„Genauso undenkbar wäre es damals gewesen, zu einem nicht maschinellen Zeitalter, wie dem der Antike, zurückzukehren, von der sie manchmal träumten.“
„Natürlich. Statt der antiken Kultur hätten sie eine schreckliche Hungersnot heraufbeschworen. Diese Individualisten und Träumer wollten nicht begreifen, dass die Geschichte nicht umkehrbar ist!“
„Ich bin nicht absolut sicher, dass sich hinter der Tür Waffen befinden, aber vieles spricht dafür.“ Weda kehrte zum Ausgangspunkt ihres Gesprächs zurück. „Wenn die Menschen, die dieses Versteck anlegten, gefangen waren in dem für ihre Zeit so typischen Irrglauben, dass Kultur und Zivilisation gleichzusetzen seien. Und wenn sie keine Ahnung hatten von ihrer Pflicht, die Emotionen des Menschen zu entwickeln und zu erziehen, dann waren die Werke der Kunst und Literatur und eine Wissenschaft, die weit über die alltäglichen Bedürfnisse hinausgeht, für sie nicht lebensnotwendig. In jenen Zeiten unterteilte man die Wissenschaft sogar in nützliche und nutzlose Bereiche, ohne an ihre Einheit zu denken. Es gab Zweige der Wissenschaft und der Kunst, die lediglich als angenehm, jedoch keineswegs als notwendige Begleiter im Leben des Menschen galten. Da hier nur das Wichtigste versteckt ist, nehme ich an, dass es Waffen sind, so naiv und unsinnig das uns modernen Menschen auch erscheinen mag.“
Weda verstummte und starrte auf die Tür.
„Vielleicht ist es nur ein Kombinationsschloss, und wir können es durch Abhorchen mit einem Mikrofon öffnen“, sagte sie plötzlich und ging auf die Tür zu. „Riskieren wir es?“
Miiko sprang zwischen die Tür und die Freundin.
„Nein, Weda! Wozu dieses sinnlose Risiko?“
„Ich habe das Gefühl, die Höhle wird nicht mehr lange halten. Wenn wir zurückgehen, werden wir vielleicht nicht mehr die Chance haben, zurückzukommen… Hören Sie?“
Ein undeutliches, aus der Ferne kommendes Geräusch drang von Zeit zu Zeit in die Kammer vor der Tür. Bald kam es von unten, bald von oben.
Doch Miiko blieb hart. Sie stand mit dem Rücken vor der Tür, die Arme ausgebreitet.
„Wenn dort wirklich Waffen sind, Weda! Dann werden sie bestimmt nicht ungeschützt sein…“
Zwei Tage später wurden Koffergeräte in die Höhle gebracht — ein Röntgenreflexschirm zur Untersuchung des Mechanismus und ein fokussierbarer Hochfrequenzstrahler zur Zerstörung der Sperrvorrichtung. Doch die Geräte kamen nicht mehr zum Einsatz.
Plötzlich war aus dem Inneren der Höhle ein stoßweises Grollen zu hören. Ein starkes Erbeben des Bodens unter ihren Füßen ließ die Forscher, die sich gerade in der dritten und untersten Höhle befanden, instinktiv zum Ausgang stürzen.
Das Grollen wurde stärker und ging in ein dumpfes Knirschen über. Offensichtlich sackte das gesamte rissige Gestein entlang der Verwerfungslinie am Fuße des Bergrückens ab.
„Alles verloren!“, rief Weda kläglich. „Wir sind zu spät gekommen. Retten Sie sich nach oben“.
Und die Leute stürzten sich auf die automatischen Erkundungsgeräte und kletterten, sich an die Kabel der Maschinen klammernd, den Schacht hinauf. Das Grollen und Zittern der Steinwände war ihnen dicht auf den Fersen und holte sie schließlich ein. Ein schreckliches Gepolter… Die Rückwand der zweiten Höhle stürzte in den Abgrund, der sich an der Stelle des Schachtes — des Übergangs in den dritten Saal — auftat. Durch den gewaltigen Druck wurden die Archäologen zusammen mit Staub und feinem Steinschutt förmlich unter das Gewölbe des ersten Saales hinaufgeschleudert und stürzten dann wieder zu Boden. Ausgestreckt daliegend, warteten sie auf ihren Tod.
Die Staubwolken verzogen sich langsam. So weit durch den Dunst und Staub zu erkennen war, hatten die Stalagmitsäulen und die Vorsprünge ihre Form nicht verändert. In dem unterirdischen Gewölbe trat wieder Totenstille ein…
Weda kam zu sich und stand auf. Zwei Mitarbeiter wollten sie stützen, doch sie riss sich ungeduldig los.
„Wo ist Miiko?“
Ihre Assistentin stand an einen niedrigen Stalagmiten gelehnt und schüttelte sich den Steinstaub von Hals, Ohren und Haar.
„Beinahe alles verloren“, antwortete sie auf die stumme Frage. „Die unbezwingbare Tür bleibt geschlossen, unter einer vierhundert Meter dicken Steinschicht verschüttet. Die dritte Höhle ist zur Gänze zerstört, und die zweite… die zweite kann vielleicht noch ausgegraben werden. Darin befinden sich sowieso die für uns wertvollsten Fundstücke.“
„So ist es…“ Weda fuhr sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. „Aber wir sind mit unserem Zögern und unserer Vorsicht selbst daran schuld. Wir hätten den Einsturz vorausahnen müssen.“
„Eine Vorahnung, für die es keinerlei konkrete Beweise gegeben hätte. Wir sollten uns nicht ärgern. Ohnehin hätten wir diese Gesteinsmassen nicht abgestützt, nur um die zweifelhaften Schätze hinter der Tür zu bergen, oder? Ganz sicher jedenfalls nicht wegen unsinniger Waffen.“
„Und wenn es Kunstschätze, unschätzbare menschliche Schöpfungen gewesen wären? Nein, wir hätten rascher handeln können!“
Miiko zuckte die Achseln und führte die niedergeschlagene Weda hinter den Kollegen ins Freie hinaus, wo sie ein prachtvoller sonniger Tag, belebendes reines Wasser und eine schmerzlindernde elektrische Dusche erwarteten.
Wie so oft schritt Mwen Maas in seinem Zimmer auf und ab, das man ihm im obersten Stockwerk des Hauses der Geschichte im indischen Sektor des nördlichen Wohngürtels zugewiesen hatte. Er war erst vor zwei Tagen hierher übersiedelt, nachdem er seine Arbeit im Haus der Geschichte des amerikanischen Sektors beendet hatte.
Das Zimmer, genauer gesagt, die Veranda, deren Außenwand aus einer großen, polarisierenden Glasscheibe bestand, ging auf die blauen Weiten eines hügeligen Hochlandes hinaus. Von Zeit zu Zeit schaltete Mwen Maas die kreuzpolarisierten Fensterläden ein. Dann herrschte im Zimmer ein graues Halbdunkel, und auf dem Hemisphärenbildschirm zogen langsam Bilder vorüber, Ausschnitte von alten Kinofilmen, Skulpturen und Gebäude, die er zuvor ausgewählt hatte. Der Afrikaner sah sie sich an und fuhr dann fort, seinem Roboter-Sekretär die nächsten Sätze seines künftigen Buchs zu diktieren. Die Maschine erfasste das Gesagte, nummerierte die Seiten und ordnete sie nach speziellen und allgemeinen Themen.
Als er müde wurde, schaltete Mwen Maas die Fensterläden aus und trat ans Fenster, um seinen Blick in die Ferne schweifen zu lassen und über das Gesehene nachzudenken.
Er konnte sich nur darüber wundern, wie viel von der kürzlich vergangenen Kultur der Menschheit bereits in Vergessenheit geraten war. Zur Gänze verschwunden waren die sprachlichen Feinheiten, die für die Ära der Wiedervereinigten Welt so charakteristisch gewesen waren, mündliche und schriftliche Kunstgriffe, die einst als Kennzeichen gebildeter Menschen galten. Keiner schrieb mehr um der Musik des Wortes willen, was in der Ära der Gemeinsamen Arbeit noch stark verbreitet gewesen war. Verschwunden war das kunstfertige Jonglieren mit Worten, das sogenannte geistreiche Wortspiel. Noch früher entfallen war die Notwendigkeit, seine Gedanken zu tarnen, was in der Ära der Uneinigen Welt einst von so großer Wichtigkeit gewesen war. Vermutlich würde die Ära des Großen Rings das Zeitalter der Ausbildung eines dritten Signalsystems des Menschen — des Verstehens ohne Worte — werden.
Von Zeit zu Zeit wandte sich Mwen Maas mit neuen Formulierungen seiner Gedanken an den unermüdlichen automatischen Sekretär:
„Mit dem ersten Jahrhundert der Ring-Ära nimmt auch die von Ljuda Fir begründete Fluktuationspsychologie der Kunst ihren Anfang. Ihr war es gelungen, den Unterschied zwischen emotionalen Wahrnehmungen bei Frauen und Männern wissenschaftlich nachzuweisen, indem sie jenen Bereich offenlegte, der jahrhundertelang halb mystisch als das Unterbewusstsein betrachtet worden war. Aber dieser Beweis ist nur ein Teil ihres Verdienstes. Ljuda Fir leistete Größeres — sie umriss die Hauptaspekte der sinnlichen Wahrnehmungen, wodurch es gelang, diese bei beiden Geschlechtern in Übereinstimmung zu bringen.“
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