„Wo sollen wir Ihren Freund denn suchen?“, fragte Tschara und blieb stehen.
Dar Weter sah sich um und erblickte im hellen Mondlicht Fußspuren auf dem nassen Sandstrand. Sie folgten in gleichmäßigen Abständen hintereinander, wobei die Fußspitzen mit einer solchen Präzision im gleichen Winkel nach außen zeigten, dass die Spuren von einer Maschine zu stammen schienen.
„Dorthin ist er gegangen“, sagte Dar Weter und zeigte in die Richtung großer Felsen.
„Ja, das sind seine Fußspuren“, bestätigte Ewda.
„Weshalb sind Sie sich so sicher?“, fragte Tschara zweifelnd.
„Sehen Sie sich die regelmäßigen Abdrücke an — so gingen die Jäger der Urzeit, und so gehen jene Menschen, die ihre Züge geerbt haben. Und mir scheint, Mwen Maas ist, ungeachtet seiner Gelehrtheit, naturverbundener als irgendein anderer von uns… Wie es mit Ihnen steht, Tschara, weiß ich allerdings nicht.“ Ewda drehte sich zu dem Mädchen um, das gerade über etwas nachdachte.
„Ich? Oh nein!“ Und dann zeigte sie plötzlich nach vorn und rief: „Da ist er ja!“
Auf einem der nächstliegenden Felsen war die riesige Gestalt des nackten Afrikaners aufgetaucht, der im Mondlicht einer Statue aus poliertem schwarzem Marmor glich. Mwen Maas ruderte energisch mit den Armen, so als würde er jemandem drohen. Die furchtgebietenden Muskeln seines kräftigen Körpers schwollen an und rollten in kleinen Höckern unter der glänzenden Haut.
„Er gleicht einem Nachtgespenst aus einem Kindermärchen!“, flüsterte Tschara aufgeregt.
Mwen Maas sah sie näher kommen, sprang vom Felsen und kam kurz darauf angekleidet wieder zum Vorschein. Dar Weter erzählte ihm mit wenigen Worten, was geschehen war, und Mwen Maas äußerte den Wunsch, unverzüglich Weda Kong zu sehen.
„Gehen Sie mit Tschara hinauf“, sagte Ewda, „wir bleiben noch ein wenig hier…“
Dar Weter machte eine Abschiedsgeste, und im Gesicht des Afrikaners war ein Ausdruck des Verstehens zu lesen. Aus irgendeiner halb kindlichen Regung heraus murmelte er längst vergessene Worte des Abschieds. Dar Weter war gerührt und ging in Begleitung der schweigsamen Ewda gedankenversunken weiter. Ren Boos trat verlegen auf der Stelle und folgte dann schließlich Mwen Maas und Tschara Nandi.
Dar Weter und Ewda wanderten bis ans Kap hinaus, das die Bucht vom offenen Meer trennte. Von hier aus waren die Lichter, die die riesigen tellerförmigen Flöße der Meeresexpedition säumten, deutlich sichtbar.
Dar Weter stieß ein durchsichtiges Plastikboot ins Wasser und ragte plötzlich noch massiver und mächtiger als Mwen Maas vor Ewda auf. Ewda stellte sich auf die Zehenspitzen und gab dem scheidenden Freund einen Abschiedskuss.
„Weter, ich werde bei Weda bleiben“, sagte sie, als habe sie seine Gedanken erraten. „Wir fahren zusammen in unsere Zone zurück und werden dort die Ankunft der Weltraumexpedition abwarten. Geben Sie Bescheid, wenn Sie eine neue Arbeit gefunden haben — Sie wissen, ich werde mich immer freuen, Ihnen behilflich sein zu können.“
Ewda blickte dem durch das silberne Wasser gleitenden Boot noch lange nach…
Dar Weter lenkte das Boot auf das zweite Floß zu, wo Mechaniker noch immer eifrig mit dem Montieren der Akkumulatoren beschäftigt waren. Auf seine Bitte hin zündeten sie drei grüne Lichter in der Form eines Dreiecks an.
Eineinhalb Stunden später schwebte bereits ein Spiralenschiff, das gerade das Gebiet überflog, über dem Floß. Dar Weter stieg in den herabgelassenen Lift ein, war noch einen Augenblick lang unter dem beleuchteten Rumpf des Schiffes zu sehen und verschwand dann in der Luke.
Gegen Morgen betrat er seine alte Wohnung in der Nähe des Observatoriums des Rates. Dar Weter schaltete in beiden Zimmern das Gebläse ein, und wenige Minuten später war aller Staub, der sich angesammelt hatte, verschwunden. Er klappte ein Bett aus der Wand hervor, stellte den Raum auf den Geruch und das Plätschern des Meeres ein, an das er sich in letzter Zeit so gewöhnt hatte, und versank in einen tiefen Schlaf.
Er erwachte mit dem Gefühl, die Welt habe jeden Reiz für ihn verloren. Weda war weit entfernt und würde es bleiben, bis… Aber sollte er ihr nicht beistehen, anstatt die Situation noch mehr zu verwirren?
Im Badezimmer ergoss sich ein wirbelnder Strahl elektrisierten kühlen Wassers über ihn. Dar Weter blieb so lange darunter stehen, bis er zu frösteln begann. Erfrischt trat er an das Televideofon, öffnete die Spiegeltüren und rief die nächste Arbeitsverteilungsstelle an. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht eines jungen Mannes. Er erkannte Dar Weter und begrüßte ihn mit einem kaum merklichen Anflug von Respekt, was als Zeichen ausgewählter Höflichkeit galt.
„Ich hätte gerne eine harte, langfristige Arbeit“, begann Dar Weter. „Es sollte sich unbedingt um körperliche Arbeit handeln: zum Beispiel in den antarktischen Bergwerken.“
„Dort ist nichts frei“, antwortete der Jüngling mit einem Ton des Bedauerns. „Nicht einmal in den Gruben auf der Venus, dem Mars und dem Merkur. Sie wissen ja, je härter die Arbeit, desto mehr zieht es die Jugend dorthin.“
„Ja, und ich darf mich wohl nicht mehr zu dieser schönen Kategorie zählen… Aber sagen Sie mir, wo ist im Augenblick eine Stelle frei? Ich brauche sofort Arbeit.“
„Da gibt es die Diamantenfelder in Mittelsibirien“, begann der Jüngling langsam, den Blick auf eine für Dar Weter nicht sichtbare Tabelle gerichtet. „Wenn es Sie schon zum Bergbau zieht. Außerdem gibt es noch freie Stellen auf den ozeanischen Flößen, den Lebensmittelfabriken, auf der Sonnenpumpstation in Tibet — aber das sind eher leichte Arbeiten. Unter den übrigen Stellen ist auch nichts außergewöhnlich Hartes dabei.“
Dar Weter bedankte sich bei dem Informator und bat ihn um Bedenkzeit sowie darum, die Stelle auf den Diamantenfeldern vorläufig nicht zu vergeben.
Er schaltete die Verteilungsstation aus und nahm Verbindung mit dem Haus Sibiriens auf, einem riesigen geografischen Informationszentrum über dieses Land. Sein Televideofon wurde an die Gedächtnismaschine mit den neuesten Daten angeschlossen, und vor Dar Weter zogen langsam unendliche Wälder vorüber. Die sumpfigen und spärlichen Lärchenwälder der Taiga, die sich einst auf dem Dauerfrostboden erstreckt hatte, waren mächtigen Baumriesen gewichen — sibirischen Zedern und amerikanischen Sequoien, die bereits vom Aussterben bedroht gewesen waren. Wie ein prachtvoller Zaun umgaben die riesigen roten Baumstämme die mit Betonhauben bedeckten Hügel. Stahlrohre von zehn Metern Durchmesser krochen darunter hervor, spannten sich über Wasserscheiden hinweg zu den nächstgelegenen Flüssen, die sie zur Gänze in ihre trichterförmigen Schlünde einsogen. Dumpf grölten die furchterregenden Pumpen. Hunderttausende Kubikmeter Wasser strömten in die von ihnen ausgehöhlten Tiefen der diamanthaltigen vulkanischen Schächte, erzeugten einen tosenden Lärm, während sie das Gestein unterspülten, und ergossen sich von Neuem an die Erdoberfläche, wobei sie in den Sieben der Waschkammern Tonnen von Diamanten zurückließen. In langen, lichtdurchfluteten Gebäuden saßen Menschen an den sich bewegenden Skalen der Sortiermaschinen. Die glitzernden Steine rieselten wie ein unaufhörlicher Strom kleiner Getreidekörner in die geeichten Öffnungen der Auffangbehälter. Das Bedienungspersonal der Pumpstationen beobachtete fortwährend die Angaben der Rechenmaschinen, die den ständig wechselnden Widerstand des Gesteins, den Wasserdruck und — verbrauch, die Tiefe der Schächte und den Auswurf fester Teilchen berechneten. Dar Weter kam zu dem Schluss, dass der freundliche Anblick der sonnenbeschienenen Wälder nicht seiner augenblicklichen Stimmung entsprach, und schaltete das Haus Sibiriens ab. Unmittelbar danach ertönte ein starkes Rufsignal, und auf dem Bildschirm meldete sich von Neuem der Informator von der Arbeitsverteilungsstelle.
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