Bastets Katzenaugen blickten überrascht. »Du kannst mir gar nichts tun, meine Kleine.«
»Ich bin nicht deine Kleine. Du magst uralt sein, aber jemandem wie mir bist du trotzdem noch nie begegnet. Ich besitze die Urgewalt, die deine Magie zunichtemachen kann. Ich kann die Vögel und Katzen in ihre natürliche Gestalt zurückverwandeln.« Sophie legte den Kopf schief. Josh kannte das. So machte sie es, wenn sie jemandem aufmerksam lauschte. Dann streckte sie die Hände nach der Erstgewesenen aus. »Was denkst du wohl, würde passieren, wenn ich dich berühre?«
Bastet zischte einen Befehl und drei riesige Katzenmenschen schossen auf Sophie zu. Die schüttelte den Arm und wie eine Peitschenschnur schlängelte sich ein langes Band silberner Energie aus ihren Fingern. Es berührte nacheinander alle drei Katzen, legte sich über Hüften und Schultern, und sie hielten sofort stolpernd inne, zuckten und wälzten sich auf dem Boden, während sie sich in ganz gewöhnliche Hauskatzen verwandelten: zwei Mischlinge und ein zerzauster Perserkater. Sie sprangen auf die Beine und schossen mit mitleiderregendem Kreischen davon.
Sophie ließ die Peitschenschnur über ihrem Kopf kreisen und flüssige Silbertröpfchen stoben in alle Richtungen. »Ich will dir einen Vorgeschmack auf das geben, was ich alles kann...« Die silberne Peitschenschur knallte, als sie näher kam.
Scatty stellte überrascht fest, dass drei ihrer Gegner sich plötzlich verwandelt hatten: einer in eine Wanderdrossel, einer in einen Buchfink und einer in eine Lerchenammer. Der exotisch aussehende Katzenmensch direkt vor ihr wand sich und wurde zu einer verwirrt herumtorkelnden Siamkatze.
Immer wieder ließ Sophie die Silberpeitsche knallen. Silbertröpfchen flogen in alle Richtungen und immer mehr Katzen- und Vogelmenschen verwandelten sich in ihre natürliche Gestalt zurück. »Lass Nicholas in Ruhe« , sagte sie, doch ihre Lippen bewegten sich nicht synchron zu ihren Worten, »oder wir werden herausfinden, welches deine wahre Gestalt ist, Bastet, die auch Mafdet ist, Sekhmet und Menhit.«
Langsam erhob Bastet sich, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und entfernte sich ein paar Schritte von Flamel. Die Augen mit den schmalen Pupillen waren weit aufgerissen. »Es ist lange her, seit mich jemand bei diesen Namen genannt hat. Wer bist du – bestimmt kein Humani-Mädchen aus der heutigen Zeit.«
Sophie bewegte die Lippen, doch es dauerte einen Moment, bevor die Worte folgten. »Nimm dich vor diesem Mädchen in Acht, Bastet. Sie ist dein Untergang.«
Bastets Fell sträubte sich und an den bloßen Armen bekam sie eine Gänsehaut. Sie ging langsam noch ein paar Schritte rückwärts, drehte sich dann jäh um und flüchtete zu dem brennenden Weltenbaum.
Nicholas rappelte sich auf und wankte auf Sophie, Josh und Scatty zu. »Perenelle?«, flüsterte er.
Sophie wandte ihm das Gesicht zu, doch ihr Blick war leer. Ihre Lippen bewegten sich und dann kamen, wie in einem schlecht synchronisierten Film, die Worte: »Ich bin in San Francisco, werde im Keller der Enoch Enterprises festgehalten. Es geht mir gut. Bring die Kinder Richtung Süden, Nicholas.« Ein langer Moment herrschte Schweigen, dann kamen die Worte schneller, als Sophie die Lippen bewegen konnte. Ihre silberne Aura wurde schwächer und die Augen fielen ihr zu. »Bring sie zu der Hexe.«
D r. John Dee wurde langsam panisch. Nichts lief nach Plan, und wie es aussah, würde er auch noch aktiv in den Kampf eingreifen müssen.
Flamel, Scatty und die Zwillinge hatten sich aus Hekates Baum retten können und kämpften nun auf der anderen Seite der Wiese, gerade mal 150 Meter von ihm entfernt. Aber er konnte nicht hinübergehen; das hieße, ein Schlachtfeld zu überqueren. Die letzten Torc Allta, sowohl in Tier- als auch in Menschengestalt, kämpften ohne Pause gegen Katzen- und Vogelmenschen. Die Federnattern waren bereits geschlagen. Anfangs hatten die geflügelten Schlangen Chaos unter den Katzen und Vögeln verbreitet, doch auf dem Boden waren sie schwerfällig und unbeholfen und die meisten waren kurz nach ihrer Landung getötet worden. Die gewaltige Armee der Torc Allta war beträchtlich geschrumpft, und Dee vermutete, dass es in spätestens einer Stunde in Nordamerika keine Wereber mehr gab.
Aber so lange konnte er nicht warten. Er musste jetzt zu Flamel. Er musste die Seiten aus dem Codex zurückholen, und zwar so schnell als möglich.
Von seinem Versteck hinter einem Gebüsch beobachtete Dee die Schlacht der Älteren. Hekate stand am Eingang zu ihrem Baumhaus, umgeben von den letzten ihrer persönlichen Torc-Allta-Wachen. Während die wilden Eber die Katzen und Vögel abwehrten, hatte Hekate es allein mit der Morrigan und mit Bastet aufgenommen.
Die drei ignorierten ihre halbmenschlichen Krieger um sie herum völlig. Für den zufälligen Beobachter hätte es so ausgesehen, als schauten die drei Göttinnen sich lediglich an. Dee jedoch bemerkte die rotgrauen Wolken, die sich über ihnen zusammenballten, er sah, wie die zarten, weißgoldenen Blumen, die um den Baum herum wuchsen, welkten und starben und innerhalb von Sekunden zu einer schwarzen Paste zusammenschmolzen. Die unansehnliche Pilzpatina auf den ehemals glatt polierten Steinplatten des Weges war ihm vorher schon aufgefallen. Dee lächelte. Es konnte nicht mehr lange dauern. Allzu lang konnte Hekate den beiden anderen, Tante und Nichte, nicht standhalten.
Doch Hekate zeigte keinerlei Anzeichen von Schwäche.
Und dann schlug sie zurück.
Die Luft, schwer vom Gestank des brennenden Baumes, verharrte völlig windstill. Dennoch sah Dee, wie ein Wind, den er nicht spürte, unter den Umhang der Morrigan fuhr, sodass er ihr um die Schultern flatterte und die hochgewachsene Bastet sich dagegenstemmen musste, um nicht umgeweht zu werden. Das Muster auf Hekates metallisch schimmerndem Kleid veränderte sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Die Farben vermischten sich und wechselten ständig.
Mit wachsender Besorgnis sah Dee einen dunklen Schatten über das welke Gras gleiten, dann beobachtete er, wie sich ein Schwarm winziger schwarzer Fliegen auf Bastets Fell niederließ und ihr in Ohren und Nase kroch. Die Katzengöttin heulte auf und stolperte rückwärts, dabei rieb sie hektisch über ihr Gesicht. Sie stürzte und wälzte sich im Gras, um die Insekten loszuwerden. Doch es kamen immer mehr, und bald waren auch Feuerameisen und Höhlenspinnen darunter, die aus dem Gras kamen und auf ihren Körper krochen. Bastet kauerte auf Händen und Knien und warf den Kopf zurück. Dann sprang sie auf und lief über die Wiese, fiel wieder hin und wälzte sich in einem flachen Teich – alles, um die Insekten loszuwerden. Sie hatte die Wiese mehr als zur Hälfte überquert, als die dicke schwarze Wolke endlich von ihr abließ. Sofort wollte Bastet umdrehen und zum Weltenbaum zurückgehen – doch in dem Moment ballte sich der Fliegenschwarm drohend vor ihr in der Luft zusammen, dichter als je zuvor.
Zum ersten Mal durchzuckte Dee der Gedanke, dass Hekate vielleicht – nur vielleicht – gewinnen könnte. Bastet und die Morrigan zu trennen, war ein cleverer Zug gewesen. Dafür zu sorgen, dass Bastet nicht mehr zurückkonnte, schlicht ein Geniestreich.
Als Bastet merkte, dass ihr der Rückweg abgeschnitten war, fauchte sie wütend. Dann drehte sie sich um und lief hinüber zu der Stelle, wo Flamel, Scatty und die Zwillinge kämpften. Dee sah, wie sie einen gewaltigen Sprung machte und den Alchemysten zu Fall brachte. Das verschaffte ihm zumindest eine gewisse Genugtuung, und er erlaubte sich ein Lächeln – das rasch wieder erlosch, als ihm bewusst wurde, dass er immer noch auf dieser Seite der Wiese festsaß. Wie sollte er an Hekate vorbeikommen?
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