»Nein, Lord Rahl. Er hat seine letzte Schandtat bereut – dafür habe ich gesorgt.«
Richard deutete mit seinem Schwert auf das umliegende Gelände. »Bleibt hier und haltet die Augen offen. Wir haben sie bestimmt alle erwischt, trotzdem werde ich mich vergewissern, dass niemand zurückgeblieben ist, um uns aus einer anderen Richtung zu überraschen.«
»Niemand wird in die Nähe der Mutter Konfessor gelangen, Lord Rahl.«
Staub stieg auf im trüben Licht, als er einem der beiden im Geschirr wartenden Pferde einen beruhigenden Klaps auf die Schulter gab. »Ich möchte sofort nach meiner Rückkehr aufbrechen. Uns dürfte noch genügend Mondlicht bleiben – wenigstens noch für ein paar Stunden. Ungefähr vier Stunden die Straße hoch kenne ich einen sicheren Ort, wo wir ein Lager aufschlagen können. Dort hätten wir das alles hier ein gutes Stück hinter uns gelassen.«
Er deutete mit seinem Schwert. »Schleift seine Leiche dort drüben hinter das Gestrüpp und wälzt ihn über den Abgrund hinunter in die Schlucht. Es wäre mir ganz lieb, wenn man die Leichen erst fände, sobald wir längst über alle Berge sind. Hier draußen werden sie wahrscheinlich nur Tiere finden, trotzdem möchte ich kein Risiko eingehen.«
Cara krallte ihre Faust in Tommy Lancasters Haare. »Mit Vergnügen.« Er war kräftig gebaut, trotzdem bereitete sein Gewicht ihr keine Mühe.
In der aufziehenden Dunkelheit trabte Richard geräuschlos davon. Kahlan lauschte auf das Geräusch der über den Erdboden schleifenden Leiche. Sie hörte das Knacken kleiner Äste, als Cara die schwere Last durch das Gestrüpp zerrte, dann die dumpfen Schläge und das Prasseln von Geröll, als Tommy Lancasters Leiche sich einen steilen Hang hinunterstürzend überschlug. Es dauerte lange, bis Kahlan den letzten Aufschlag auf dem Grund der Schlucht vernahm.
Gemächlichen Schritts kam Cara zum Wagen zurückgeschlendert. »Alles in Ordnung mit Euch?« Beiläufig streifte sie ihre gepanzerten Handschuhe ab.
Kahlan sah die Frau unter halb geöffneten Lidern hervor an. »Er hätte mich um ein Haar erwischt, Cara.«
Cara ließ ihren langen, blonden Zopf über ihre Schulter schnellen, während sie das umliegende Gelände absuchte. »Nein, hätte er nicht. Ich stand die ganze Zeit hier, unmittelbar hinter ihm. Eigentlich hätte er meinen Atem im Nacken spüren müssen. Ich habe sein Messer keinen Moment aus den Augen gelassen, er hatte keine Chance, Euch etwas anzutun.« Sie erwiderte Kahlans Blick. »Ihr habt mich doch bestimmt gesehen?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Ach. Ich dachte, Ihr hättet mich bemerkt.« Mit leicht verlegener Miene steckte sie das längere Stück ihrer Handschuhstulpen hinter ihren Gürtel und schlug den Rest nach vorne um. »Vermutlich lagt Ihr im Wagen zu tief, um mich hinter ihm sehen zu können. Ich hatte mein ganzes Augenmerk auf ihn gerichtet. Ich wollte es nicht so weit kommen lassen, dass er Euch erschreckt.«
»Wenn Ihr die ganze Zeit dort wart, wieso habt Ihr dann zugelassen, dass er mich fast umbringt?«
»Er hat Euch nicht fast umgebracht.« Cara lächelte freudlos. »Ich wollte nur, dass er das glaubt. Der Schock und das Entsetzen sind größer, wenn man jemanden glauben macht, er habe bereits gewonnen. Es raubt einem Mann allen Mut, wenn man ihn auf frischer Tat ertappt.«
In Kahlans Kopf drehte sich alles, daher beschloss sie, nicht weiter nachzuhaken. »Was wird hier eigentlich gespielt? Was ist passiert? Wie lange habe ich geschlafen?«
»Wir sind seit zwei Tagen unterwegs. Ihr seid zwischenzeitlich immer wieder aufgewacht, aber in den wachen Phasen habt Ihr nichts mitbekommen. Lord Rahl war ziemlich gereizt, weil er Euch wehtun musste, um Euch in den Wagen zu verfrachten, und weil er Euch … etwas erzählen musste, was Ihr vergessen hattet.«
Kahlan wusste, was Cara meinte: ihr totes Kind. »Und die Männer?«
»Sie sind uns nachgegangen. Aber diesmal war Lord Rahl nicht bereit, mit ihnen zu diskutieren.« Das schien ihr besonders zu gefallen. »Er wusste frühzeitig, dass sie kommen würden, es traf uns also nicht unvorbereitet. Als sie sich auf uns stürzten, einige mit eingelegten Pfeilen, andere mit gezogenen Schwertern oder Äxten, rief er ihnen etwas zu – um ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Meinung noch zu ändern.«
»Er hat versucht, sie zur Vernunft zu bringen? Selbst da noch?«
»Na ja, das gerade nicht. Er erklärte ihnen, sie sollten friedlich nach Hause gehen, oder sie würden alle sterben.«
»Und was geschah dann?«
»Sie lachten alle. Es schien sie nur noch anzuspornen. Sie griffen mit erhobenen Schwertern und Äxten an, Pfeile schwirrten. Also floh Lord Rahl in die Wälder.«
»Er tat was?«
»Bevor sie angriffen, erklärte er mir, er werde sie dazu verleiten, ihm nachzusetzen. Als Lord Rahl davon rannte, rief der, der dachte, er könnte Euch die Kehle durchschneiden, die anderen sollten sich ›Richard schnappen und ihn diesmal endgültig fertig machen‹. Lord Rahl hatte gehofft, sie alle von Euch fortlocken zu können, und als dieser eine sich dann stattdessen über Euch hermachte, warf er mir einen Blick zu, dass ich sofort wusste, was er von mir wollte.«
Cara verschränkte die Hände hinter dem Rücken, blickte suchend in die aufziehende Dunkelheit und hielt Wache für den Fall, dass noch einmal jemand versuchen sollte, sie zu überraschen. Kahlans Gedanken kehrten zurück zu Richard und wie er sich, ganz auf sich gestellt, gefühlt haben musste, als sie ihm alle hinterher jagten.
»Wie viele waren es?«
»Ich habe sie nicht gezählt.« Cara zuckte mit den Achseln. »Vielleicht zwei Dutzend.«
»Ihr habt Richard mit zwei Dutzend Männern, die ihn alle verfolgten, allein gelassen? Zwei Dutzend Männer, die ganz versessen darauf waren, ihn zu töten?«
Cara warf Kahlan einen fassungslosen Blick zu. »Hätte ich Euch schutzlos zurücklassen sollen? Obwohl ich wusste, dass dieser zahnlose Rohling es auf Euch abgesehen hatte? Lord Rahl hätte mir bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren gezogen, wenn ich Euch allein zurückgelassen hätte.«
Groß und schlank, die Schultern durchgedrückt, das Kinn erhoben, wirkte Cara so zufrieden wie eine Katze, die sich die Überreste einer Maus von den Schnurrbarthaaren leckt. Plötzlich begriff Kahlan: Richard hatte ihr Leben Cara anvertraut; und die Mord-Sith hatte dieses Vertrauen gerechtfertigt.
Kahlan spürte, wie ein Lächeln die halb verheilten Platzwunden auf ihren Lippen spannte. »Ich hätte nur gerne gewusst, dass Ihr die ganze Zeit dort steht. Dass ich die Holzschale jetzt nicht mehr brauche, habe ich Euch zu verdanken.«
Cara lachte nicht. »Eigentlich solltet Ihr das wissen, Mutter Konfessor, ich würde niemals zulassen, dass einem von Euch beiden etwas zustößt.«
Ebenso plötzlich, wie er verschwunden war, tauchte Richard wieder aus dem Schatten auf. Er gab den Pferden einen beruhigenden Klaps. Im Vorübergehen sah er kurz nach ihren Halsgurten, den Zugketten und der Trennstange, um sich zu vergewissern, dass alles sicher befestigt war.
»Irgendwelche Zwischenfälle?«, fragte er Cara.
»Nein, Lord Rahl. Alles ruhig.«
Er beugte sich in den Wagen und lächelte. »Tja, da du gerade wach bist, was hältst du davon, wenn ich dich ganz romantisch im Mondschein spazieren fahre?«
Sie legte ihm die Hand auf den Unterarm. »Ist mit dir alles in Ordnung?«
»Mir geht es gut. Kein einziger Kratzer.«
»Das meinte ich nicht.«
Sein Lächeln erlosch. »Sie haben versucht, uns umzubringen. Soeben hat Westland durch die Einflussnahme der Imperialen Ordnung die ersten Verluste erlitten.«
»Aber du kanntest sie.«
»Das gibt ihnen kein Recht auf Mitgefühl, das wäre vollkommen unangebracht. Wie viele Tausend habe ich gesehen, die getötet wurden, seit ich von hier fortgegangen bin? Trotzdem konnte ich nicht einmal die Männer, mit denen ich aufgewachsen bin, von der Wahrheit überzeugen. Ich konnte sie nicht einmal dazu bewegen, mir unvoreingenommen zuzuhören. All der Tod und das Leid, das ich gesehen habe, gehen letzten Endes auf Männer wie diese zurück – Männer, die sich weigern, die Augen aufzumachen.
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