»Nein, nein!« rief Ligurious zitternd. Seine Stirn war schweißfeucht. »Ich habe mich geirrt. Dies ist sie nicht!«
»Wo ist sie dann?« fragte Claudius zornig.
»Ich weiß es nicht!« rief Ligurious und sah sich verzweifelt um.
»Hassan aus Kasra!« rief der Bankettmeister von der Tür und gab damit die Ankunft des Sklavenjägers bekannt.
»Tut mir leid, daß ich zu spät komme«, sagte Hassan. »Ich wurde vorübergehend aufgehalten. Zwei Männer griffen mich an. Sie liegen jetzt gefesselt vor meiner Unterkunft, mit gebrochenen Armen und Beinen.«
»Sorgt dafür, daß die Übeltäter in Gewahrsam genommen werden«, sagte Claudius.
»Ja, Ubar«, antworteten zwei Soldaten und verließen mit schnellen Schritten den Saal.
Beim Erscheinen Hassans hatte Sheila sofort den Kopf gesenkt.
»Ist dies die Frau, die du in Ar gefangennahmst?« fragte Claudius und deutete auf Sheila.
Hassan ging zu ihr, griff ihr ins Haar, zog ihr Gesicht herum und untersuchte sie kurz.
»Ja, das ist sie«, sagte er.
»Hältst du sie für die Tatrix von Corcyrus?« fragte Claudius weiter.
»Ja, ich glaube, sie war Tatrix von Corcyrus«, antwortete Hassan.
»Er hat sie nie gesehen!« rief Ligurious.
»Sie wurde von Sleen identifiziert«, antwortete Hassan.
»Aber nach der falschen Kleidung!« rief Ligurious. »Dieses Mädchen ist nicht die echte Tatrix von Corcyrus! Die echte Tatrix muß hier irgendwo sein! Ich bin dessen sicher!«
»Woher willst du das wissen?« fragte Claudius. Verwirrt senkte Ligurious den Kopf. Er konnte der Versammlung nicht gut von dem Austausch erzählen, den er vorhin im Thronsaal hatte vornehmen wollen. »Ich habe sie hier im Palast gesehen«, erwiderte er hastig. »Ich glaubte, sie würde aus dem Sack geholt werden.«
»Mein Ubar«, sagte Miles aus Argentum und stand auf. »So ungern ich dem ehemaligen ersten Minister von Corcyrus widerspreche, der zweifellos einer der besten Lügner auf Gor ist, muß ich es doch als nicht unmöglich bezeichnen, daß er Sheila tatsächlich im Palast gesehen hat, vielleicht auf Händen und Knien beim Wischen eines Korridors, Aufgaben, die ich ihr letzthin mit großer Freude übertragen habe.«
Männer blickten sich erstaunt an.
»Mit deiner Erlaubnis, Ubar«, fuhr Miles fort und rief: »Sheila!«
Angstvoll huschte ich hinter dem Perlenvorhang hervor und kniete vor dem Mitteltisch nieder.
»Heb den Kopf!« befahl Miles.
Rufe des Erstaunens wurden laut.
»Dort!« rief Ligurious triumphierend, »haben wir die echte Sheila, die echte Tatrix von Corcyrus!«
»Glaubst du nicht, du müßtest sie ein wenig gründlicher untersuchen?« fragte Drusus Rencius.
Ligurious warf ihm einen haßerfüllten Blick zu und trat vor mich hin. Er tat, als betrachte er mich gründlich, ehe er sagte: »Ja, das ist die echte Sheila.«
»Eine bemerkenswerte Ähnlichkeit«, sagte Claudius staunend.
»Es könnten Zwillinge sein«, stellte ein Mann fest.
»Eine hat kürzeres Haar. Und es gibt auch andere kleine Unterschiede«, sagte ein anderer.
»Wenn man sie nicht zusammen sieht«, meinte ein dritter, »wäre es äußerst schwierig, sie auseinanderzuhalten.«
»Ja, ja!« riefen Stimmen.
»Ich behaupte, mein Ubar«, sagte Miles aus Argentum, »daß die Frau zu deiner Linken, die Frau mit dem kürzeren Haar, die Tatrix ist, vor der ich in Corcyrus erschien, als ich deinen Auftrag erfüllte und die Protestschreiben Argentums ablieferte.«
»Bist du sicher?«
»Ja«, sagte Ligurious, »er hat recht. Sie ist Sheila, die ehemalige Tatrix von Corcyrus.«
»Das ist aber nicht die Frau, die die Sleen gewittert haben«, wandte Hassan ein.
»Ich habe Zeugen, die sie identifizieren werden«, sagte Miles. »Ich bin der erste dieser Zeugen. Sie ist Sheila, Tatrix von Corcyrus!«
»Woher willst du das wissen?« fragte Drusus Rencius und erhob sich.
Ich war erstaunt. Woher nahm er den Mut zu sprechen?
»Der Hauptmann aus Ar hat nicht das Wort«, sagte Claudius.
»Bitte, laß ihn sprechen, edler Claudius«, sagte Miles.
»Hast du die Absicht, dich für die kurzgeschorene Sklavin zu verwenden?« fragte der Ubar.
»Ja«, sagte Drusus Rencius.
Erstaunte Ausrufe hallten durch den Bankettsaal. Sogar die Bankettsklavinnen, die im Hintergrund standen, Mädchen wie Claudia, Crystal, Tupa und Emily, schauten sich erstaunt an. Ich erschauderte.
»Bitte sehr«, sagte Claudius.
»Sei bedankt, Ubar«, sagte Drusus Rencius.
»Hast du die Absicht, unsere Freundschaft aufs Spiel zu setzen, mein Waffengefährte?« fragte Miles aus Argentum.
»Geliebter Miles, eine Freundschaft, die durch die Wahrheit in Gefahr gebracht werden kann, ist keine Freundschaft«, gab Drusus Rencius zurück.
»Das ist die Frau, die ich in Corcyrus sah, als ich die Protestschreiben Argentums dort ablieferte!« wiederholte Miles und deutete auf mich. »Das ist die Frau, die auf dem Thron saß. Das ist die Frau, die ich nach der Eroberung der Stadt gefangennahm. Das ist die Frau, die ich in den goldenen Käfig sperren ließ.«
»Das bestreite ich auch nicht«, sagte Drusus Rencius.
»Damit gibst du mir recht!« lachte Miles.
»Nein«, sagte Drusus Rencius. »Ich bestreite nicht, daß du sie in Corcyrus gesehen, sie später gefangen und in einen goldenen Käfig gesteckt hast, und so weiter. Was ich bestreite, ist die Tatsache, daß sie die Tatrix von Corcyrus war.«
»Der Hauptmann von Ar«, sagte Miles, »hat anscheinend den Verstand verloren. Er redet Unsinn. Will er uns einreden, die echte Tatrix wäre irgendwo anders gewesen und hätte sich vielleicht die Fingernägel bemalt, während jemand für sie die Staatsgeschäfte erledigte?«
Es wurde gelacht. Drusus Rencius ballte die Fäuste. Er war ein goreanischer Krieger. Es gefiel ihm nicht, auf diese Weise verspottet zu werden.
»Mein zweiter Zeuge«, sagte Miles aus Argentum, »ist die Frau, die dieser Frau in ihrem eigenen Quartier diente, die sie badete und ankleidete, die ihr das Haar kämmte, die ihr praktisch als Leibsklavin diente, jetzt meine eigene Sklavin, Susan.«
Susan wurde gerufen. Wie hübsch und exquisit sah sie in der engen kleinen Tunika aus, die die Uniform der Mädchen von Miles aus Argentum war! Wir trugen nun den gleichen Kragen. Er war unser beider Besitzer.
Sie kniete vor ihm nieder.
»Ist das die Frau, der du in Corcyrus dientest?« fragte Miles und deutete auf mich.
Susan kam zu mir. »Verzeih mir, Herrin«, sagte sie.
»Nenn mich nicht Herrin, Susan«, antwortete ich. »Ich bin jetzt genauso Sklavin wie du.«
»Ja, Herrin«, sagte sie.
»Ist das die Frau, der du gedient hast?« wiederholte Miles seine Frage.
»Ja. Herr.«
Die Mitglieder des Hohen Rates und andere schauten sich nickend an.
»Susan!« rief Drusus Rencius. »Glaubst du, daß diese Frau böse ist? Daß sie der schlimmen Verbrechen schuldig sein kann, die der Tatrix von Corcyrus zur Last gelegt werden?«
»Nein, Herr!« sagte das Mädchen lächelnd.
»Herrinnen haben manchmal eine andere Beziehung zu ihren Sklavinnen oder Freundinnen als zu anderen Menschen«, sagte Ligurious hastig. »Es ist allgemein bekannt, daß Individuen, die im Privatleben nett und liebevoll handeln, zu den schlimmsten Verbrechen fähig sind.«
»Susan«, ließ sich Drusus Rencius nicht beirren, »du weißt, daß dies die Frau ist, der du gedient hast, denn du kennst sie und erkennst sie mühelos. Ich unterstelle, daß du eigentlich gar nicht genau wissen kannst, daß sie die echte Tatrix von Corcyrus war. Du nimmst es an, weil man es dir gesagt hatte, und aus bestimmten anderen Gründen, zum Beispiel weil andere sie auch für die Tatrix hielten und du sie gewisse Dinge tun sahst, von denen du annahmst, daß nur die Tatrix sie tun konnte, beispielsweise Audienzen mit ausländischen Würdenträgern abhalten, und so weiter.«
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