Nun erst, dort zwischen den Hügeln, unter dem blauen Himmel, in der Nähe der schon geschwärzten und gleichsam kleiner gewordenen Ruine des Laboratoriums, begriff ich, warum es so gekommen war. Der Feuerwurm hat uns nicht getötet. Hat uns nicht töten wollen. Er hat nichts von uns gewußt, wir kümmerten ihn nichts. Von der Explosion geschaffen, aus ihr hervorgekrochen, fing er aus der Umgebung den Rhythmus der Signale auf, die immer noch in den Kabeln pulsierten, weil Maartens die Steueranlage nicht ausgeschaltet hatte. Zur Quelle des Rhythmus, zur Quelle der elektrischen Impulse kroch die feurige Kreatur, überhaupt kein bewußtes Wesen, nein, ein Regenwurm der Sonne, eine walzenförmige Ballung organisierten Glühens… die kaum ein paarmal zehn Sekunden an Dasein vor sich hatte. Davon zeugte die wachsende Aureole des Wurms; die Temperatur, die ihm das Dasein ermöglichte, sank reißend schnell, in jedem einzelnen Augenblick mußte er Unmengen von Energie verlieren, er strahlte sie ab, und er hatte nichts, woraus er welche schöpfen konnte, deshalb wand er sich krampfhaft die stromführenden Kabel entlang und verwandelte sie gleichzeitig in Dampf, in Gas. Maartens und Ganimaldi hatten sich zufällig auf seinem Weg befunden, im übrigen war er ihnen gewiß nicht nahe gekommen. Der thermische Stoß von dem feurigen Durchzug hatte Maartens einige Dutzend Schritt weit vom Gipfel getroffen, und Ganimaldi hatte vielleicht, völlig geblendet, das Gefühl für die Richtung verloren und war geradewegs hineingerannt in den Abgrund der blitzenden Agonie.
Ja, die Feuerkreatur ist dort verendet, auf dem Gipfel des Hügels, in unsinnigen Zickzackwindungen durchs Gras, in heftigem und vergeblichem Suchen nach Quellen für die Energie, die aus ihr ausströmte, wie Blut aus den Adern. Sie hat beide getötet, ohne auch nur darum zu wissen. Im übrigen wuchs Gras über die veräscherten Spuren.
Wir konnten sie nicht mehr finden, als wir dort vorfuhren, zwei Ärzte, ein fremder Mensch — von der Polizei, wie es scheint —, Professor Guilsh und ich. Dabei waren seit der Katastrophe kaum drei Monate verstrichen. Gras hatte alles überwachsen, auch jene Stelle, die wie der Schatten einer gekreuzigten Gestalt war. Das Gras war an dieser Stelle besonders üppig. Alles hatte sich gleichsam wider mich verschworen, denn das Erdloch war zwar da, aber jemand hatte daraus eine Müllablage gemacht; auf dem Grund lagen nur verrostetes Alteisen und leere Konservendosen. Ich behauptete, darunter müßten die Überbleibsel von dem Panzerglas sein, das geschmolzen war. Wir wühlten in diesem Müll, aber Glas fanden wir nicht. Das heißt, nur ein paar Splitter, sogar angeschmolzene. Die Leute, die mit mir dort waren, entschieden, daß die Scherben von gewöhnlichen Flaschen stammten, die jemand im Zentralheizungsofen geschmolzen habe, nachdem er sie vor dem Einwerfen in den Abfallbehälter zerbrochen habe, um das Volumen zu verringern. Ich wollte, man solle eine Analyse des Glases durchführen, aber das wurde nicht gemacht. Mir verblieb nur ein einziger Trumpf: jener junge Biologe und der Professor, denn beide hatten unseren Film gesehen. Der Professor war in Japan und sollte erst im Frühjahr zurückkommen, und der Freund von Maartens gab zu, daß wir ihm wirklich einen solchen Film gezeigt hätten; das seien Aufnahmen von Tiefwasseramöben gewesen, nicht von Kernplasma. Der Biologe versicherte, Maartens habe in seinem Beisein kategorisch abgestritten, daß die Aufnahmen irgend etwas anderes darstellen könnten.
Und das war auch wahr. Maartens hatte so gesprochen, weil wir das vereinbart hatten, um alles geheimzuhalten. So schloß sich die Angelegenheit ab.
Und was ist aus dem Sonnenwurm geworden? Vielleicht ist er explodiert, während ich bewußtlos lag, oder vielleicht hat er sein flüchtiges Dasein still beendet; eines ist ebenso wahrscheinlich wie das andere.
Bei alledem hätten sie mich vielleicht als harmlos entlassen, aber ich erwies mich als hartnäckig. Die Katastrophe, die Maartens und Ganimaldi weggerafft hatte, verpflichtete mich. Während der Genesung verlangte ich allerlei Bücher. Man gab mir alles, was ich wollte. Ich studierte die ganze Solarliteratur durch, ich erfuhr alles, was über Sonnenprotuberanzen und Kugelblitze bekannt war. Auf den Gedanken, der Feuerwurm könnte irgend etwas mit diesem Blitz Verwandtes an sich gehabt haben, brachte mich eine gewisse Ähnlichkeit in ihrem Verhalten. Die Kugelblitze, eigentlich bis heute unerklärte und für die Physiker rätselhafte Phänomene, entstehen in einer Umwelt gewaltiger elektrischer Entladungen, während eines Gewitters. Diese Gebilde, die an erglühte Kugeln oder Perlen erinnern, steigen frei in der Luft auf, überlassen sich manchmal ihren Strömungen, Durchzügen und Winden, segeln manchmal gegen ihren Strom, werden von Metallgegenständen und von elektromagnetischen Wellen, besonders von den sehr kurzen, angezogen — es zieht diese Blitze dorthin, wo die Luft ionisiert ist. Am liebsten kreisen sie in der Nähe von Leitungen, die elektrischen Strom führen, und suchen ihn gleichsam daraus zu trinken. Das gelingt ihnen aber nicht. Hingegen ist es wahrscheinlich — so behaupten zumindest manche Fachleute —, daß sich die Kugelblitze von Dezimeterwellen „ernähren“, durch den Kanal ionisierter Luft, den der linienförmige Mutterblitz erzeugt hat, der die Kugelblitze gebar.
Die entweichende Energie übertrifft jedoch die Menge, die von der Kugel absorbiert wird, und deshalb leben sie alle kaum ein paarmal zehn Sekunden. Haben sie die Umgebung mit bläulich-gelbem Glanz erhellt und in schwankem und blauem Flug durchkreist, so enden sie durch plötzliche Explosion oder zerfließen und erlöschen fast lautlos. Selbstverständlich sind das keine lebenden Gebilde; mit dem Leben haben sie gerade soviel gemein wie diese in Öl gebrachten Chloroformtropfen, von denen uns der Professor erzählt hat.
War der Feuerwurm, den wir geschaffen haben, lebendig? Wer mir diese Frage stellen wird — selbstverständlich nicht zu dem Zweck, den Irren zu reizen, der ich nicht bin —, dem werde ich ehrlich antworten: ich weiß es nicht. Doch allein die Ungewißheit, allein diese Unwissenheit birgt in sich die Möglichkeit eines solchen Umsturzes in unserem Wissen, wie ihn sich selbst im Fieber niemand hat träumen lassen.
Es gibt — sagen mir die Leute — nur eine Art von Leben: die Eiweißvegetation, die wir kennen, zweigeteilt in Pflanzen— und Tierreich. In Temperaturen, die vom absoluten Nullpunkt kaum dreihundert kleine Schritte entfernt sind, entsteht die Evolution mit ihrer Krönung — dem Menschen. Nur er, und wer ihm ähnlich ist, können sich der im ganzen Weltall herrschenden Zunahmetendenz des Chaos entgegenstellen. Ja, im Sinne dieser Behauptung ist alles Chaos und Unordnung: die furchtbare Glut des Sterneninneren, die Feuerwände der durch wechselweise Durchdringung entbrennenden galaktischen Nebel, die Gaskugeln der Sonne. — Schließlich — so sagen diese nüchternen, vernünftigen und demzufolge zweifellos im Recht befindlichen Leute — kann keine Installation, keine Art, und nicht einmal eine Spur von Organisation in Ozeanen aus siedendem Feuer aufkommen; die Sonnen sind blinde Vulkane, die Planeten auswerfen; diese wiederum schaffen ausnahmsweise und selten manchmal den Menschen; alles andere ist totes Wüten entarteter Atomgase, ein Ameisenhaufen aus von Protuberanzen erschütterten apokalyptischen Feuern.
Ich lächle, wenn ich diese selbstrechtfertigende Darlegung höre, die das Ergebnis benebelnden Größenwahns ist. Es gibt — sage ich — zwei Stufen von Leben. Die eine, gewaltig und riesig, hat sich des ganzen sichtbaren Kosmos bemächtigt. Was für uns Untergangsdrohung und Bedrohlichkeit ist, die Sternglut, die gigantischen Felder magnetischer Potentiale, die ungeheuerlichen Flammeneruptionen, das ist für diese Form von Leben die Vereinigung freundlicher und günstiger, mehr noch, notwendiger Bedingungen.
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