Mit einem Satz trennte sich der Vampir von seinem Opfer. Vergeblich versuchte sich die Kriegerin aufzustemmen und erbrach Blut. Die Wunden in ihrem Rücken waren tödlich. Langsam zog Zerwas sein Schwert und schritt auf die blonde Frau zu. Mit einem Tritt in den Leib riß er sie herum, so daß sie auf dem Rücken lag und er ihr ins Gesicht sehen konnte. Langsam näherte sich seine Klinge ihrer Brust. Behutsam zerschnitt er ihren Panzer und weidete sich am Entsetzen in ihrem Blick. Noch immer quoll Blut über ihre Lippen. Offensichtlich konnte sie kaum noch atmen. Dann stieß er ihr die Klinge tief in den Körper.
Zerwas blickte immer noch auf die Tote, als ihn eine Hand sanft an der Schulter berührte. Sartassa stand hinter ihm. Ein Tropfen geronnenen Blutes klebte an ihrem Kinn. »Das ist das erste Mal, daß ich mit Fug und Recht behaupten kann, einen Jüngling vernascht zu haben.« Ein böses Grinsen spielte um ihre Lippen. »Was tun wir nun?«
»Wir müssen die Spuren beseitigen.« Zerwas durchforschte ihren Geist. Sie hatte Gefallen an der Bluttat gefunden. Erst jetzt konnte er Sartassa wirklich als Gefährtin betrachten. Gemeinsam gingen die beiden zum Turm zurück. Dort lag der Wachsoldat auf dem Tisch. Sein Gesicht war bleich wie Wachs. In den erstarrten Zügen spiegelten sich noch immer Lust und Verzücken. Sein Oberkörper war nackt und trug blutige Striemen von den Nägeln der Elfe. Die Hose war um seine Füße geschlungen.
»Zieh ihn wieder an«, befahl Zerwas der Elfe. »Man darf nicht ahnen, was hier geschehen ist. Wir müssen alles so herrichten, daß kein Verdacht auf mich fällt.« Die Elfe gehorchte und begann, den Knaben, so gut es ging, wieder anzuziehen. Ein letztes Mal blickte Zerwas ihn an. Er mochte vielleicht achtzehn Jahre alt sein. Vermutlich war dies seine erste Liebesnacht gewesen. Nun, er konnte wenigstens sicher sein, daß den meisten Männern eine solche Ekstase in ihrem ganzen Leben nicht vergönnt war.
Zerwas verließ den Turm und stieg in den Nachthimmel auf. Er brauchte einen Felsbrocken. Ein Geschoß der Orks. In größer werdenden Kreisen flog er um den Wachturm. Es war alles ruhig. Keine anderen Wachen patrouillierten über die Mauer. Hier im Süden der Stadt hatte es während der ganzen Belagerung noch keinen Angriff gegeben. Deshalb standen wenige Männer Wache.
Endlich fand er, was er suchte. Einen mächtigen Felsbrocken, der sich tief in den Schlamm einer Straße eingegraben hatte. Der Vampir landete und machte sich an dem Geschoß zu schaffen. Es aus der Erde zu lösen war leicht, denn er verfügte über weit mehr Kräfte als ein gewöhnlicher Mensch. Doch selbst er würde mit dem Felsen nicht fliegen können. Durch die Straßen zu schleichen wäre zu riskant. Auch wenn es Nacht war, konnte man jederzeit einer Patrouille begegnen. Für einen Augenblick zögerte der Vampir, dann griff er nach dem Knauf des dunklen Schwertes zwischen seinen Flügeln. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich auf die Macht der schwarzen Klinge und spürte schließlich, wie deren Kraft auf ihn überging. Wieder griff er mit beiden Klauenhänden nach dem Geschoß. Nun wog es nicht schwerer als ein abgetrennter Menschenkopf, obwohl es einen Durchmesser von mehr als einer Elle hatte. Mühelos erhob er sich in den Himmel.
Als er wieder den Turm erreichte, hatte Sartassa ihre Arbeit vollendet. Gemeinsam zerrten sie die Leichen auf den Wehrgang. Dann hob Zerwas den Fels und schmetterte ihn auf den Schädel des Knaben, der wie eine Nuß zerbarst. Die Bißwunde, die Sartassa ihm beigebracht hatte, war nicht mehr zu sehen. Die Leiche der Kriegerin rollte er von der Mauer. Dann hob der Vampir erneut das Geschoß und ließ es auf sie herabfallen, so daß ihr Brustkorb zerschmettert wurde. Für den uneingeweihten Betrachter mußte es nun so aussehen, als wären die zwei bei einem Wachgang von der Felskugel getroffen worden.
Sartassa hatte ihn während der ganzen Zeit beobachtet. Aus der nächtlichen Stadt war ein dumpfes Geräusch zu hören. Zerwas griff sie beim Arm und stürmte mit ihr die Stiege des Wachturms hinauf. Von der Plattform konnten sie sehen, wie ein Trupp Reiter die Hauptstraße vom Platz der Sonne her kam. Sie hatten die Hufe ihrer Pferde umwickelt, um leiser voranzukommen. Nun wurde das südliche Tor geöffnet. Der Augenblick für den Angriff war gut abgepaßt. Das Madamal war bereits hinter dem Horizont versunken, und Wolken verdunkelten den Himmel im Osten. Mit etwas Glück würden sie die Schanze, die wenig mehr als zweihundert Schritt vor dem Tor lag, überrennen können, bevor von dort auch nur der erste Schuß abgefeuert wurde. Noch immer kamen Reiter die Straße entlang. Blautanns Kürassieren folgten Freischärler von Lysandra und Bürger, die sich in den letzten Gefechten als Schwertkämpfer hervorgetan hatten. Es sah so aus, als hätte man jeden auch noch so altersschwachen Gaul aus den Ställen geholt, um eine möglichst große Reitertruppe zu bilden. Zerwas fluchte innerlich. Ein großartiges Gemetzel stand bevor, und nur weil er Sartassas Wünschen nachgekommen war, stand er noch immer hier auf dem Turm. Er fühlte ›Seulaslintan‹ in seiner ledernen Scheide auf seinem Rücken vibrieren. Auch das schwarze Schwert spürte, daß ein großes Gefecht bevorstand. Eine Nacht, in der viele Männer und Frauen ihr Leben lassen würden. »Wir sollten mitkämpfen«, murmelte Sartassa vor sich hin, während sie mit zusammengekniffenen Augen den Reitern nachschaute, die vor der Stadtmauer in der Dunkelheit verschwanden. »Gib mir meine Fluggestalt. Wir können noch vor den Reitern im Hauptlager der Orks sein und Verwirrung stiften.«
Zerwas musterte die Elfe. Er versuchte, ihre Gedanken zu durchforschen, doch sie schirmte sich vor ihm ab. Der Vampir zog sich aus ihrem Geist zurück.
»Vergiß nicht, was du mir versprochen hast«, war sein letzter Gedanke. Die Elfe blickte ihn an. »Mit Sicherheit nicht!« Sie lächelte zweideutig und entblößte dabei ihre Reißzähne.
Beide stellten sich gegenüber in die Mitte des Turmdachs und umklammerten jeweils mit der rechten Hand den Griff von ›Seulaslintan‹. Zerwas konzentrierte sich auf die bösen Kräfte der Waffe. Mit ihrer Hilfe würde er Sartassa zu ihrem Dämonenleib verhelfen. Es galt, die dunkle Seite der Elfe zu einer fleischlichen Gestalt werden zu lassen. Sartassa stöhnte auf. Die Verwandlung war schmerzhaft. Zerwas blinzelte sie an, sah, wie sich ihre Haut dunkler verfärbte und ein großer Höcker aus ihren Schultern wuchs. Mit der Linken griff er nach der Hand der Elfe, die das Schwert umklammerte. Sie durfte jetzt nicht loslassen. Immer weiter wuchs der Buckel. Sie beugte sich nach vorne, wand sich unter Schmerzen. Dann zerriß die Haut, und zwei große Fledermausflügel entfalteten sich. Füße und Hände der Elfe waren zu tödlichen Krallen geworden, doch sonst hatte sie ihre Gestalt in stärkerem Maße beibehalten als Zerwas. Ihre Haut war nun von nachtdunklem Blau. So wie das Böse, das jeder in sich trug, von Mensch zu Mensch verschieden war, so variierten auch die Körper, die entstanden, wenn die dämonische Seite der Seele entfesselt wurde. Sartassa bewegte ihre Flügel ungeduldig im Nachtwind.
»Laß uns fliegen!« Der Gedanke traf Zerwas mit fast schmerzhafter Intensität. Die Elfe war eine begabtere Telepathin als er. Vielleicht, weil sie schon von Geburt an magische Kräfte in sich trug.
Mit kräftigem Stoß hoben die beiden vom Turm ab. Sartassa hielt eine blitzende Klinge in ihrer Hand. Das Schwert des toten Jünglings. In einem weiten Bogen flogen sie auf das Hauptlager der Orks zu. Tief unter sich hörten sie Kampflärm. Die Kavallerie war im Begriff, die Orks in der Stellung vor dem Südtor niederzumachen. Es sah so aus, als wären die Schwarzpelze im Schlaf überrascht worden. Die meisten trugen keine Rüstungen und wurden von den kampferprobten Männern Oberst von Blautanns niedergemetzelt.
Читать дальше