Schwejksam legte seine gesamte Kraft und all seine Ge-schicklichkeit in jeden seiner Schläge, und trotzdem hatte er Mühe, den Angriffen des Todtsteltzers zu widerstehen. Der junge Rebell kämpfte, als sei sein Leben nicht länger von Bedeutung und als zähle nur der Sieg. Schwejksam bemühte sich, ebenso zu fühlen. Das gesamte Imperium hing jetzt von ihm ab. Alles, an das er jemals geglaubt und wofür er je gekämpft hatte. Alles, was seinem Leben jemals Sinn und Inhalt gegeben hatte. Doch am Ende war seine Überzeugung nicht so stark wie Owens, und vielleicht war das der Grund, warum sein Schwert am Ende einen Sekundenbruchteil langsamer war. Owen wischte seine Klinge beiseite, sprang vor und setzte die Schwertspitze an Schwejksams Hals. Lange Zeit standen die beiden Männer einfach nur einander gegenüber und atmeten schwer vor Anstrengung.
»Ich kann Euch nicht töten«, sagte Owen schließlich. »Es wäre, als würde ich mich selbst töten. Ergebt Euch, Kapitän.
Legt Euer Schwert nieder, und ich garantiere für Eure Sicherheit. Die Rebellion braucht Menschen wie Euch, um das Reich wieder zu errichten.«
»Meine Loyalität…«
»Gilt den Menschen im Imperium. Helft uns, das Beste daraus zu bewahren , damit wir es nicht zusammen mit all dem Schlechten über Bord werfen.«
Kapitän Johan Schwejksam sah auf seine Imperatorin, dann auf die Hölle, in die sie ihren Hof verwandelt hatte. Langsam öffnete er die Hand, und sein Schwert polterte klappernd zu Boden. Owen senkte die Klinge. Sie verneigten sich respektvoll voreinander und drehten sich dann zu Hazel und Investigator Frost um. Die beiden Frauen hatten sich bis zur Erschöpfung duelliert, und jetzt standen sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber und rangen nach Luft, während die Schwerter in den kraftlos gewordenen Händen zitterten. Ihre Augen waren wild entschlossen wie zuvor; doch sie hatten sich gegenseitig über alle Maßen gefordert, und beide waren zu stolz, um ihre übernatürlichen Fähigkeiten einzusetzen.
»Hör auf, Hazel«, sagte Owen. »Keine von euch beiden wird diesen Kampf gewinnen. Und keine von euch beiden wird nachgeben. Ihr seid zu gleichwertig. Laßt voneinander ab, und wir machen mit dem weiter, weswegen wir hergekommen sind.«
Hazel dachte über Owens Worte nach. Sie legte die Stirn in Falten, und Schweiß rann über ihre Schläfen. »Ach, zur Hölle«, sagte sie schließlich. »Wir können es ja später noch einmal versuchen, wenn wir mehr Zeit haben. Was sagst du dazu, Investigator? Ich höre auf, wenn du auch aufhörst.«
»Niemals«, erwiderte Frost. »Ich bin Investigator. Das Imperium hat mich zu dem gemacht, was ich bin . Ich werde niemals aufgeben und niemals weichen . Tötet mich, wenn Ihr könnt, Rebellin!«
»Es muß nicht so enden«, sagte Owen.
»Doch, es muß!« fauchte Frost. »Das ist mein Leben. Mein Sinn. Meine Bestimmung. Ich werde niemals aufgeben. Ich kann einfach nicht. Tötet mich, wenn Ihr könnt.«
Hazel senkte das Schwert. »Ich kann nicht. Nicht so jedenfalls.«
»Aber ich«, sagte Kit Sommer-Eiland, und mit einer Bewegung, die so schnell war, daß niemand zu reagieren vermochte, bevor es zu spät war, zog er einen verborgenen Dolch und schleuderte ihn mit aller Kraft. Frost hatte sich bei seinen Worten zu ihm umgedreht, und das Messer traf sie an der Kehle.
Ein dicker Blutschwall schoß aus der Wunde und floß in Strömen über ihre Brust. Frost ließ das Schwert fallen und umklammerte mit beiden Händen ihren Hals. Blut quoll zwischen ihren Fingern hervor. Sie wollte das Messer herausziehen und setzte sich dann plötzlich, als sämtliche Kraft aus ihr wich. Mit einem Satz war Schwejksam an ihrer Seite und hielt sie in den Armen. Sie zitterte unkontrolliert, und er drückte sie an sich.
Frost wirkte schockiert und verwirrt, als könne sie nicht glauben, was mit ihr geschehen war.
»Wie dumm, auf diese Weise zu sterben«, murmelte sie mit schwerer Stimme. Ein feiner roter Nebel von Blut sprühte aus ihrem Mund. »Mir ist kalt. So kalt.«
»Ich bin bei dir«, sagte Schwejksam. »Ich bin bei dir.«
»Ich hätte nie gedacht… daß es eines Tages so enden wür-de.«
»Still«, sagte Schwejksam. »Spar deine Kräfte, bis wir einen Arzt herbeigeschafft haben.«
»Nein«, widersprach Frost. »Wir haben uns niemals belogen, Kapitän. Fangt nicht jetzt damit an.«
»Dann heile dich selbst! Ich habe es auch getan.«
»Zu spät, Kapitän. Dazu ist es viel zu spät.«
»Du warst ein guter Soldat«, sagte Schwejksam mit brechender Stimme. »Der beste, den ich je kannte, bis zum Ende.«
»Selbstverständlich. Ich bin Investigator. Johan…«
»Ja?« fragte Schwejksam, doch dann entwich ihr ein letzter Seufzer, und sie atmete nicht mehr. Schwejksam drückte sie an sich. »Guter Soldat. So ein guter Soldat.« Irgendwann ließ er sie los und erhob sich wieder. Seine Uniform war voll von ihrem Blut. Er sah den Sommer-Eiland an, der seinen Blick grinsend erwiderte .
»Warum?« fragte Schwejksam. »Warum ausgerechnet sie und nicht ich?«
»Ihr habt meinen David getötet«, antwortete Kit. »Jetzt wißt Ihr, was ich gefühlt habe. Wollt Ihr vielleicht versuchen, mich zu töten, alter Mann?«
»Nicht jetzt«, sagte Schwejksam. »Es hat genug Blutvergießen gegeben. Außerdem hätte sie niemals aufgegeben. Bleibt mir einfach eine Weile aus den Augen, Killer.«
Er drehte sich zu Owen und Hazel um, als wüßte er nicht, was er als nächstes tun sollte. Stelmach und Frost waren tot, und er hatte sich von seiner Imperatorin losgesagt. Es schien unmöglich, daß sein gesamtes Leben in so kurzer Zeit so gründlich zerstört worden war.
»Es tut mir leid wegen Investigator Frost«, sagte Owen.
»Manchmal ist es unmöglich, daß alle gewinnen.«
»Du hast sie geliebt, nicht wahr, Kapitän?« fragte Hazel.
»Hast du es ihr je gesagt?«
»Sie hätte nicht gewußt, was sie mir darauf antworten soll«, antwortete Schwejksam. »Sie war ein Investigator.«
Es gab nichts mehr zu sagen, und so wandten sich alle wieder einmal zur Löwenstein auf ihrem Eisernen Thron um. Sie funkelte die Rebellen herausfordernd an. All ihre Champions waren tot oder besiegt; aber sie gab sich immer noch nicht geschlagen. Es war ein vollkommener Augenblick der Konfrontation, und er schien sich endlos hinzuziehen. In der Hölle war es sehr still geworden. Die Engelswachen waren tot; die Jungfrauen waren wieder zu Menschen geworden, und selbst die holographischen Illusionen rührten sich nicht mehr, als warteten sie gespannt auf das, was als nächstes geschehen würde.
Owen trat langsam vor, bis er allein am Fuß des Eisernen Throns stand. Er hatte einen weiten Weg hinter sich, bis er an diesem Ort angekommen war. Jetzt stand er der Frau gegenüber, die sein Leben zerstört und ihm alles genommen hatte, was er je besessen oder geliebt hatte. Wegen ihr war er durch das Imperium geirrt, ständig auf der Flucht vor den Bluthunden auf seinen Fersen, und hatte sich seines Lebens nicht mehr sicher gefühlt. Und wegen ihr war er zu etwas geworden, von dem er immer noch nicht sicher war, ob er es guthieß – die Art von Mann, die er nach dem Willen seiner Familie schon immer hatte werden sollen, ein Kämpfer und Krieger . Und doch – jedesmal, wenn er schwankte, mußte er nichts weiter tun als sich das Bild des jungen Mädchens ins Gedächtnis zu rufen, das verkrüppelt von Owens Schwert im niedergetrampelten Schnee von Nebelhafen in seinem eigenen Blut gelegen und hilflos vor sich hin geweint hatte, bis Owen ihm den Gnadenstoß versetzt hatte. Es war Zeit, das alles zu beenden. Jetzt. Er nickte der Imperatorin beinahe vertraulich zu.
»Es ist vorbei, Löwenstein. Zeit zu gehen. Steht auf von Eurem Thron.«
»Nein!« rief Giles. »Noch nicht. Es ist nicht eher vorbei, als bis ich es sage. Geh weg vom Thron, Owen. Das ist nicht dein Augenblick, sondern meiner.«
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