Dass Kahlan ein männliches Kind zur Welt bringen könnte, entsprach exakt den Befürchtungen der Hexe Shota. Shota war sich sehr wohl bewusst, dass Richard niemals wegen früherer Schandtaten männlicher Konfessoren der Tötung seines und Kahlans Sohn zustimmen würde. Auch Kahlan würde niemals zulassen, dass Richards Sohn getötet wurde. Die Unfähigkeit einer Konfessor, aus Liebe zu heiraten, hatte früher stets als eine der Begründungen dafür herhalten müssen, dass sie die Praxis der Kindestötung gefühlsmäßig ertrug. Indem er herausfand, wie er und Kahlan sich vereinigen konnten, hatte Richard auch diese Gleichung verändert.
Aber Shota hatte nicht einfach nur Angst, Kahlan könnte einen männlichen Konfessor gebären, ihre Befürchtungen bezogen sich auf etwas von möglicherweise weitaus größerem Gewicht – sie konnte einen männlichen Konfessor zur Welt bringen, der Richards Gabe besaß. Shota hatte geweissagt, Kahlan und Richard würden ein männliches Kind zeugen; ein solches Kind galt in Shotas Augen als bösartiges Ungeheuer, dessen Gefährlichkeit jedes Begriffsvermögen sprengte, daher hatte sie geschworen, ihren Nachwuchs zu beseitigen. Um es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, hatte sie ihnen jene Halskette geschenkt, die verhindern sollte, dass Kahlan schwanger wurde…
Kahlan fiel auf, dass Captain Meiffert die Andacht ein drittes Mal sprach, während Caras Lippen sich synchron zu seinen bewegten. Das leise Psalmodieren ließ Kahlan schläfrig werden.
Für Kahlan war es ein Luxus, unten im geschützten Lager bei Richard und Cara neben dem warmen Feuer liegen zu können, statt im Wagen bleiben zu müssen, zumal die Nacht kalt und feucht geworden war. Dank der Trage fiel es ihnen leichter, sie zu transportieren, ohne ihr übermäßig wehzutun.
Sie befanden sich weit abseits der schmalen, einsamen Straße, auf einer kleinen, in einem Spalt einer steilen Felswand verborgenen Lichtung hinter einem dichten, ausgedehnten, mit Kiefern und Fichten bestandenen Waldstück. Eine kleine Wiese nahebei diente als versteckte Koppel für die Pferde. Richard und Cara hatten den Wagen von der Straße herunter und hinter ein Gewirr aus abgestorbenem Holz gezogen und unter Fichten und Balsamzweigen versteckt. Niemand außer einem seinem Lord Rahl über die Bande verbundenen D’Haraner hatte mehr als eine geringfügige Chance, sie in dem ebenso end- wie weglosen Wald jemals aufzuspüren.
Der geschützte Flecken besaß eine Feuergrube, die Richard bei einem früheren Aufenthalt vor fast einem Jahr ausgehoben und mit einem Ring aus Steinen versehen hatte; seitdem war sie nicht mehr benutzt worden. Eine vorstehende Felsplatte ungefähr sechs oder sieben Fuß über ihnen verhinderte, dass der Schein des Lagerfeuers die Felswand hinaufleuchtete, und trug dazu bei, dass das Lager versteckt blieb. Dank ihrer Schräge blieben sie trotz des leichten Nieselregens, der mittlerweile eingesetzt hatte, geborgen und trocken. Da obendrein noch Nebel aufkam, war der Ort der geschützteste und sicherste Lagerplatz, den Kahlan je gesehen hatte. Richard hatte also Wort gehalten.
Es hatte eher sechs als vier Stunden gedauert, den Lagerplatz zu erreichen. Kahlan zuliebe hatte Richard nur ein langsames Tempo angeschlagen. Es war spät, und der lange Reisetag hatte sie alle ermüdet, von dem Überfall ganz zu schweigen. Richard hatte ihr erklärt, dass es so aussah, als könnte es ein oder zwei Tage lang regnen, und dass sie im Lager bleiben und sich ausruhen würden, bis das Wetter aufklarte. Sie hatten es nicht eilig, an ihr Ziel zu gelangen.
Nach der dritten Andacht erhob sich Captain Meiffert wankend. Er klopfte sich mit seiner rechten Faust zum Gruß auf das Leder über seinem Herzen. Richard lächelte, woraufhin sich die beiden zu einer weniger förmlichen Begrüßung an den Unterarmen fassten.
»Wie geht es Euch, Captain?« Richard ergriff den Ellbogen des Mannes. »Was ist passiert? Seid Ihr etwa von Eurem Pferd gestürzt?«
Der Captain warf einen Blick auf Cara, die neben ihm stand. »Aber nein, mir geht es gut, Lord Rahl. Wirklich.«
»Ihr seht aus, als wärt Ihr verletzt.«
»Ich habe mir von Eurer Mord-Sith nur ein wenig … die Rippen kitzeln lassen, das ist alles.«
»Aber nicht so fest, dass sie hätten brechen können«, spottete Cara.
»Tut mir aufrichtig Leid, Captain. Wir hatten heute früh ein wenig Ärger. Zweifellos war Cara um unsere Sicherheit besorgt, als sie Euch im Dunkeln näherkommen sah.« Richards Blick schwenkte hinüber zu Cara. »Trotzdem hätte sie ein wenig vorsichtiger sein sollen, sonst läuft sie noch Gefahr, jemanden zu verletzen. Ich bin sicher, es tut ihr Leid, und sie möchte sich entschuldigen.«
Cara zog ein sauertöpfisches Gesicht. »Es war dunkel. Ich bin nicht bereit, unsinnige Risiken einzugehen, wenn das Leben des Lord Rahl auf dem Spiel steht…«
»Das will ich auch nicht hoffen«, warf Captain Meiffert ein, bevor Richard ihr einen Verweis erteilen konnte. Er sah Cara lächelnd an. »Einmal wurde ich von einem kräftigen Schlachtross getreten. Wie Ihr mich niedergeschlagen habt, das war gekonnter, Herrin Cara. Es freut mich zu sehen, dass sich Lord Rahls Leben in fähigen Händen befindet. Wenn ein paar schmerzende Rippen der Preis dafür sind, so bin ich gern bereit, ihn zu bezahlen.«
Caras Gesicht hellte sich auf. Das unkomplizierte Entgegenkommen des Captains nahm der möglicherweise brenzligen Situation jegliche Schärfe.
»Falls Euch die Rippen plagen, so lasst es mich wissen«, erwiderte Cara trocken. »Ich werde mir etwas ausdenken, damit Ihr Euch wieder besser fühlt.« Richard funkelte sie in der darauf folgenden Stille zornig an, woraufhin sie, sich verlegen am Ohr kratzend, schließlich hinzufügte: »Wie auch immer, es tut mir Leid. Aber ich wollte kein Risiko eingehen.«
»Wie ich bereits sagte, einen solchen Preis bin ich gerne bereit zu zahlen. Ich möchte Euch für Eure Umsicht danken.«
»Was führt Euch her, Captain?«, fragte Richard. »Hat General Reibisch Euch geschickt, um nachzusehen, ob Lord Rahl verrückt geworden ist?«
Obwohl man es im Schein des Feuers unmöglich erkennen konnte, war Kahlan sicher, dass der Mann tiefrot anlief. »Nein, selbstverständlich nicht, Lord Rahl. Der General wollte nur, dass Ihr einen umfassenden Bericht erhaltet.«
»Verstehe.« Richards Blick streifte den Topf mit ihrem Abendessen. »Wann habt Ihr das letzte Mal gegessen, Captain? Ihr wirkt ein wenig mitgenommen, von den schmerzenden Rippen mal abgesehen.«
»Nun, äh, ich bin scharf geritten, Lord Rahl. Ich glaube, gestern habe ich etwas gegessen, aber es geht mir ausgezeichnet. Ich kann etwas bekommen, sobald ich…«
»So setzt Euch doch.« Richard machte eine einladende Handbewegung. »Erlaubt, dass ich Euch etwas Warmes zu essen hole. Das wird Euch gut tun.«
Während der Mann sich zögernd auf dem moosbewachsenen Boden neben Kahlan und Cara niederließ, löffelte Richard etwas Reis mit Bohnen in einen Napf und schnitt ein großes Stück Hafermehlkuchen von dem Laib ab, den er zum Abkühlen auf den Rost neben das Feuer gelegt hatte, anschließend reichte er dem Mann den Napf. Captain Meiffert sah keine Möglichkeit, sich dem zu entziehen; plötzlich befand er sich in der Situation, von keinem Geringeren als dem Lord Rahl persönlich bedient zu werden, und fühlte sich zutiefst gepeinigt.
Richard war gezwungen, ihm das Essen ein zweites Mal anzubieten, bevor er es entgegennahm. »Nur etwas Reis mit Bohnen, Captain. Es ist schließlich nicht so, als würde ich Euch Caras Hand anbieten.«
Cara brach in schallendes Gelächter aus. »Mord-Sith heiraten nicht. Sie nehmen sich einen Gatten, wenn es sie nach ihm verlangt – er hat darauf keinerlei Einfluss.«
Richard sah zu ihr hoch. Richards Tonfall entnahm Kahlan, dass er mit der Bemerkung keine besondere Absicht verfolgt hatte – trotzdem schloss er sich Caras Gelächter nicht an. Er wusste nur zu gut, wie zutreffend ihre Bemerkung war. Der Vorgang hatte mit Liebe nichts zu tun, ganz im Gegenteil. Während alles verlegen schwieg, wurde Cara bewusst, was sie gesagt hatte, und sie beschloss, ein paar Zweige klein zu brechen und damit das Feuer zu füttern.
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