»Wahrscheinlich warten sie auf die Kinyanpi«, meinte Cuwignaka.
»Vermutlich.«
Auf dem Rückritt zur Kampffront hatte ich bei Grunt Station gemacht. Er befand sich unweit der Frauen und Kinder. Zusammen mit einigen Frauen versorgte er Verwundete. Wasnapohdi war bei ihm. Daß wir den Kinyanpi-Angriff abwehren konnten, hatte ihn beflügelt. »Wir können das Lager halten, davon bin ich überzeugt!« hatte er gesagt.
»Ich nehme es an«, hatte ich geantwortet.
»Die Gelbmesser sind ziemlich erfolgreich gewesen«, antwortete er. »Sie haben zahlreiche Kaiila, reichlich andere Beute und Frauen erbeutet. Allerdings haben sie die Überraschung nicht mehr auf ihrer Seite. Ich kenne solche Männer. Sie werden sich bald zurückziehen. Die Beschaffung weiterer Beute wäre nun zu teuer für sie.«
»Noch haben sie sich nicht zurückgezogen«, sagte ich.
»Das verstehe ich nicht«, antwortete er.
»Ich auch nicht«, hatte ich erwidert. Es wollte mir seltsam erscheinen, daß die Gelbmesser nicht abgerückt waren, nachdem sie die Schwierigkeit der Lagereinnahme hatten einsehen müssen. Bei roten Wilden hätte man mit einer solchen Reaktion rechnen müssen.
»Sie verharren kampfbereit?« hatte Grunt gefragt.
»Ja«, hatte ich geantwortet.
»Interessant«, so lautete sein Kommentar.
Als ich mich von Grunt abwandte, war ich noch hundert Meter weiter geritten, um mir die Überreste des Ratszeltes anzusehen. Außer den Verstrebungen war kaum etwas übriggeblieben. Dieser Bau war das Hauptziel des ersten Kinyanpi-Angriffs gewesen. Wie man mir berichtet hatte, waren Hunderte von Pfeilen durch die Lederhäute des Bauwerks gedrungen. Es war zum Schauplatz eines Massakers geworden. Kein Wunder, daß Watonka nicht begierig gewesen war, an der Ratsversammlung teilzunehmen. Ein großes Glück, daß sich Mahpiyasapa und Grunt zur Zeit des Angriffs nicht im Lager aufgehalten hatten. Innerhalb weniger Ehn war die Oberschicht des Kaiila-Stammes, mitsamt ihrer Lebensund Führungserfahrung praktisch ausgelöscht worden. Einer der wenigen überlebenden war Kahintokapa, der sich einen Ausweg durch die Häute gesucht hatte und geflohen war. Gleichzeitig mit dem Luftangriff war eine Sonderabteilung der Gelbmesser mit Stoßrichtung Ratszelt in das Lager eingedrungen, und der Tod der Verwundeten und das Abbrennen des Ratszeltes ging auf ihr Konto. Eine ähnliche Gruppe war gegen die Tanzhalle vorgegangen. Anschließend hatten sich die Sonderabteilungen zurückgezogen. Kurze Zeit später war unter Führung Mahpiyasapas und Kahintokapas der erste Widerstand aufgeflackert. Ich schaute in den geschwärzten Kreis, der von kahlen Schäften gesäumt war. Dort drinnen lagen noch immer Tote, im Boden steckten noch zahllose Pfeile. Für die Kaiila war dies in der Tat ein düsterer, blutiger Tag.
Ganz allgemein gesprochen stimmten mich mehrere Details des Angriffs nachdenklich. Da war zunächst die Allianz, die Zusammenarbeit zwischen Gelbmessern und Kinyanpi, die nicht von Natur aus Verbündete waren. Es wollte mir ungewöhnlich erscheinen, daß die beiden Gruppierungen bei diesem Feldzug ihre Maßnahmen so vorzüglich koordiniert hatten. Eine Zusammenarbeit zwischen fremden Stammesgruppen gab es sonst nur in der gemeinsamen Abwehr weißhäutiger Eindringlinge in das Ödland. Eine andere Besonderheit des Angriffs lag in der Art und Weise seiner Leitung. Sie folgte nicht den normalen, ziemlich eingeengten Schmalspurmethoden, wie sie bei Konflikten zwischen roten Wilden üblich waren. Zum Beispiel der betrügerische Friedensvorstoß, der die Anführer eines ganzen Stammes auf kleinem Raum zusammenführen sollte, um sie mit schrecklichem Ausgang angreifen zu können – so etwas wäre der Intelligenz roter Wilder durchaus zuzutrauen, doch schien es mir nicht zur gewohnten Einstellung zu militärischen Dingen zu passen. Auf jeden Fall war diese Art der Kriegsführung für das Ödland ein wenig überraschend. Sie schien wenig zu tun zu haben mit den hier gepflegten Traditionen von Ehre und Coup-Zählen. Schließlich erschien es mir unvorstellbar, daß der Angriff gegen ein anderes Volk zur Zeit der großen Feste eingeleitet worden war. Dies kommt im Ödland einer Blasphemie gleich, einem Sakrileg. Ich konnte mir kaum vorstellen, daß die Gelbmesser, die selbst zu den roten Wilden gehörten, sich so etwas hatten ausdenken können. Auch dies schien mir ein Fingerzeig auf eine neue Überführung zu sein, auf die Annahme neuer Taktiken im Ödland. Ich mußte zugeben, daß der Gesamtplan, besonders in Zusammenarbeit mit Watonka, der später seinen Verbündeten überflüssig erschienen war, bestens funktioniert hatte. Daran führte kein Weg vorbei.
Wieder schaute ich auf die Leichen und die Pfeile zwischen den Überresten des Ratszeltes.
Ich war mit dem Anblick alles andere als zufrieden. Endlich wendete ich meine Kaiila.
Anschließend war ich langsam reitend in die vorderen Reihen zurückgekehrt. Auf meinem kurzen Ritt war ich an mehreren Kaiila vorbeigekommen, die unter den Tarnstoffen festgebunden worden waren. Es waren bei weitem nicht genug Reittiere für alle. Ich passierte umfangreiche Fleischvorräte, die die Frauen von Gestellen genommen und unter den Tarnnetzen auf Tüchern gestapelt hatten. Dieses Fleisch war für die Kaiila von größter Bedeutung. Allein vom Fleisch hing es ab, ob der Stamm den Winter gut überstand oder viele Opfer beklagen mußte. Auf meinem Ritt kam ich auch an vielen Sklavinnen vorbei. Unter ihnen, ungefesselt, hatte ich Oiputake entdeckt, an die ich mich gut erinnerte. Sie hatte ich zuvor in einer Sklavinnengruppe erwählt und mit der Bedeutung ihres Daseins bekannt gemacht. Sie hatte uns auf die Tatsache gebracht, daß die im Lager befindlichen Gelbmesser nicht Zivilhäuptlinge, sondern Kriegshäuptlinge waren.
»Herr!« hatte sie gerufen und mir die Arme entgegengestreckt.
»Schweig, Sklavin!« hatte ich gerufen und war weitergeritten. Ich hatte im Augenblick keine Lust, mit ihr zu sprechen. Dafür hielt ich meine Kaiila kurz neben einem blonden Mädchen, das zitternd zu mir aufblickte.
»Wer bist du?« fragte ich.
»Ich bin eine namenlose Sklavin Cotankas von den Wismahi«, sagte sie.
Sie war die Sklavin, die von Gelbmessern als Lockmädchen in das Kampfgetümmel geschickt worden war. Cotanka hatte Glück gehabt. Er war mit dem Leben davongekommen und besaß nun dieses Mädchen. Ich nahm nicht an, daß sie ein leichtes Leben bei ihm haben würde.
Inzwischen ritten keine Gelbmesser mehr vor den Reihen ihrer Stammesgenossen hin und her, das Schütteln der Kampfstäbe hatte aufgehört, ebenso wie der Gesang.
Die Kaiila des Gegners waren zu uns herumgedreht worden.
»Haltet eure Lanzen bereit! Haltet eure Messer bereit!« rief Mahpiyasapa im Singsang und ritt vor unserer Kampflinie entlang. »Ich wünsche euch scharfe Augen. Ich wünsche euch einen schnellen Arm! Ich wünsche euch eine starke Medizin!«
»Bald kommen sie«, sagte Cuwignaka.
»Ja«, stimmte ich ihm zu.
»Worauf warten sie noch?« fragte ein Mann.
»Auf die Kinyanpi«, antwortete jemand.
Ich blickte zu Hci hinüber und bemerkte seinen Schild, der sich wie aus eigenem Antrieb zu bewegen schien, bis er ihn wieder beruhigt hatte. Mir kribbelte es im Nacken, und ich bekam eine Gänsehaut.
Die Bewegung des Schilds war auch von Mahpiyasapa bemerkt worden, der zu Hci ritt.
»Was ist mit deinem Schild?« fragte er.
»Nichts.«
»Bleib zurück«, forderte Mahpiyasapa den anderen auf. »Kämpfe nicht.« Dann ritt er weiter.
Hci aber verließ seinen Posten nicht.
»Vielleicht kommen die Kinyanpi ja gar nicht«, sagte ein Mann.
»Die Kinyanpi!« tönte es in diesem Augenblick von hinten, ein Ruf, der von Mann zu Mann weitergegeben wurde.
Ich schaute mich um.
»Die Kinyanpi«, sagte Cuwignaka, der sich ebenfalls orientierte.
Читать дальше