Viel zu spüren war von dem Schnitt an meinem Bein nicht, doch ich beschaute ihn mir genau, um seine Tiefe zu beurteilen. Man muß in solchen Dingen objektiv handeln und für einen festen Verband sorgen, sollte regelmäßig Blut fließen. Schon so mancher Kämpfer ist an einer Wunde verblutet, die er in der Hitze des Kampfes empfing und kaum spürte. Meine Wunde aber schien ganz flach zu sein und nur aus sich selbst zu bluten. Sie war also nicht gefährlich. An der betroffenen Stelle gab es auch keine großen Adern.
So spornte ich meine Kaiila erneut an und ritt in den Kampf. Meine Lanze traf einen unberittenen Gelbmesser. Links und rechts von mir prallten andere Kämpfer aufeinander.
Eine weiße Sklavin hastete entsetzt über das Schlachtfeld. Sie war wunderschön. Ich wunderte mich, was sie hier zu suchen hatte. Ein junger Kaiilakrieger hatte die Lanze in die linke Hand genommen und beugte sich zur Seite, um ihr ins Haar zu greifen.
»Nein!« rief ich. »Nein!«
Der junge Krieger hob erschrocken den Kopf.
Mit gesenkter Lanze stürmte ein bemalter Gelbmesser auf ihn zu.
Verzweifelt zog ich meine Kaiila herum und traf den Angreifer in die Seite. Dichtauf folgten, wie befürchtet, seine Flankenschützer, die ihm die Zeit verschaffen sollten, seine Lanze wieder freizubekommen. Da meine eigene Lanze festsaß, sprang das Kurzschwert aus Port Kar aus seiner Scheide. Den Lanzenstoß des Mannes zu meiner Linken wehrte ich mit dem Schild ab und veränderte die Schubrichtung. Der andere Bursche, der sich links vom führenden Krieger gehalten hatte, drehte seine Kaiila in meine Richtung. Ich wendete und fing seine Lanzenspitze ebenfalls mit dem Schild ab. Als er erneut angreifen wollte, schlug ich ihm das Ende der Lanze mit einem Schwerthieb ab. Klingen, die so etwas schaffen, sind im Ödland weitgehend unbekannt. Mit einem erstaunten Ausruf zog der Mann seine Kaiila zurück und ergriff die Flucht. Ich hieb nach dem Mann, der mich von links bedrängte, und fetzte ihm eine große Kerbe in seinen Schild. Er riß die Augen auf und zog sich ebenfalls zurück.
Solche Klingen kommen natürlich vorwiegend bei der Infanterie zum Einsatz. In Länge und Gewicht sind sie auf ein Optimum ausgerichtet. Sie sind schwer genug, um eine säbelartige Schlagkraft zu ermöglichen, und leicht genug, um mit der Schnelligkeit eines Floretts geführt zu werden. Ihre Länge reicht aus, um an einen dolchbewaffneten Gegner heranzukommen, und ihre Kürze und Wendigkeit machte es möglich, die Abwehr längerer, schwerer Waffen zu überwinden. Sie eignen sich allerdings weniger für den Gebrauch vom Rücken einer Kaiila oder eines Tarn. Daß auf Gor nicht häufiger Säbel verwendet werden, liegt meiner Meinung nach an der Neigung vieler Krieger, sich ausschließlich auf ihre Lanze zu verlassen. Der Krummsäbel der Tahari, für einen Kaiilareiter eine sehr nützliche Waffe, bildet dabei eine interessante Ausnahme.
Hier und dorten steckten Lanzen im Boden.
Ich ritt zu einer dieser Waffen, steckte mein Schwert fort und zog die lange Waffe heraus. Es war eine Gelbmesser-Waffe.
Ich wandte mich auf der Kaiila um und erblickte das Mädchen, das zwischen Männern und Tieren hindurchgelaufen war. Stocksteif stand sie wenige Meter von mir entfernt und zitterte am ganzen Leib. Ich ritt zu ihr hinüber.
»Verstehst du goreanisch?« fragte ich.
»Ja, Herr.«
»Bist du eine Sklavin bei den Gelbmessern?«
»Ja.«
»Ein Irrtum! Du bist jetzt Kaiila-Sklavin.«
»Ja, Herr«, sagte sie erschaudernd.
In diesem Augenblick ritt der junge Mann herbei, den ich beschützt hatte.
»Ich glaube, du kennst diese Frau«, sagte ich zu ihm.
»Ja«, sagte er. »Wir sind uns kürzlich begegnet.«
»Wie heißt du?«
»Cotanka«, antwortete er, »aus der Bande der Wismahi.«
Streng blickte ich auf das Mädchen nieder. »Wenn ich dir den Befehl dazu gebe, machst du kehrt und läufst hinter die Linien der Kaiila. Dort wirst du einen Weißen antreffen, der einen breitkrempigen Hut trägt. Er heißt Grunt. Du wirst dich vor ihm hinwerfen und ihm sagen, daß du die Sklavin Cotankas von den Wismahi bist.«
Sie nickte mit weit aufgerissenen Augen.
»Nun geh, Sklavin«, sagte ich.
»Ja, Herr!« rief sie und lief stolpernd davon.
»Ich glaube, sie wird eine ganz ordentliche Sklavin abgeben«, sagte ich zu dem jungen Mann.
»Ich glaube auch«, erwiderte er.
Damit kehrten wir ins Kampfgetümmel zurück.
»Sie kommen! Sie kommen!« riefen Stimmen. »Die Kinyanpi kommen!«
Am Nachmittag waren schon mehrmals die Kampfpfeifen erklungen, die aus den Flügelknochen der krallenfüßigen Herlits geschnitzt werden, mehrmals hatten sich die gefiederten Kampfstäbe gehoben und gesenkt und damit ihre Signale an die Kampfteilnehmer weitergegeben, nicht nur an die Kaiila, sondern auch an die Gelbmesser. Ich kannte die Bedeutung der Signale im einzelnen nicht, ebensowenig kannte sich Cuwignaka aus, dem die Ausbildung für die wendige Kampftaktik seines Volkes fehlte. Hci dagegen – und viele andere – fühlte sich damit ausgesprochen heimisch, so wie jeder goreanische Soldat die Bedeutung bestimmter Standartenbewegungen und Trompetensignale und Tarntrommelwirbel zu deuten weiß. Wir folgten dem Beispiel der anderen. Bisher hatte Mahpiyasapa, der seine Befehle durch Pfeifen und Kampfstäbe übermitteln ließ, seinen mutigen Kämpfern kein einzigesmal gestattet, die zurückweichenden Gelbmesser zu verfolgen. Dies war eine kluge Maßnahme, denn soweit ich ausmachen konnte, waren uns die Gegner zahlenmäßig hoch überlegen. Gewiß, von Zeit zu Zeit hatten sich frische Gelbmesser in den Kampf gestürzt. Andere waren auf nahegelegenen Hügeln aufgetaucht. Der vorgetäuschte Rückzug, der die Verfolger aus ihren Positionen lockt, ist eine beliebte Taktik der roten Wilden. Außerdem wollten wir das Lager halten, in dem sich Frauen und Kinder aufhielten – und das Fleisch, das die Kaiila durch den bevorstehenden Winter bringen sollte.
»Sie kommen!« gellten Rufe. »Die Kinyanpi!«
»Vielleicht sind das kleinere Vögel, die schon viel dichter heran sind«, sagte ein Mann.
Kampfpfeifen schrillten.
»Es sind die Kinyanpi!« sagte ein Mann.
»Wir wollen aufsteigen«, sagte Cuwignaka und schluckte ein Stück Dörrmasse.
Ich wischte in aller Ruhe die Flanken meiner Kaiila ab.
Ringsum bestiegen Krieger ihre Tiere, die zum großen Teil bis zum Bauch mit Staub bedeckt waren. Das Haar am Unterkinn vieler Kaiila war steif von getrocknetem Blut, das auf die heftige Bewegung der Zügel zurückzuführen war. Vielfach klebte auch Blut an den geflochtenen Lederriemen.
Ich hörte Männer in meiner Nähe. Einige zählten sich selbst noch einmal ihre Coups auf. Einige gingen ihre Medizinhelfer um Beistand an. Andere sangen ihre Kriegsmedizin. Dann gab es Kämpfer, die auf ihre Schilde und Waffen einsprachen und ihnen mitteilten, was sie von ihnen erwarteten. Viele sangen ihre Todeslieder. »Auch wenn ich sterbe, wird die Sonne weiter am Himmel stehen. Auch wenn ich sterbe, wird das Gras wachsen. Obwohl ich sterbe, wird der Kailiauk kommen, sobald das Gras am höchsten steht.«
Ich machte den Zügel wieder an der Unterlippe meiner Kaiila fest. Dann stieg ich auf, Schild und Lanze im Arm.
»Glaubst du, wir haben eine Chance gegen die Kinyanpi?« fragte Cuwignaka.
»Ich nehme es an«, antwortete ich. »Kahintokapa hat alles gut vorbereitet.« In der Deckung von Zelten und Roben lagen an der Westseite des Lagers zahlreiche Bogenschützen auf der Lauer – zwischen den Kinyanpi und unserer Hauptstreitmacht. Wenn die Kinyanpi ihre Angriffstaktik beibehielten, würden sie bei diesem Anflug ganz überraschend auf einen Pfeilhagel stoßen, der aus nächster Nähe abgeschossen wurde. Sollten sie dann immer noch nicht abdrehen, würden sie anschließend gegen die Seile prallen, die zwischen einigen Zelten aufgespannt worden waren. Sie hatten denselben Zweck wie die frei schwingenden, beinahe unsichtbaren Tarndrähte, die zuweilen in den großen Städten hingen, Drähte, die einem Vogel die Flügel abreißen können oder einem Reiter Kopf oder Arm. Außerdem ließen sich angespitzte Pfähle, auf kürzeren, quer übereinander liegenden Stangen ruhend, an ihrem Fuße ein Pfeilschütze, in die Bahn des Angriffs richten. Damit hofften wir nicht nur Krallenattacken verhindern zu können, sondern auch Zweikämpfe auf engstem Raum, wie ihn die roten Wilden lieben.
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