnliche passen einfach nicht zusammen. Sie haben noch nie zusammengepaßt.«
»Und wie sieht dann Euer großartiger Plan aus?« erkundigte sich Daniel.
Der Halbe Mann fixierte ihn mit einem kalten Blick aus seinem einzelnen Auge. »Investigatoren. Ich habe sie seit Dekaden darin ausgebildet, mit den Fremden umzugehen. Laßt mich eine Armee von Investigatoren ausbilden, und ich werde Euch eine Streitmacht zeigen, die kein Angriff der Fremden jemals überwinden wird.«
Eine weitere ausgedehnte Pause entstand, als jeder über eine Armee von sturen, kaltblütigen Mordmaschinen nachdachte, die nur dem Halben Mann und sonst niemandem gehorchten.
Ein Investigator allein wirkte schon einschüchternd genug, aber der Gedanke an eine Armee von ihnen reichte aus, um jedem die Eingeweide zu verdrehen. Daniel für seinen Teil zum Beispiel dachte, daß er lieber einer ganzen Armee von Fremden splitterfasernackt mit auf dem Rücken zusammengebundenen Beinen gegenübertreten wollte, aber er besaß genug Geistesgegenwart, das nicht laut zu sagen. Die anderen überlegten noch immer angestrengt, wieso der Halbe Mann ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt so ein Thema zur Sprache gebracht hatte.
War das seine Art, ihnen zu sagen, daß er eine Machtbasis besaß, die selbst durch die Massenproduktion des neuen Antriebs nicht unterminiert werden konnte? Sie dachten noch immer darüber nach, als die Tür aufschwang und Toby Shreck hereingestürzt kam, voller Energie wie immer. Flynn glitt hinter ihm her, eine neue Holokamera auf den Schultern. Die anderen drängten sich instinktiv zusammen und präsentierten eine vereinigte Front gegen den gemeinsamen Feind.
»So mag ich es«, sagte Toby unbekümmert. »Schöne Gruppenbilder! Entspannt Euch, Leute. Wir übertragen nicht, bevor die Zeremonie beginnt. Und das live, aber ich bin sicher, ich muß niemanden extra daran erinnern. Nicht wahr, Kardinal?
Ich hoffe, alle sind soweit fertig, denn der Rest der Fabrik ist es auch. Der gesamte Stab und die Kirchentruppen, die zur Zeit nicht flach auf dem Rücken liegen und leise vor sich hin stöhnen, haben sich draußen versammelt und stehen in dichten Reihen. Sie kochen in der sommerlichen Hitze und beten ganz ohne Zweifel, daß der Monsun bald einsetzt. Die Gefangenen des Kardinals sind in Reih und Glied angekettet worden. Sie haben einen ziemlichen Zauber veranstaltet, aber irgendeine freundliche Seele hat ihnen ein verdammt starkes Beruhigungsmittel verabreicht, und jetzt können sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Die Exekution wird bestimmt ein großartiges Spektakel, Kardinal. Das Volk liebt seinen blutigen Zeitvertreib. Selbst wenn die Opfer beinahe ausschließlich aus Frauen und Kindern bestehen. Was ist geschehen, Kardinal?
Waren die Rebellenmänner vielleicht alle zum Angeln ausgeflogen?«
»Eines Tages werdet Ihr Euch nicht wieder herausreden, wenn Eure Zunge Euch in Schwierigkeiten gebracht hat«, zischte Kassar. Er spuckte jedes einzelne Wort wie Eis hervor.
»Und ich bete nur, daß ich dabei bin, um Euch die vorlaute Zunge aus dem Rachen zu reißen.«
»Ihr ändert Euch auch niemals, Kardinal«, erwiderte Toby.
»Aber das gehört anscheinend zu Eurem Charme.« Er blickte zu Stephanie hinüber. »Dürfte ich vorschlagen, daß wir uns langsam in Bewegung setzen? Es ist niemals klug, ein so großes Publikum über Gebühr warten zu lassen. Ganz besonders dann nicht, wenn die Imperatorin Löwenstein ebenfalls unter den Zuschauern ist.«
Die Zeremonie, so war beinahe im letzten Augenblick beschlossen worden, würde trotz des Wetters im Freien abgehalten werden, so daß die beeindruckende Silhouette der Fabrik von all den Milliarden Zuschauern gesehen und bewundert werden konnte. Eine der Fertigungsstraßen war bis nach draußen vor das Hauptportal verlängert worden, damit man den ersten am Fließband produzierten Antrieb, der die Fabrik verließ, der wartenden Menge präsentieren konnte. Die wartende Menge bestand in diesem Fall aus dem zunehmend rebellisch werdenden Stab der Fabrik und den Kirchentruppen, in denen von Minute zu Minute die Bereitschaft wuchs, für ein Glas kaltes Wasser zu morden. Die meisten Gläubigen waren vom Schiff im Orbit herabgeschafft worden, damit die Masse auch groß genug wirkte. Sie schienen nicht im geringsten glücklich über ihr Hiersein. Tiefe Entrüstung machte sich in ihren Reihen breit, und selbst die wenigen verbliebenen Jesuiten konnten sie kaum unterdrücken.
Die Produktion des Antriebs hinkte dem Zeitplan bereits Monate hinterher, und jedermann wußte es. Die Ausgestoßenen hatten in letzter Zeit so häufig angegriffen, daß sie den Fertigungsprozeß tatsächlich bei mehr als einer Gelegenheit vollständig zum Erliegen gebracht hatten. Obwohl man das natürlich niemals öffentlich zugegeben hätte. Selbst unter den Feldglöcks nicht. Die offizielle Begründung lautete stets ›Kinderkrankheiten‹, wie sie bei der Entwicklung einer neuen Technologie nicht anders zu erwarten waren. Nur wenige Eingeweihte wußten, daß der Antrieb von einer nur teilweise verstandenen fremden Technologie abstammte und die beunruhigende Angewohnheit besaß, die Klone zu töten, die an der Maschinerie arbeiteten, und diese Leute hielten den Mund geschlossen. Die meisten von ihnen waren nämlich tot, und der Rest hatte keine Lust, ihnen zu folgen.
Toby hielt Flynn in Trab, damit er die Zeremonie aus so vielen Blickwinkeln filmte wie nur irgend möglich, ohne daß den Zuschauern schwindlig wurde. Er achtete sorgfältig darauf, den Hauptdarstellern gleichermaßen Beachtung zu schenken, um spätere Schadensersatzforderungen zu vermeiden, und er sorgte auch dafür, daß Flynn einen beträchtlichen Sicherheitsabstand zu Kardinal Kassar nicht unterschritt. Zum Glück war die Gewerkschaft bereit gewesen, Flynn per Notfall-Expreß eine neue Kamera für die Zeremonie zu senden. Und wenn eine filmende Kamera, die einem mit dem Disruptor von der Schulter geschossen wurde, keinen Notfall darstellte, dann wußte Toby nicht, was überhaupt einer war. Überraschenderweise hatte Flynn sich damals gar nicht so sehr aufgeregt. »Zur Hölle«, hatte er gesagt, »ich habe schon ›Demokratie jetzt‹Protestkundgebungen gefilmt. Das ist vielleicht eine bösartige Bande, bei Gott. Seither erschreckt mich nichts mehr so leicht.« Toby hatte gegrinst und die Schultern gezuckt, genau wie jetzt auch, und seine Arbeit fortgesetzt. Toby konnte nicht anders, als zu überlegen, wieviel die Imperialen Nachrichten auf den Tisch gelegt hatten, um seine exklusive und live übertragene Berichterstattung zu finanzieren. Es war keine großartige Neuigkeit. Auf der anderen Seite waren genügend prominente Persönlichkeiten anwesend, und zusammen mit der Erinnerung an den letzten, live übertragenen Angriff der Rebellen sollte das völlig ausreichen, um eine verdammt große Zuschauerschar zu mobilisieren. Einschließlich der Herrscherin persönlich. Was bedeutete, daß seine Übertragung eine große Feder an der Mütze der Imperialen Nachrichten werden konnte.
Wenn Toby es nicht vermasselte. Und er war fest entschlossen, es nicht zu vermasseln… teilweise auch deshalb, weil man ihm leise, aber bestimmt gesagt hatte, daß er andernfalls besser erst gar nicht nach Hause kommen sollte. Außer in mehreren Teilen vielleicht.
Also arbeitete Toby sich den Hintern wund, führte schnelle Interviews durch, wo sich eine Gelegenheit bot, kombiniert mit interessanten Aufnahmen von der wartenden Menge und den Gefangenen vor dem Fabrikkomplex, um die langen, gesalbten Reden von allen und jedem, der irgend etwas darstellte oder das zumindest von sich annahm, ein wenig zu beleben. Er war ein wenig außer sich, weil es ihm nicht gelungen war, ein Interview mit dem legendären Halben Mann zu bekommen, aber Investigator Klipp hatte sich alle Mühe gegeben, Toby in mehr als respektvoller Distanz zu halten.
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