Jacob sah eine Warnung in seinem Blick. Und eine Bitte.
Aber er schüttelte den Kopf.
»Ich werde hier sein, wenn es dunkel wird.«
»Natürlich wirst du das«, sagte Donnersmarck.
Und schob sich aus der Tür.
46
DIE DUNKLE SCHWESTER
Es war seit einer Stunde dunkel, aber auf dem Flur vor Jacobs Zimmer blieb es still, und er befürchtete schon, dass Donnersmarck ihn vor sich selbst beschützen wollte, als es endlich an seiner Tür klopfte. Aber es standen keine kaiserlichen Soldaten davor, sondern eine Frau.
Jacob erkannte Fuchs erst kaum. Sie trug einen schwarzen Mantel über ihrem Kleid und hatte sich das Haar hochgesteckt.
»Clara wollte deinen Bruder noch ein letztes Mal sehen.« Ihre Stimme klang nicht nach erleuchteten Straßen, sondern nach Wald und dem Fell der Füchsin. »Sie hat den Zwerg überredet, dass er morgen mit ihr auf die Hochzeit geht.«
Sie strich sich über den Mantel. »Es sieht so lächerlich aus, oder?«
Jacob zog sie ins Zimmer und schloss die Tür. »Warum hast du es Clara nicht ausgeredet?«
»Warum sollte ich?«
Er zuckte zusammen, als sie seinen verletzten Arm berührte.
»Was ist passiert?«
»Nichts.«
»Clara sagt, du willst die Dunkle Fee finden. Jacob?« Sie nahm sein Gesicht zwischen ihre Hände. So schmale Hände, immer noch wie die eines Mädchens. »Ist das wahr?«
Ihre braunen Augen blickten ihm ins Herz. Fuchs spürte immer, wenn er log, aber diesmal musste er es schaffen, sie zu täuschen, oder sie würde ihm folgen, und Jacob wusste, er konnte sich viel verzeihen, aber nicht, dass sie seinetwegen verloren ging -
»Stimmt. Das hatte ich vor«, sagte er. »Aber ich habe Will gesehen. Du hattest recht. Es ist vorbei.« Glaub mir, Fuchs. Bitte.
Diesmal waren es Donnersmarcks Männer. Es klopfte erneut.
»Jacob Reckless?« Die zwei Soldaten, die vor der Tür standen, waren kaum älter als Will.
Jacob zog Fuchs mit sich hinaus auf den Korridor. »Ich geh mich mit Donnersmarck betrinken. Wenn du morgen mit Clara zu der Hochzeit gehen willst, bitte. Aber ich werde den ersten Zug nach Schwanstein nehmen.«
Ihre Augen wanderten von ihm zu den Soldaten. Und die Dunkle Fee war sicher schon in den kaiserlichen Gärten.
Sie glaubte ihm nicht. Jacob sah es in ihrem Gesicht. Wie auch? Niemand kannte ihn besser. Nicht einmal er selbst. Sie sah so verletzlich aus in den Menschenkleidern, aber sie würde ihm nachkommen. Was immer er sagte.
Fuchs sprach kein Wort, als sie den Soldaten zum Aufzug folgten. Sie war immer noch aufgebracht wegen des Lerchenwassers. Und gleich würde sie noch zorniger sein.
»Du siehst kein bisschen lächerlich aus in dem Mantel«, sagte er, als sie vor dem Aufzug stehen blieben. »Du siehst sehr schön aus. Aber ich wünschte, du wärst nicht gekommen.«
»Sie darf mir nicht folgen«, sagte er zu den Soldaten. »Einer von euch muss bei ihr bleiben.«
Fuchs versuchte, sich zu verwandeln, doch Jacob griff nach ihrem Arm. Haut auf Haut, das hielt das Fell zurück. Sie versuchte sich verzweifelt zu befreien, aber Jacob ließ sie nicht los und drückte einem der Soldaten seinen Zimmerschlüssel in die Hand. Er war breit wie ein Schrank, trotz seines Kindergesichts, und würde sie hoffentlich gut bewachen.
»Sorg dafür, dass sie mein Zimmer nicht vor morgen früh verlässt«, wies er ihn an. »Und pass auf. Sie ist eine Gestaltwandlerin.«
Der Soldat sah nicht sonderlich glücklich aus über den Auftrag, aber er nickte und griff nach Fuchs' Arm. Die Verzweiflung in ihrem Blick tat weh, doch schon der bloße Gedanke, sie zu verlieren, schmerzte mehr.
»Sie wird dich töten!«
Ihre Augen ertranken in Wut und Tränen.
»Vielleicht«, sagte Jacob. »Aber es macht es nicht besser, wenn sie dasselbe auch mit dir tut.«
Der Soldat zog sie zum Zimmer zurück. Sie sträubte sich, wie die Füchsin es getan hätte, und vor der Tür riss sie sich fast los.
»Jacob! Geh nicht!«
Er hörte ihre Stimme noch, als der Aufzug unten in der Eingangshalle hielt, und für einen Moment wollte er tatsächlich wieder hinauffahren, nur um ihr die Wut und die Angst vom Gesicht zu wischen.
Der andere Soldat war sichtlich erleichtert, dass Jacob nicht ihn auserwählt hatte, auf Fuchs aufzupassen, und Jacob erfuhr auf dem Weg zum Palast, dass er aus einem Dorf im Süden kam, das Soldatenleben immer noch aufregend fand und ganz offensichtlich keine Ahnung hatte, wen Jacob in den kaiserlichen Gärten zu treffen hoffte.
Das große Tor auf der Rückseite des Palastes wurde nur einmal im Jahr für das Volk geöffnet. Sein Führer brauchte eine Ewigkeit, bis er das Schloss endlich aufbekam, und Jacob vermisste einmal mehr den magischen Schlüssel und all die anderen Dinge, die er in der Goylfestung verloren hatte. Der Soldat legte die Kette wieder vor, sobald Jacob sich durch das Tor geschoben hatte, aber er blieb mit dem Rücken dazu auf dem Gehsteig stehen. Schließlich würde Donnersmarck wissen wollen, ob Jacob auch wieder herausgekommen war.
Von ferne hörte man die Geräusche der Stadt, Kutschen und Pferde, Betrunkene, Straßenverkäufer und die Rufe der Nachtwächter. Aber hinter den Gartenmauern rauschten die Brunnen der Kaiserin, und in den Bäumen sangen die künstlichen Nachtigallen, die Therese zu ihrem letzten Geburtstag von einer ihrer Schwestern bekommen hatte. Im Palast brannte hinter einigen Fenstern noch Licht, doch auf den Baikonen und Treppen war es gespenstisch still für den Vorabend einer kaiserlichen Hochzeit, und Jacob versuchte, sich nicht zu fragen, wo Will gerade war.
Es war eine kalte Nacht, und seine Stiefel hinterließen dunkle Spuren auf den raureifweißen Rasenflächen, aber das Gras verschluckte das Geräusch seiner Schritte weit besser als die kiesbestreuten Wege. Jacob hielt nicht Ausschau nach den Spuren der Dunklen Fee. Er wusste, wohin sie gegangen war. Im Herzen der kaiserlichen Gärten lag ein Teich, dessen Oberfläche so dicht mit Lilien bedeckt war wie der See der Feen, und wie dort beugten sich Weiden über das dunkle Wasser.
Die Fee stand am Ufer und das Licht der Sterne haftete an ihrem Haar. Die zwei Monde liebkosten ihr die Haut, und Jacob spürte, wie sein Hass in ihrer Schönheit ertrank. Aber die Erinnerung an Wills versteinertes Gesicht brachte ihn schnell zurück.
Sie fuhr herum, als sie seine Schritte hörte, und er schlug den schwarzen Mantel zurück, damit das weiße Hemd darunter sichtbar wurde, wie ihre Schwester es ihm geraten hatte. »Weiß wie Schnee. Rot wie Blut. Schwarz wie Ebenholz.« Eine Farbe fehlte noch.
Die Dunkle Fee löste mit einem raschen Griff ihr Haar und ihre Motten schwärmten auf ihn zu. Aber Jacob zog sich das Messer schon über den Arm und wischte das Blut auf das weiße Hemd. Die Motten taumelten zurück, als hätte er ihnen die Flügel verbrannt.
»Weiß, rot, schwarz ...«, sagte er, während er die Messerklinge am Ärmel abstrich. »Schneewittchenfarben. So hat mein Bruder sie immer genannt. Er mochte das Märchen sehr. Aber wer hätte gedacht, dass sie so mächtig sind?«
»Woher weißt du von den drei Farben?« Die Fee machte einen Schritt zurück.
»Deine Schwester hat sie mir verraten.«
»Sie verrät dir unsere Geheimnisse als Dank dafür, dass du sie verlassen hast?«
Sieh sie nicht an, Jacob. Sie ist zu schön.
Die Fee streifte die Schuhe ab und trat näher ans Wasser. Jacob spürte ihre Macht so deutlich wie die Kälte der Nacht.
»Offenbar ist das, was du getan hast, schwerer zu verzeihen«, sagte er.
»Ja, sie sind immer noch empört darüber, dass ich fortgegangen bin.« Sie lachte leise und die Motten schlüpften ihr zurück ins Haar. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, was meine Schwester damit zu gewinnen glaubt, dass sie dir von den drei Farben erzählt. Als ob ich die Motten brauchte, um dich zu töten.«
Читать дальше