Dar Weter beeilte sich, dem Sohn von Grom Orm aus der Verlegenheit zu helfen.
„Habt ihr viel Zeit?“
„O nein! Man hat uns nur für drei Stunden weggelassen — wir haben einen Fieberkranken aus unserer Sumpfstation hierher gebracht.“
„Sieh mal an! Das Fieber geht also immer noch um! Ich dachte…“
„Äußerst selten und nur in den Sümpfen“, beeilte sich Dis einzuwerfen. „Und dafür sind wir ja auch da!“
„Es bleiben uns also noch zwei Stunden. Gehen wir in die Stadt, ihr möchtet sicher gerne das Haus des Neuen sehen.“
„O nein! Wir möchten gerne… dass Sie uns unsere Fragen beantworten — wir haben uns vorbereitet, und Sie wissen ja, wie wichtig das für unsere Zukunft ist…“
Dar Weter war einverstanden, und die drei begaben sich in einen kühlen, mit künstlicher Seebrise belüfteten Raum der Gästehalle.
Zwei Stunden später stieg Dar Weter wieder in einen Waggon ein. Erschöpft schlief er auf einem Diwan ein und erwachte erst an der Station der Chemikerstadt. Ein gigantischer Bau in Form eines Sternes mit zehn gläsernen Strahlen erhob sich über einem großen Kohlenbergwerk. Die hier abgebaute Kohle wurde zu Medikamenten, Vitaminen, Hormonen, Kunstseide und synthetischen Pelzen verarbeitet. Die Abfallprodukte wurden für die Zuckerproduktion verwendet. In einem der Strahlengebäude wurden seltene Metalle wie Germanium und Vanadium gewonnen. Was war doch nicht alles in diesem wertvollen schwarzen Gestein enthalten!
Ein alter Freund Dar Weters, der hier als Chemiker arbeitete, erwartete ihn an der Station. Einst waren sie drei fröhliche junge Männer gewesen, die zusammen im Tropengürtel auf einer indonesischen Station für Erntemaschinen arbeiteten… Jetzt war einer von ihnen Chemiker und Leiter eines Laboratoriums in einer großen Fabrik, der zweite war sozusagen beim Gartenbau geblieben und hatte ein neues Verfahren zur Bestäubung entwickelt, und der dritte — Dar Weter — kehrte nun von Neuem in den Schoß der Erde zurück, und dieses Mal sogar in ihr tiefstes Inneres. Das Wiedersehen der Freunde dauerte nicht länger als zehn Minuten, war aber trotzdem weit inniger als der übliche Kontakt über Televideofon.
Der Rest der Reise ging rasch vonstatten. Der Leiter der Luftlinien entlang der Breitengrade kam Dar Weters Bitte mit jenem für die Menschen der Ringära so charakteristischen Wohlwollen nach. Dar Weter überflog den Ozean und erreichte den Westarm der Spiralstraße südlich der siebzehnten Abzweigung, an deren Endstation an der Küste er in ein Gleitboot umstieg.
Hohe Berge reichten bis direkt an die Küste. Auf den sanft geneigten Hängen am Fuße des Gebirges befanden sich Terrassen aus weißem Gestein. Reihen südlicher Kiefern und Widdringtonia mit bronzefarbenen und blaugrünen Nadelkleidern dienten zur Befestigung der dort aufgeschütteten Erde und verliefen in parallel angelegten Alleen. Hoch oben im nackten Felsen klafften Schluchten, an deren Grund Wasserfälle Wolken feinsten Wasserstaubs aufwirbelten. Auf den Terrassen erstreckten sich in Abständen kleine Häuser mit bläulichgrünen Dächern und orangefarbenen oder grellgelben Mauern.
Weit ins Meer hinaus ragte eine künstliche Sandbank, an deren Spitze ein von den Wellen umbrandeter Turm stand. Er befand sich am Rande des Kontinentalschelfs, das einen Kilometer steil in den Ozean abfiel. Unter dem Turm führte ein riesiger Schacht in Form einer übermäßig dicken Betonröhre, die dem Druck des tiefen Wassers standhielt, senkrecht in die Tiefe. Auf dem Grunde mündete die Röhre in den Gipfel eines Unterwasserberges, welcher aus beinahe reinem Rutil, also Titandioxid, bestand. Sämtliche Arbeitsgänge der Erzverarbeitung wurden unter Wasser, im Berg durchgeführt. An die Oberfläche gelangten nur riesige Barren reinen Titans und Mineralabfälle, die das Meer in weitem Umkreis trübten. Diese gelben, trüben Wellen brachten das Gleitboot vor der Anlegestelle an der Südseite des Turmes ins Schaukeln. Dar Weter wartete einen günstigen Augenblick ab und sprang dann auf eine von der Gischt nasse Plattform. Er stieg zu einer Balustrade hinauf, wo sich einige dienstfreie Mitarbeiter zur Begrüßung ihres neuen Kollegen eingefunden hatten. Die Mitarbeiter dieses, wie Dar Weter zunächst glaubte, einsamen Bergwerks, machten durchaus nicht den Anschein finsterer Einsiedler, wie er sie unter dem Einfluss seiner eigenen Stimmung hier anzutreffen erwartet hatte. Freundliche, wenn auch von der harten Arbeit etwas abgespannte Gesichter begrüßten ihn. Fünf Männer und drei Frauen — es arbeiteten also auch Frauen hier…
Zehn Tage waren vergangen, und Dar Weter hatte sich an die neue Arbeit gewöhnt.
Das Bergwerk besaß ein eigenes Kraftwerk — in der Tiefe einer aufgelassenen Grube auf dem Festland lag ein Atomkraftwerk des Typs E verborgen, oder, wie man es früher nannte, des zweiten Typs, der keine harte Reststrahlung hinterließ und deshalb für lokale Anlagen sehr günstig war.
Eine komplexe Maschinenanlage bewegte sich in dem steinernen Leib des Unterwasserberges und fraß sich immer tiefer in das spröde, rotbraune Mineral hinein. Am schwierigsten war die Arbeit auf der untersten Stufe der Anlage, wo das Gestein automatisch abgebaut und zerkleinert wurde. Die Anlage empfing Signale von der in der oberen Stufe befindlichen Steuerzentrale, wo die Beobachtungen der Schneide- und Zerkleinerungsmaschinen, der wechselnden Festigkeit und Zähigkeit des Minerals sowie die Daten aus den Flotationsschächten zusammenliefen. Je nach Metallgehalt erhöhte oder verringerte sich die Geschwindigkeit des Abbau- und Zerkleinerungsaggregates. Aufgrund des beschränkten wassergeschützten Platzes konnte nicht die gesamte Prüf- und Beobachtungsarbeit kybernetischer Maschinen übertragen, sondern musste von den Maschinenmeistern durchgeführt werden.
Dar Weter wurde Maschinenmeister für Prüfung und Einstellung des unteren Aggregates. Er versah seinen täglichen Dienst in halbdunklen, mit Messskalen gefüllten Räumen, wo die Pumpe der Klimaanlage kaum mit der drückenden Hitze fertigwurde, die sich durch den erhöhten Druck infolge des unweigerlichen Durchsickerns von Pressluft noch verschlimmerte.
Wenn Dar Weter und sein junger Mitarbeiter nach der Arbeit ihren Weg nach oben antraten, blieben sie zuerst lange auf der Balustrade stehen, um frische Luft zu atmen. Danach nahmen sie ein Bad, aßen und gingen in ihre Zimmer in einem der auf den Terrassen gelegenen Häuschen. Dar Weter versuchte sein Studium des neuen Gebietes der Mathematik, der Kochlearrechnung, wieder aufzunehmen. Es schien ihm, als habe er seinen früheren Kontakt mit dem Kosmos verloren. Wie alle Arbeiter in der Titangrube bereitete es ihm Freude und Befriedigung, den Flößen mit den ordentlich gestapelten Titanbarren nachzusehen. Nach der Reduktion der Polargebiete hatten die Stürme auf dem Planeten stark nachgelassen, und viele Gütertransporte zur See konnten auf Schleppflößen oder Flößen mit Eigenantrieb erfolgen. Als die Belegschaft des Bergwerkes wechselte, verlängerte Dar Weter zusammen mit zwei weiteren Bergbauenthusiasten seinen Aufenthalt.
Da in dieser unbeständigen Welt nichts von ewiger Dauer ist, stand auch das Bergwerk eines Tages still, damit das Abbau- und Zerkleinerungsaggregat überholt werden konnte. Zum ersten Mal drang Dar Weter in die Kammer bis vor den Vortriebsschild vor, geschützt nur durch einen Spezialschutzanzug gegen die enorme Hitze, den erhöhten Druck sowie die plötzlichen aus den Gesteinsspalten hervorquellenden giftigen Gase. Unter der grellen Beleuchtung nahmen die braunen Rutilwände den ihnen eigenen diamantähnlichen Glanz an und strahlten rotes Feuer aus, als wären in dem Mineral zürnende Augen verborgen. In der Kammer herrschte eine ungewöhnliche Stille. Der hydroelektrische Meißel und die riesigen Scheiben, welche Ultrakurzwellen aussandten, standen zum ersten Mal seit vielen Monaten still. Darunter hantierten Geophysiker, die gerade angekommen waren und diese Gelegenheit nützten, um mithilfe ihrer Geräte die Konturen der Flöze zu überprüfen.
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