Alle drehten sich nach Owen um, der am Fuß des Eisernen Throns stand. Löwensteins Diamantenkrone war heruntergefal-len, als Kit Sommer-Eiland den Kopf von ihrem unbeseelten Körper abgeschnitten hatte, und jetzt lag sie direkt vor Owens Füßen. Er starrte auf sie hinunter, und sie schien sein gesamtes Sichtfeld auszufüllen. Die Krone, die über das Imperium herrschte. Owen stand dort, im verlassenen Imperialen Hof, und Blut tropfte von seiner Klinge. Er war am Ende seiner Reise angekommen, und was hatte er vorzuweisen? Er konnte die Krone aufheben, sie auf seinen Kopf setzen und sich zum Imperator erklären. Er konnte es tun. Er war der letzte Todtsteltzer, und er war bereits zu Lebzeiten genauso eine Legende wie sein toter Urahn. Held der Rebellion, Erlöser der Verlorenen Welt Haden, Retter der Nebelwelt. Eine fast beliebige Anzahl von Menschen und Ideologien würden ihm folgen und ihn aus den unterschiedlichsten Gründen unterstützen. Owen konnte sich zum Imperator machen. Vielleicht würde er ein paar seiner alten Gefährten einsperren oder gar töten und ein paar Ideale aufgeben müssen; aber er könnte über das Imperium herrschen.
Er könnte die Dinge in Ordnung bringen und nach seinen Vorstellungen formen. Owen bückte sich und griff nach der Krone.
»Und?« sagte Hazel leise an seiner Seite . »Willst du sie?«
Owen wog die Krone in den Händen; dann ließ er sie wieder fallen . »Nein . Sie ist mir zu schwer.«
»Du hast ein legitimes Recht darauf, Owen«, sagte Ohnesorg vorsichtig.
»Nein!« wiederholte Owen. »Ich war in Versuchung, aber nur für einen kurzen Augenblick. Ich wollte nie Herrscher sein, genausowenig , wie ich ein Krieger sein wollte. Vielleicht kann ich ja , wenn jetzt alles vorbei ist , endlich wieder ein Historiker und Gelehrter sein, der für nichts und niemanden wichtig ist außer für sich selbst. Das ist alles, was ich mir je gewünscht habe.« Er sah zum Eisernen Thron. »Keine Krone mehr. Kein Thron. Es macht die Menschen korrupt und weckt das Böse in ihnen. Selbst in guten Menschen wie Giles.« Er ballte die Fäuste und starrte den Thron an, und das schwere eiserne Möbel knackte und brach in der Mitte auseinander. Dunkle Trümmer fielen zu beiden Seiten herunter. »Kein Thron mehr. Keine Herrscher mehr. Es ist Zeit, daß wir uns selbst regieren.«
»Gut gesagt, Owen!« lobte Jakob Ohnesorg. Der legendäre Rebell trat vor und klopfte Owen auf die Schulter. »Doch es ist noch nicht vorbei, weder für dich noch für mich. Die Fremdwesen lauern noch immer irgendwo dort draußen. Und Shub.
Irgend jemand muß das Imperium wieder in Ordnung bringen und die Menschheit stark machen. Man wird uns jetzt mehr brauchen denn je zuvor.«
»Wißt ihr eigentlich, daß wir nie darüber gesprochen haben, durch welches System wir das Imperium ersetzen wollen?« fragte Hazel. »Unsere Rebellion hat eine Menge Leute vereint, die keinerlei Gemeinsamkeiten besaßen außer ihrem Wunsch, die Löwenstein zu stürzen. Ich kann mir vorstellen, daß es eine Menge Streits und Auseinandersetzungen geben wird.«
»Gut so«, sagte Jakob Ohnesorg. »Gesunder Streit ist ein Eckpfeiler der Demokratie.«
»Und wenn uns nicht gefällt, was sie sagen, können wir ihnen immer noch in die Hintern treten«, grinste Ruby Reise.
Jakob Ohnesorg funkelte sie an. Ruby hob eine Augenbraue.
»Ist was?«
»Das ist ein Problem, um das wir uns morgen kümmern«, beschloß Owen. »Heute feiern wir erst einmal unseren Sieg. Wir haben genug dafür bezahlt, in Blut und mit dem Verlust von Freunden und Angehörigen.«
»Aber ein paar von uns sind immer noch da, Owen«, sagte Hazel.
»Ganz recht«, antwortete Owen. Und dann nahm er Hazel in die Arme und wollte sie küssen; aber Hazel schob ihn von sich weg.
»Bilde dir nur keine Schwachheiten ein, Bursche«, sagte sie.
Und dann erwiderte sie seinen Kuß.
»Geh so nah dran, wie du nur kannst!« flüsterte Tobias seinem Kameramann Flynn zu. »So ein Happy-End hat doch was Bewegendes , oder nicht?«