Kahlan wusste, dass Denna, jene Mord-Sith, die Richard gefangen genommen hatte, ihn zu ihrem Gatten gemacht hatte, und das wusste auch Cara. Manchmal, wenn Richard erschrocken aus dem Schlaf hochfuhr und sich an sie klammerte, fragte sich Kahlan, ob seine Albträume von Dingen in seiner Fantasie oder von der Wirklichkeit handelten. Wenn sie ihm dann einen Kuss auf seine schweißnasse Stirn gab und sich nach seinen Träumen erkundigte, konnte er sich nie daran erinnern; wenigstens dafür war sie dankbar.
Richard zog einen langen Stock aus dem Feuer, der an einem der Steine aus dem Ring gelehnt hatte. Mit dem Finger schob er mehrere brutzelnde Speckscheiben vom Stock in den Napf des Captains, anschließend legte er das Stück Brotfladen obenauf. Sie hatten eine Menge verschiedenartiger Nahrungsmittel dabei, so dass Kahlan gezwungen war, sich den Wagen mit all den Vorräten zu teilen, die Richard auf ihrem Weg nach Norden, nach Kernland, zusammengestellt hatte.
»Danke«, stammelte Captain Meiffert. Er strich sich seine blonde Mähne aus dem Gesicht. »Es sieht köstlich aus.«
»Das ist es auch«, bestätigte Richard. »Ihr habt Glück. Heute Abend habe ich das Essen zubereitet, und nicht Cara.«
Cara, stolz darauf, eine schlechte Köchin zu sein, lächelte, als sei dies ein besonderer Vorzug.
Kahlan war sicher, dass diese Episode immer wieder vor weit aufgerissenen Augen und ungläubig staunenden Mienen erzählt werden würde: Lord Rahl setzte einem seiner Soldaten persönlich das Essen vor. Aus der Art, wie der Captain das Essen hinunterschlang, schloss Kahlan, dass er wahrscheinlich länger als nur einen Tag nichts gegessen hatte.
Er schluckte einen Bissen hinunter und sah auf. »Mein Pferd.« Er machte Anstalten aufzustehen. »Als Herrin Cara … ich habe mein Pferd vergessen. Ich muss…«
»Esst Ihr mal ruhig weiter.« Richard erhob sich und versetzte Captain Meiffert einen Schulterklaps, damit er Platz behielt. »Ich wollte ohnehin nach unseren Pferden sehen, also kann ich mich auch um das Eure kümmern. Bestimmt möchte es ebenfalls einen Schluck Wasser und etwas Hafer.«
»Aber Lord Rahl, ich kann unmöglich zulassen, dass Ihr…«
»Esst. Das spart uns Zeit. Wenn ich zurückkomme, habt ihr aufgegessen, dann könnt Ihr mir Euren Bericht geben.« Richards Umrisse verschmolzen mit den Schatten, bis man nur noch seine Stimme hörte. »Ich fürchte allerdings, ich habe noch immer keine Befehle für General Reibisch.«
In der Stille nahmen die Grillen ihr rhythmisches Gezirpe wieder auf. In einiger Entfernung hörte Kahlan den Ruf eines Nachtvogels. Jenseits der nahen Bäume wieherten die Pferde zufrieden, vermutlich, als Richard sie begrüßte. Ab und zu verirrte sich eine feine Nebelschwade unter den Felsvorsprung und benetzte ihr die Wange. Sie wünschte sich, sie könnte sich auf die Seite drehen und die Augen schließen. Richard hatte ihr ein wenig Kräutertee eingeflößt, der sie schläfrig zu machen begann. Wenigstens betäubte er auch die Schmerzen.
»Wie geht es Euch, Mutter Konfessor?«, erkundigte sich Captain Meiffert. »Alle sind furchtbar in Sorge wegen Euch.«
Es geschah nicht oft, dass eine Konfessor solch aufrichtiger und herzlicher Anteilnahme begegnete. Die einfache Frage des jungen Mannes war so ehrlich, dass sie Kahlan fast zu Tränen rührte.
»Ich befinde mich auf dem Weg der Besserung, Captain. Erzählt allen, sobald ich ein wenig Zeit gefunden habe, mich zu kurieren, werde ich wieder ganz gesund sein. Wir sind unterwegs zu einem ruhigen Ort, wo ich die frische Luft des kommenden Sommers genießen und ein wenig Ruhe und Erholung finden kann. Noch vor dem Herbst wird es mir wieder besser gehen, da bin ich ganz sicher. Lord Rahl wird dann hoffentlich auch nicht mehr so … besorgt um mich sein und sich wieder den Kriegsgeschäften widmen können.«
Der Captain lächelte. »Alle werden erleichtert sein zu hören, dass Ihr im Begriff seid, wieder gesund zu werden. Ich kann Euch gar nicht sagen, wie viele Menschen mich darauf angesprochen haben, ich solle ihnen bei meiner Rückkehr berichten, wie es Euch geht.«
»Richtet ihnen aus, ich würde wieder ganz gesund und möchte sie bitten, sich nicht mehr um mich zu sorgen, sondern auf sich selber aufzupassen.«
Er aß einen weiteren Löffel. Kahlan sah ihm an den Augen an, dass seine Besorgnis noch einen anderen Grund hatte. Es dauerte eine Weile, bevor er darauf zu sprechen kam.
»Wir machen uns auch Sorgen, Ihr und Lord Rahl könntet Schutz benötigen.«
Cara, die ohnehin schon aufrecht saß, gelang es, ihren Rücken noch mehr durchzudrücken und dieser kaum merklichen Veränderung der Körperhaltung etwas Bedrohliches zu verleihen. »Lord Rahl und die Mutter Konfessor sind keinesfalls schutzlos, Captain, sie haben mich. Alles, was über eine Mord-Sith hinausgeht, wäre nichts weiter als ein bisschen bunter Flitter auf der Uniform eines Offiziers.«
Diesmal gab er nicht klein bei. Seine Stimme war erfüllt vom unmissverständlichen Ton der Autorität. »Dies ist weder eine Frage mangelnden Respekts, Herrin Cara, noch habe ich irgend etwas unterstellen wollen. Ich habe, wie Ihr, gelobt, für ihre Sicherheit zu sorgen, und das ist meine eigentliche Sorge. Diese mit Flitter besetzte Uniform ist dem Feind schon einmal zur Verteidigung von Lord Rahl entgegengetreten, und ich vermag mir nicht recht vorzustellen, dass eine Mord-Sith mich aus keinem anderen Grund als primitivem Stolz von dieser Pflicht abhalten will.«
»Wir befinden uns auf dem Weg an einen entlegenen und abgeschiedenen Ort«, warf Kahlan ein, bevor Cara etwas erwidern konnte. »Ich denke, unsere Einsamkeit und Cara werden uns ausreichend Schutz bieten. Sollte Lord Rahl etwas anderes wünschen, so wird er es bestimmt sagen.«
Er akzeptierte die Antwort mit einem zögernden Nicken; der letzte Teil entschied die Angelegenheit ohnehin.
Als Richard Kahlan nach Norden gebracht hatte, hatte er ihre Gardetruppen zurückgelassen. Wie sie wusste, war dies in voller Absicht geschehen und gehörte vermutlich zu den Dingen, die er überzeugt war tun zu müssen. Richard stand der Idee von Schutz keineswegs ablehnend gegenüber, auch früher schon hatte er akzeptiert, dass Truppen sie begleiteten. Cara hatte ebenfalls hartnäckig auf die Sicherheit bestanden, die der Begleitschutz dieser Truppen bot. Etwas anderes war es jedoch, wenn Cara dies gegenüber Captain Meiffert eingestehen sollte.
In Anderith hatten sie eine Menge Zeit mit dem Captain und seinen Elitetruppen verbracht. Kahlan kannte ihn als hervorragenden Offizier, ihrer Einschätzung nach ging er auf Mitte zwanzig zu – wahrscheinlich war er schon seit einem Jahrzehnt Soldat und hatte bereits eine Reihe von Feldzügen mitgemacht, von kleinen Aufständen bis hin zur offenen Feldschlacht. Die klaren, gesunden Züge seines Gesichts waren gerade erst im Begriff, einen erwachsenen Ausdruck anzunehmen.
Über die Jahrtausende hatten sich andere Kulturen durch Krieg, Völkerwanderung und Besatzung mit der D’Haranischen vermengt und ein Völkergemisch hervorgebracht. Groß gewachsen und breitschultrig, wiesen die blonden Haare und blauen Augen Captain Meiffert als D’Haraner aus, das Gleiche galt für Cara. Bei reinblütigen D’Haranern waren die Bande am stärksten ausgeprägt.
Nachdem er etwa die Hälfte seines Reisgerichts gegessen hatte, schaute er über seine Schulter in die Dunkelheit, wo Richard verschwunden war. Er erfasste sowohl Cara als auch Kahlan mit einem Blick aus seinen ernsten, blauen Augen.
»Ich möchte nicht, dass es abwertend oder persönlich klingt, und ich hoffe nicht, dass ich damit einen Fauxpas begehe, aber dürfte ich Euch eine heikle Frage stellen?«
»Dürft Ihr, Captain«, erwiderte Kahlan. »Aber ich kann nicht versprechen, dass wir sie beantworten.«
Die letzte Bemerkung gab ihm einen Augenblick zu denken, doch dann fuhr er fort. »General Reibisch und einige der anderen Offiziere … nun, es hat besorgte Diskussionen über Lord Rahl gegeben, wir vertrauen ihm natürlich«, beeilte er sich hinzuzufügen. »Das tun wir wirklich. Es ist nur so, dass…«
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