Chaos, sagt ihr? Das Branden toter Glut? Warum äußert dann die Sonnenoberfläche, von Astronomen beobachtet, solche schlechthin ungezählte Vielheit regelmäßiger, obgleich unbegreiflicher Phänomene? Warum sind solche Magnetwirbel erstaunlich gesetzmäßig? Warum gibt es rhythmische Zyklen der Sternaktivität, ganz wie es die Stoffwechselzyklen jedes lebenden Organismus gibt? Der Mensch kennt den Tag— und Nachtrhythmus und den Monatsrhythmus, überdies kämpfen in ihm, über den Zeitraum eines Lebens ausgedehnt, die entgegengesetzten Kräfte von Wachstum und Absterben; die Sonne hat einen Elfjahreszyklus, nach jeder Viertelmilliarde von Jahren macht sie eine „Depression“ durch, ihr Klimakterium, das die irdischen Eiszeiten herbeiführt. Der Mensch entsteht, altert und stirbt — wie ein Stern.
Ihr hört, aber ihr glaubt nicht. Und das Lachen kommt euch an. Ihr möchtet mich fragen, schon nur mehr zum Spott, ob ich vielleicht an das Bewußtsein des Sterns glaube? Ob ich meine, daß die Sterne denken? Auch das weiß ich nicht. Aber statt sorglos meinen Irrsinn zu verdammen, guckt euch die Protuberanzen an! Versucht ein einziges Mal einen während einer Sonnenfinsternis gedrehten Film anzuschauen — wie dieses flammende Gewürm hervortaucht und sich Hunderttausende und Millionen Kilometer weit vom Muttergrund entfernt, um in wunderlichen und unbegreiflichen Evolutionen, sich zu immer neuen Formen ausdehnend und zusammenziehend, endlich zu verwehen und im Raum zu schwinden, oder in den Ozean aus Weißglut zurückzukehren, der sie alle hervorgebracht hat. Ich behaupte nicht, sie seien die Finger der Sonne. Ebensogut könnten sie ihre Schmarotzer sein.
Gut, soll es so sein — sagt ihr. — Der Diskussion zuliebe, damit dieses originelle, wenn auch durch die Überdosis von Absurdität riskante Gespräch nicht vorzeitig abreißt, wollen wir noch etwas wissen. Warum versuchen wir uns denn nicht mit der Sonne zu verständigen? Wir bombardieren sie mit Radiowellen. Vielleicht wird sie antworten…? Wenn nicht, dann ist deine These umgestürzt…
Ich möchte wissen, worüber wir uns mit der Sonne unterhalten könnten. Was sie und wir für gemeinsame Lebensfragen, Begriffe, Probleme haben. Erinnert euch daran, was unser erster Film aufgezeigt hat. Im Millionenbruchteil einer Sekunde bildete sich die Feueramöbe zu zwei Filialgenerationen um. Der Tempounterschied hat auch gewisse (gewisse…) Bedeutung. Verständigt euch zuerst mit den Bakterien eurer Körper, mit den Sträuchern eurer Gärten, mit den Bienen und ihren Blumen, und dann werden wir über die Methodik einer Nachrichtenverbindung mit der Sonne nachdenken können.
Ja dann — sagt der Gutmütigste unter den Skeptikern — erweist sich alles bloß als… einigermaßen origineller Gesichtspunkt. Deine Ansichten ändern in nichts die bestehende Welt, weder jetzt noch in Zukunft. Die Frage, ob der Stern ein Wesen ist, ob er „lebt“, wird zu einer Sache der Übereinkunft, der Einwilligung, einen solchen Ausdruck zugebrauchen, weiter nichts. Kurzum, du hast uns ein Märchen erzählt.
Nein — antworte ich. Ihr irrt euch. Denn ihr meint, daß die Erde ein Krümelchen Leben im Ozean des Nichts sei. Daß der Mensch einsam sei und Sterne, Nebelflecken, Galaxien zu Gegnern, zu Feinden habe. Daß das einzig mögliche erreichbare Wissen dieses sei, das er errungen hat und noch erringen wird, er, der einzige Schöpfer der Ordnung, die unausgesetzt bedroht sei von Überflutung durch die Unendlichkeit, die entfernte Lichtpunkte strahlt. Aber so ist es nicht. Die Stufenordnung aktiven Dauerns ist allgegenwärtig. Wer will, kann sie Leben nennen. Auf ihren Gipfeln, auf den Höhen energetischer Erregung, verweilen die feurigen Organismen. Knapp vor dem Ende, dicht beim absoluten Nullpunkt, in der Gegend der Finsternis und des letzten erstarrenden Atems, erscheint einmal noch das Leben, als schwacher Abglanz jenes anderen, als seine blasse, verglimmende Andeutung — das sind wir. Seht es so, und ihr werdet Demut lernen und zugleich Hoffnung, denn einmal wird die Sonne zur Nova werden und uns mit dem gnädigen Atem des Brandes umfangen, und wenn wir so in den ewigen Kreislauf des Lebens zurückkehren, zu Teilchen ihrer Größe werden, gewinnen wir tieferes Wissen als das, welches den Bewohnern der Vereisungszone zuteil werden kann. Ihr glaubt mir nicht. Jetzt sammle ich diese beschriebenen Blätter, um sie zu vernichten, aber morgen oder übermorgen setze ich mich wieder an den leeren Tisch und schreibe von Anfang an wieder die Wahrheit.
Gibt es Sie, Mister Johns?
Richter:
Das Gericht erörtert nunmehr den Streitfall Cybernetics Company contra Harry Johns. Sind die Parteien anwesend? Anwalt:
Ja, Herr Richter. Richter:
Sie vertreten die Belange… Anwalt:
Ich bin der juristische Bevollmächtigte der Firma Cybernetics Comp., Herr Richter. Richter:
Und wo ist der Beklagte? Johns:
Hier bin ich, Herr Richter. Richter:
Würden Sie Ihre Personalien angeben? Johns:
Gern, Herr Richter. Ich heiße Harry Johns, geboren am 6. April 1917 in New York. Anwalt:
Ein Wort zur Hauptsache, Herr Richter. Der Beklagte spricht die Unwahrheit, er ist durchaus nicht geboren… Johns:
Bitte, hier meine Geburtsurkunde. Und im Saal ist mein Bruder, er… Anwalt:
Das ist nicht Ihre Urkunde, und dieses Individuum ist nicht Ihr Bruder. Johns:
Wessen sonst? Ihrer vielleicht? Richter:
Bitte um Ruhe. Herr Bevollmächtigter, gedulden Sie sich ein wenig. Nun, Herr Johns? Johns:
Mein seliger Vater Lexington Johns hatte eine Autowerkstätte und impfte mir die Leidenschaft zu diesem Beruf ein. Als Siebzehnjähriger nahm ich erstmals an einem Autorennen teil. Seither startete ich berufsmäßig siebenundachtzigmal und habe bis heute sechzehn erste Plätze errungen, einundzwanzig zweite… Richter:
Danke, diese Einzelheiten sind für den Fall unwesentlich. Johns:
Drei Goldpokale, drei Goldpokale… Richter:
Danke, habe ich gesagt. Johns:
Und einen silbernen Kranz. Donovan, Präsident der Cybernetics Comp.:
Da! Er hat sich verklemmt! Johns:
Darauf können Sie lang warten! Richter:
Bitte um Ruhe! Haben Sie einen Rechtsvertreter? Johns:
Nein. Ich verteidige mich selbst. Meine Sache ist so lauter wie Kristall. Richter:
Wissen Sie, welche Forderungen die Cybernetics Company Ihnen gegenüber geltend macht? Johns:
Ich weiß. Ich bin das Opfer der schurkischen Tätigkeit tückischer Finanzhaie… Richter:
Danke. Herr Bevollmächtigter Jenkins, würden Sie dem Gericht den Gegenstand der Klage darlegen? Anwalt:
Sehr wohl, Herr Richter. Vor zwei Jahren erlitt der Beklagte bei einem Autorennen in der Nähe von Chicago einen Unfall und verlor ein Bein. Damals wandte er sich an unsere Firma. Die Cybernetics Company erzeugt bekanntlich Arm— und Beinprothesen, Kunstnieren, Kunstherzen und andere Ersatzorgane. Der Beklagte bezog gegen Teilzahlung eine linke Beinprothese und erlegte die erste Rate. Vier Monate später wandte er sich neuerlich an uns, diesmal bestellte er Prothesen zweier Arme, eines Brustkorbs und eines Genicks. Johns:
Quatsch! Das Genick, das war im Frühling, nach dem Bergrennen! Richter:
Unterbrechen Sie nicht. Anwalt:
Nach dieser zweiten Transaktion belief sich die Verschuldung des Beklagten an die Firma auf 2967 Dollar. Nach weiteren fünf Monaten wandte sich namens des Beklagten dessen Bruder an uns. Der Beklagte weilte damals im Monte-Rosa-Krankenhaus bei New York. Der neuen Bestellung gemäß lieferte die Firma nach Erhalt einer Anzahlung eine Reihe von Prothesen, deren Einzelaufzählung bei den Akten liegt. Dort figuriert unter anderem als Ersatz für eine Großhirnhalbkugel ein Elektronengehirn Marke Geniox zum Preis von 26 500 Dollar. Hohes Gericht, bitte die Tatsache zu beachten, daß der Beklagte bei uns die Luxusausführung des Geniox bestellt hat, mit Stahlröhren, farbentreuer Traumbildanlage, Stimmungsentstörer und Sorgendämpfer, obwohl dies die finanziellen Möglichkeiten des Beklagten klar überstieg. Johns:
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