Simon R. Green
Über das abenteuerliche Leben des OWEN TODTSTELTZER
Der Legende vierter Theil
TODTSTELTZERS EHRE
Wenn letzten Ende alles andere scheitert, bleibt die Ehre.
Sie waren schließlich offizielle Helden der großen Rebellion: Owen Todtsteltzer, ausgestoßener Aristokrat und widerstrebender Krieger.
Hazel D’Ark, Ex-Klonpascherin und Ex-Piratin.
Jakob Ohnesorg, der legendäre Berufsrevolutionär.
Ruby Reise, die berüchtigte Kopfgeldjägerin.
Gemeinsam kämpften sie im Namen der Freiheit und Gerechtigkeit gegen unmögliche Widerstände an und triumphierten ein ums andere Mal. Sie stellten eine Armee der Kühnen und Tapferen auf, der Geknechteten und Verzweifelten, und führten sie zum Sieg. Und im großen Stahl- und Messingpalast der Heimatwelt Golgatha stürzten sie die Imperatorin Löwenstein XIV und vernichteten endgültig den Eisernen Thron des Imperiums.
Sie hätten gefeiert und geehrt werden und auf allen Planeten höchste Ehrungen erfahren sollen.
Sie hätten glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben sollen.
Leider ist das Leben nicht so.
KAPITEL EINS
DAS HAUS DER GEBEINE
An Bord der guten Sonnenschreiter II :
»Kopfgeldjäger!« sagte Hazel D’Ark angewidert. »Nach allem, was wir geleistet haben, was wir durchgemacht haben, sind wir letztlich nichts weiter geworden als bessere Kopfgeldjäger!«
»Immer noch besser als das, was wir bislang getan haben«, versetzte Owen sanft. Der hochgewachsene und langgliedrige Mann mit dem dunklen Haar und den noch dunkleren Augen lümmelte schlaff im bequemsten Sessel des Salons. »Die Jagd auf Kriegsverbrecher ist eine wichtige Aufgabe. Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich finde es viel nervenschonender, der Jäger zu sein als der Gejagte. Obendrein müßte es für Euch mal eine nette Abwechslung bedeuten, auf der Seite des Gesetzes zu stehen.«
»Es geht ums Prinzip!« schnauzte Hazel. »Wir waren schließlich wer! Wir haben Armeen geführt! Wir haben das Imperium gestürzt! Haben immer wieder riskiert, daß uns jemand die Ärsche wegballert, und trotzdem finden wir uns wieder, wie wir für das Parlament die Drecksarbeit tun. Am liebsten würde ich kotzen.«
Owen sah sich für einen Moment aus dem Konzept gebracht.
Eigentlich hätte er gutes Geld darauf verwettet, daß Hazel ein Prinzip nie als solches erkannt hätte, selbst wenn sie auf dem Rückweg von der Toilette darüber stolperte. Er raffte sich jedoch tapfer auf und beendete die Diskussion mit einem treffenden, wenn auch nicht gänzlich taktvollen Einwurf.
»Wenn ich mich recht entsinne, war das ohnehin alles Eure Idee.«
Hazel bedachte ihn mit einem finsteren Blick und wandte sich ab, um das nächste Schott anzufunkeln. Sie hatte wieder eine ihrer Launen und war nicht bereit, sich von simpler Logik umstimmen zu lassen. Owen seufzte, besaß jedoch ausreichend gesunden Menschenverstand, es ganz leise zu tun. Um die Wahrheit zu sagen: Auch er empfand es als eine Art Abstieg, jetzt als Kopfgeldjäger loszuziehen, aber alle Alternativen wären schlimmer ausgefallen. Während er noch in der Rebellion kämpfte, hatte er nie richtig darüber nachgedacht, was er mal tun wollte, wenn es vorbei war. Vor allem deshalb nicht, weil er die meiste Zeit zu sehr damit beschäftigt war, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, aber auch, weil er nie ernsthaft damit gerechnet hatte, noch in seiner Lebenszeit das Ende der Rebellion zu erleben. Die meisten Leute, die sich zum Widerstand aufrafften gegen Imperatorin Löwenstein XIV, auch die Eiserne Hexe genannt, landeten frühzeitig im Grab. Oft mit fehlenden Körperteilen. Aber schließlich hatte sich in Owens Leben noch nie etwas so entwickelt, wie er es erwartet hatte.
Wenn er zurückblickte, so schien er die meiste Zeit seines Lebens von einer Krise in die nächste gestolpert zu sein, oft mehr von den Umständen getrieben als aufgrund eigener Pläne und Wünsche handelnd. Überall um ihn herum spannen Intriganten und Verschwörer ihre Netze, von denen er meist nicht mehr mitbekam als den Schatten, den sie beiläufig auf sein Leben warfen. Und letztlich fand er, daß es trotz seiner Absichten und seiner kühnen Gefährten und der geheimnisvollen Kräfte, die ihm das Labyrinth des Wahnsinns verliehen hatte, die eigene schiere Sturheit gewesen war, die ihn gegen den Eisernen Thron geführt hatte, und die Weigerung, sich ungünstigen Chancen zu beugen, die einen Mann mit mehr Vernunft abgeschreckt hätten.
Er war zum Helden und zum Retter der Menschheit geworden, und niemanden hatte das mehr überrascht als ihn selbst.
Er hatte erwartet zu scheitern. Zu sterben, und zwar qualvoll.
Statt dessen stürzte er ein Imperium, das über ein Jahrtausend Bestand gehabt hatte, setzte die Herrscherin ab, vernichtete ihren Thron und erlebte das Ende praktisch jeder sozialen und politischen Struktur mit, an die er glaubte. Und damit begannen die Probleme erst richtig.
Löwensteins Leichnam war noch nicht erkaltet, als schon die Geier herabstießen. Noch während die letzten Gefechte tobten, setzte zwischen den diversen Gruppierungen der Rebellen ein heftiger Streit darüber ein, was genau an die Stelle des alten Systems treten sollte. Selbst die wenigen, die am Ende persönlich beteiligt waren, konnten zu keiner Übereinkunft gelangen.
Owen hätte am liebsten gehabt, daß die Dinge weitgehend so blieben wie bisher, daß nur ein paar politische Reformen durchgeführt und ein paar Ungerechtigkeiten bestraft wurden.
Hazel hätte am liebsten das ganze System niedergerissen und die Familien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vors Kriegsgericht gebracht. Jakob Ohnesorg beharrte auf Demokratie für alle, einschließlich aller Klone und Esper und sonstiger Unpersonen. Ruby Reise wollte die Beute sehen, die man ihr versprochen hatte.
Bald schlossen sich ihnen bei Hofe Vertreter der Klon- und Esper-Bewegung an sowie politischer Randgruppen aller Formen und Schattierungen und mehr religiöser Gruppierungen, als man überhaupt zählen konnte. Alle erpicht darauf, ihre Vorstellungen durchzusetzen. Zum Glück waren alle zu müde, um sofort einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen. Der Streit entwickelte sich zu einer Sackgasse, und alle stampften in unterschiedliche Richtungen auseinander, um neue Pläne und Intrigen zu schmieden. Im Moment besorgte das Parlament die Alltagsgeschäfte des Imperiums, weil das ja irgend jemand tun mußte, und die Abgeordneten hatten wenigstens Erfahrung auf diesem Gebiet. Niemand traute ihnen auch nur so weit, wie er spucken konnte, aber das wiederum war nichts Neues.
Männer und Frauen, die einmal miteinander verbündet gewesen waren, darauf eingeschworen, sich bis in den Tod und darüber hinaus zu verteidigen, bekämpften einander nun heftig über dogmatische Punkte und Fragen der Vorrangstellung.
Owen vermutete, daß ihn das nicht hätte überraschen dürfen.
Er war schließlich Historiker. Alles, was die diversen Rebellengruppen gemein gehabt hatten, war ein gemeinsamer Feind.
Und obwohl sie alle mit Begriffen wie Gerechtigkeit und Freiheit um sich warfen, bedeuteten sie für unterschiedliche Leute auch Verschiedenes.
Und dann war da noch das Abkommen, das Ohnesorg inmitten des verzweifeltsten Kampfes geschlossen hatte – nämlich die aristokratischen Familien zwar abzusetzen, aber nicht zu vernichten. Als sich die großen Häuser mit einer zunehmend siegreichen Armee konfrontiert sahen, die nach ihrem kollektiven Blut schrie, schlossen sie sich zusammen und boten an, auf Macht und Privilegien zu verzichten, falls man ihnen dafür erlaubte, als rein ökonomische Mächte zu überleben. Das war das Zuckerbrot. Die Peitsche bestand in ihrer Drohung, die wirtschaftliche Basis des ganzen Imperiums zu zerstören und jede zivilisierte Welt in die Barbarei zurückzuschleudern. Niemand bezweifelte, daß sie dazu fähig waren. Und so traf Ohnesorg das Abkommen, um Milliarden das Leben zu retten, aber niemand dankte ihm dafür. Der Mann auf der Straße sah sich um seine Rache betrogen; die Rebellen warfen ihrem geliebten Helden vor, er hätte seine politischen Überzeugungen verkauft; und die Familien haßten ihn, weil sie ihren hochgeschätzten Adelsstand verloren hatten. Ohnesorg mußte eine Sekretärin einstellen, nur um sich um die Haßbriefe und Morddrohungen zu kümmern.
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