Und dann, als hätten sie sich heimlich abgesprochen, drehten sich alle gleichzeitig um und sahen auf die großen stählernen Doppeltüren, die zu Löwensteins Hof führten. Mit einemmal war es in der Vorhalle ungewöhnlich still, als warteten selbst die Toten gespannt auf das, was als nächstes geschehen würde.
»Sollen wir klopfen?« fragte Hazel. »Oder sprengen wir uns einen Weg hinein?«
»Ich glaube nicht, daß wir klopfen müssen«, sagte Giles.
»Die Löwenstein weiß, daß wir hier sind. Sie weiß sicherlich auch, daß sie uns nicht am Betreten ihres Hofes hindern kann.«
Wie auf ein geheimes Zeichen hin schwangen die massiven schweren Türen langsam und lautlos auf. Blutrotes Licht fiel in die Vorhalle, und mit dem Licht kam der Gestank von Blut und Schwefel. Owen und Hazel setzten sich in Bewegung. Beide hielten ihre Schwerter und Pistolen in den Händen, und gemeinsam traten sie in die Hölle ein.
Am Hof vor dem Eisernen Thron gab Alexander Sturm seinem Bedürfnis zu prahlen nach. Sein Leben als Imperialer Agent tief im Innern des Apparats der Rebellen hatte natürlich dazu geführt, daß er niemandem sagen konnte, wer und was er in Wirklichkeit war, so daß er nun die ersehnte Gelegenheit beim Schöpf ergriff und eine kleine Schau veranstaltete. Die Imperatorin lächelte anerkennend auf ihn herab, und Dram und Valentin blickten ziemlich eifersüchtig drein. Razor und der Sommer-Eiland starrten ihn von ihren Plätzen unmittelbar hinter dem Eisernen Thron kalt an, doch Sturm scherte sich keinen Deut um die Meinung der beiden. Razor war ein Investigator, und der Sommer-Eiland war ein Psychopath. Auch Schwejksam, Frost und Stelmach zählten nicht. Die drei waren bekannt dafür, daß sie die Imperatorin immer wieder enttäuscht hatten… wohingegen er, Alexander Sturm, brillante Erfolge vorwei-sen konnte.
»Ich bin Imperialer Agent, seit die Rebellen auf Eisfels ihre Köpfe in die Hände gedrückt bekamen«, berichtete Sturm seinen Zuhörern voller Stolz. »Ich sah, wie Jakob fiel und gefangengenommen wurde, und ich wußte: Das war das Ende jeglicher Hoffnung für die Rebellion. Ich hatte so lange gekämpft, und das sollte alles völlig umsonst gewesen sein? Also ergab ich mich und schlug dem Imperium einen Handel vor. Es war ganz leicht. Sie waren froh, daß sie mich hatten. Sie erkannten meinen Wert. Seither habe ich mich tiefer und tiefer ins Herz des Untergrunds geschwindelt, und ein verdammter Dummkopf nach dem anderen schenkte mir sein Vertrauen. Ich sabotierte und unterlief ihre Operationen fast nach Belieben. Niemand hat mich jemals verdächtigt. Ich war Alexander Sturm, der große Rebellenheld, der Freund und Kamerad des legendären Jakob Ohnesorg.
Ich machte mir ziemliche Sorgen, als Jakob plötzlich wieder auf der Bildfläche erschien, doch die Hirntechs hatten ganze Arbeit geleistet. Sie hatten dafür gesorgt, daß er sich kaum noch an seine Zeit auf Eisfels erinnerte, geschweige denn an meine Fahnenflucht und meinen Verrat. Er erinnerte sich noch nicht einmal daran, daß ich den Hirntechs dabei half, ihn zu foltern und zu konditionieren, um meinen neuen Herren meine Loyalität zu beweisen. Als er dann wieder auftauchte und ich ihm nicht mehr länger ausweichen konnte, weil ich sonst Verdacht erweckt hätte, da waren wir wie alte Freunde, die sich nach langer Zeit wiedersahen. Er hat niemals hinter mein Lächeln geblickt und die Verachtung in meinen Augen gesehen.
Später dann war es nur noch eine Frage des geeigneten Zeitpunkts, bis ich die Kontrollworte benutzte, die unsere Hirntechs in Jakobs Unterbewußtsein eingepflanzt hatten. Und hier ist er nun, der große, berüchtigte Rebell Jakob Ohnesorg, und er steht vor Euer Majestät wie ein harmloses neugeborenes Kätzchen.«
»Was ist mit der Kopfgeldjägerin?« erkundigte sich Razor.
»Ich habe Berichte gesehen, denen zufolge sie Esperfähigkeiten besitzen soll…?«
»Macht Euch ihretwegen keine Sorgen«, sagte Sturm leichthin. »Sie ist bis zum Hals voll mit Beruhigungsmitteln und in so viele Ketten und Fesseln gewickelt, daß es ein Wunder ist, wenn sie überhaupt noch stehen kann.« Er ging zu Ruby hinüber und trat ihr von hinten in die Kniekehlen. Sie sackte zu Boden, und ihre Ketten rasselten laut. Sturm lachte fröhlich und trat wieder vor den Thron.
»Ich dachte, Ohnesorg sei Euer Freund?« erkundigte sich Kapitän Schwejksam.
Sturm zuckte die Schultern. »Das war er auch, früher. Und dann hat er mich im Stich gelassen, weil er nur ein Mensch war, nichts weiter. Legenden sollten nicht alt und müde und langsam werden, und sie sollten nicht häufiger verlieren als gewinnen. Ich war es leid, zu den Verlierern zu gehören. Ich wollte auf der Seite der Sieger stehen. Ich wollte Luxus und Reichtum und ein schönes Leben, das die vielen Jahre der Mühen wettmachte. Niemand hat es mir je gedankt, daß ich so oft mein Leben riskiert habe, keiner von diesen Bastarden . Keiner hat jemals gesagt: Danke, du hast genug getan, jetzt kann jemand anderes weitermachen. Nein, sie wollten immer und immer mehr. Sogar Jakob. Noch einmal in die Schlacht, und noch einmal und noch einmal. Auf irgendeinem gottvergessenen Felsen, von dem ich bis dahin noch nie ein Wort gehört hatte, führten wir verblödete Bauern gegen ausgebildete Imperiale Truppen, und alles für nichts und wieder nichts. All das viele Blut und die Angst und die toten Freunde – ich war es satt bis oben hin. Als Jakob fiel und in Gefangenschaft geriet, hat mir das die Augen geöffnet. Ich erkannte, wie vergeblich die ganze Rebellion war. Selbst wenn wir gewonnen und die Imperatorin gestürzt hätten, wäre sie durch irgend jemanden ersetzt worden, der genauso ist wie sie. Das liegt in der Natur der Sache und der Art und Weise, wie die Dinge sich immer wieder entwik-keln. Also tauschte ich Armut und Hoffnungslosigkeit gegen Reichtum und Sicherheit ein. Und gegen eine Chance, die Rebellen für all die Jahre meines Lebens bezahlen zu lassen, die sie mir achtlos gestohlen haben.«
»Er war trotzdem stets Euer Freund«, sagte Schwejksam.
Sturm funkelte den Kapitän wütend an. »War er das? Ich weiß nicht einmal mehr, wer er ist! Er müßte so alt sein wie ich, aber seht ihn Euch an! Er ist jung, und ich bin es nicht. Er ist ein Mann, der wieder einmal das Schicksal in den Händen hält, und ich nicht. Mein ganzes Leben war unfair, und er war schon immer das Unfairste daran.«
»Ich werde dich töten«, sagte Ruby Reise mit schwerer Zunge. Alle drehten sich nach der Kopfgeldjägerin um, die am Boden kniete und wegen ihrer Ketten nicht mehr auf die Beine kam. Sie hatte Mühe, den Kopf oben zu halten; doch sie warf Sturm haßerfüllte Blicke zu. »Er hat dir vertraut und dich geliebt wie einen Bruder. Er hat an deiner Seite gekämpft. Ich werde dich ganz langsam töten, du verräterischer Bastard. Ich werde dir das Herz herausreißen und es vor deinen Augen zer-quetschen, bevor du tot bist. Ketten können mich nicht halten, und Drogen lassen irgendwann in ihrer Wirkung nach. Ich werde dich sterben sehen, noch bevor ich sterbe.«
»Halt den Mund«, sagte Sturm. Er stolzierte zu ihr hinüber und boxte sie auf den Mund. Ruby kippte hintenüber. »Ich konnte dich noch nie ausstehen, du Miststück.« Er versetzte ihr ein paar Tritte.
»Ich denke, das reicht jetzt«, sagte Owen Todtsteltzer.
Seine Stimme hallte scharf und befehlend durch den gesamten Hof, und Sturm wich unwillkürlich ein paar Schritte zu-rück.
Alle drehten sich um und sahen, wie Owen seine Begleiter durch das Inferno hindurch zum Eisernen Thron führte. Zwei Todtsteltzer, beide Legenden und Männer, die das Schicksal der Menschheit in den Händen hielten. Hazel d’Ark, die einstige Piratin und Heldin der Rebellen. Johana Wahn, die heilige Verrückte des Esper-Untergrunds. Und hinter ihnen, wie Aas-geier mit großer Erfahrung auf Schlachtfeldern, die beiden Nachrichtenmänner Tobias und Flynn, die gekommen waren, um das Ende der Geschichte zu erleben, wie auch immer sie ausgehen mochte.
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