In der Hauptuntersuchungsklause, die mit blendendem Gepränge eingerichtet war, ruhte nun der Schiffsrurnpf, so schwarz, als wäre er auf Kohlen geröstet worden. Kundige Forscher richteten Spiegelflächen hellster Kristalle auf ihn und öffneten mit diamantenen Schneiden die erste Außenpanzerung. Darunter lag eine zweite, deren seltsames Weiß die Gelehrten ein wenig beängstigte. Und als die Karborundbohrer auch diese Hülle geknackt hatten, kam eine dritte zum Vorschein. Die war undurchdringlich, und ihre dicht eingepaßte Tür ließ sich nicht öffnen.Affinor, der älteste der Gelehrten, untersuchte sorgfältig den Verschluß dieser Tür. Es erwies sich, daß ihr Schloß nur dann nachgeben konnte, wenn ein bestimmtes Wort ausgesprochen wurde. Sie kannten das Wort nicht. Sie konnten es ja nicht kennen. Lang versuchten sie allerlei Wörter, wie etwa: „Kosmos“, „Sterne“, „Ewiger Flug“. Aber die Tür regte sich nicht.
„Ich weiß nicht, ob wir gut daran tun, daß wir das Schiff zu öffnen versuchen, ohne daß König Metamerius etwas davon weiß“ — sprach Affinor endlich. „Als Kind habe ich eine Sage über weiße Wesen gehört, die im ganzen Kosmos alles metallgeborene Leben verfolgen und ausrotten. Dies ist ihre Rache für…“Er verstummte. Zutiefst entsetzt, starrte er wie die anderen auf die wandgroße Schiffsseite. Denn auf seine letzten Worte hin erbebte plötzlich die bisher leblose Tür und schob sich sperrangeiweit auf. Das Wort, das sie geöffnet hatte, hieß: „Rache“. Die Gelehrten riefen Gewappnete zu Hilfe. Sobald die Funkenwerfer gerichtet waren, traten die Forscher mit ihren Beschützern in die stickige unbewegliche Finsternis des Schiffs und erleuchteten sie mit blauen und weißen Kristallen.
Die Maschinerie war zu einem beträchtlichen Teil zerschmettert. Lang irrten die Forscher durch den Trümmerhaufen und suchten die Bemannung. Doch sie fanden weder sie noch eine Spur von ihr. Sie überlegten, ob das Schiff etwa selbst ein denkendes Wesen sei, ein sehr großes, wie es ja zuweilen vorkommt. Ihr König war ja vieltausendmal größer bemessen als das unbekannte Schiff, und doch war er in sich eins. Aber was sie an Knoten elektrischen Denkens entdeckten, das war klein und verstreut. Das fremde Schiff konnte also nichts anderes sein als bloß eine Flugmaschine. Ohne Bemannung war es so tot wie ein Stein.In einem Winkel an Bord, dicht an der Panzerwand, stießen die Forscher auf eine verspritzte Pfütze. Sie sah aus wie rote Malerfarbe, und als sie sich näherten, befleckte sie ihnen die silbernen Finger. Nasse rote Fetzen unbekannter Kleidung und ein paar Kalksplitter von geringer Härte wurden aus dieser Pfütze gefischt. Und die Forscher wußten selbst nicht, warum, aber Angst erfaßte sie alle, als sie dort in diesem vom Licht der Kristalle kaum angestochenen Dunkel standen. Und schon hatte von dem Abenteuer auch der König erfahren. Alsbald erschienen seine Boten mit dem strengsten Befehl, das fremde Schiff samt all seinem Inhalt müsse zerstört werden. Insbesondere gebot der König, die fremden Schiffer dem Atomfeuer zu übergeben. Die Forscher entgegneten, niemand sei drin gewesen; dort fänden sich nur Finsternis und zertrümmerte Scherben, Metalleingeweide und Staub, befleckt von ein paar Spritzern roter Malerfarbe. Da erbebte der Königsbote und befahl, augenblicklich die Atommeiler anzuzünden.
„Im Namen des Königs!“ — sprach er. „Das Rot, das ihr gefunden habt, verkündet den Untergang! Denn davon lebt der Weiße Tod, der nichts anderes kennt, als die Rache an Schuldlosen für ihr bloßes Dasein…“„War es der Weiße Tod, so bedroht er uns nicht mehr. Denn das Schiff ist tot, und wer darauf auch gesegelt haben mag, der ist im Ring der Wehrklippen umgekommen“ — entgegneten sie.
„Unendlich mächtig sind jene bleichen Wesen. Denn sterben sie, so leben sie viele Male von neuem auf, weit weg von den kraftvollen Sonnen! Waltet eures Amtes, o Atomisten!“ Angst durchfuhr Forscher und Weise, als sie diese Worte hörten. Doch keiner glaubte an den verheißenen Untergang, dessen bloße Möglichkeit ihnen gar zu unwahrscheinlich erschien. Und so hoben sie das Schiff aus seiner Lagerstatt. Auf Ambossen aus Platin zerschmetterten sie es. Und als es zerfallen war, tauchten sie es in harte Strahlung. Da verwandelte es sich in Myriaden flüchtiger Atome. Und diese schweigen auf ewig. Denn Atome sind ohne Geschichte, und es bleibt sich gleich, woher sie stammen: von stärksten Gestirnen oder von toten Planeten oder aus einem denkenden Wesen, es sei nun gut oder böse. Denn die Materie ist im ganzen Kosmos dieselbe, und nicht sie haben wir zu fürchten.
Dennoch erfaßten die Forscher sogar diese Atome, ließen sie zu einem einzigen Klumpen gefrieren, schossen ihn zu den Sternen ab und sagten erst dann erleichtert zu sich selbst: „Daraus kann nichts mehr erwachsen. Wir sind gerettet.“Doch schon vorher, als noch die Platinhämmer auf das zerfallende Schiff eingeschlagen hatten, da war aus einer aufgetrennten Naht des blutbeschmierten Gewandfetzens eine unsichtbare Spore herausgefallen. Ein Sandkorn hätte hundert ihresgleichen zugedeckt, so klein war sie. Und in Staub und Pulver zwischen den Felsen der Höhlen schlüpfte in der Nacht aus dieser Spore ein weißer Keim, und daraus ein zweiter, ein dritter, ein hundertster. Und sie hauchten Sauerstoff und Feuchtigkeit, und der Rost befiel die Platten der Spiegelstädte. Und unbemerkbares Fadengeflecht wucherte im kalten Eingeweide der Enteralen. Und als sie aufstanden, trugen sie schon den Tod in sich. Da verstrich kein Jahr, und schon waren alle dahingemäht. Die Maschinen in den Grotten standen still, die kristallenen Feuer erloschen, brauner Aussatz zerfraß die Spiegelkuppeln. Und als sich die letzte Atomwärme verflüchtigt hatte, sank Finsternis herab. Durch klirrende Skelette sickernd, rostige Schädel füllend, erloschene Augenhöhlen einspinnend, mehrte sich in dieser Finsternis flaumiger, feuchter, weißer Schimmel.
Mitten in unwegsamer Schwärze, in einer einsamen Sterneninsel am galaktisehen Pol, gab es einstmals ein sechsfaches System. Fünf seiner Sonnen kreisten einsam, die sechste aber hatte einen Planeten aus Magma-Gestein mit einem Jaspishimmel. Machtvoll entfaltete sich auf diesem Planeten das Reich der Argenser, das heißt, der Silbrigen.Auf weißem Flachland, zwischen schwarzem Gebirg, standen ihre Städte Ilidar, Bismalia, Sinalost. Am herrlichsten aber war Eterne, die Hauptstadt der Silbrigen: bei Tag wie blauer Gletscher, nachts wie ein gerundeter Stern. Schwebende Mauern schützten die Stadt vor Meteoren. In Eterne standen viele Bauten aus Chrysopras, so hell wie Gold, und andere aus Turmalin und Morionguß, sehwärzer als der leere Weltraum. Doch am schönsten war der Palast der argensischen Monarchen, ein Werk aufgehobener Baukunst; denn die Baumeister hatten weder dem Blick noch dem Denken eine Schranke setzen wollen. So war dies ein imaginäres, mathematisches Gebäude, ohne Dächer, ohne Decken, ohne Wände. Von hier aus herrschte die Dynastie der Energer über den ganzen Planeten.
Zur Zeit des Königs Treops überfielen die asmischen Siderianer das Energer-Reich vom Himmel aus. Sie machten aus der metallischen Stadt Bismalia nebst den Asteroiden eine einzige tote Trümmerhalde und brachten noch viel anderes Unheil über die Silbrigen. Erst der junge König Somanches, ein nahezu allwissender Poliarch, berief die weisesten Astrotechniker und umgab den ganzen Planeten mit einem System magnetischer Wirbel und mit Schwerefeldgräben, worin die Zeit so reißend dahinbrauste, daß beim Eindringen irgendeines fürwitzigen Angreifers im Nu hundert Millionen von Jahren verstrichen oder noch mehr; zu Staub zerstob er vor Altersschwäche, ehe er den Lichtschein der Argenserstädte zu Gesicht bekommen hatte. Diese unsichtbaren Zeitklüfte und Magnetverhaue sperrten den Zugang zum Planeten so sicher, daß die Argenser zum Angriff übergehen konnten. Da zogen sie auf die Asmia. Aus Strahlenschießern bombardierten und reizten sie die weiße asmische Sonne und entfachten in ihr zuletzt den Kernbrand. Da wurde sie zur Supernova, und ihre Feuersbrunst umschlang und verbrannte den Planeten der Siderianer.Jahrhundertelang herrschten dann Ruhe, Harmonie und Wohlstand im Reich der Argenser. Die Dynastie riß nicht ab. Und wenn ein Energer die Thronfolge antrat, stieg er am Krönungstag in die Krypta des Imaginärpalastes hinab und entnahm den toten Händen des Vorgängers das silbrige Zepter. Das war kein gewöhnliches Zepter. Vor Jahrtausenden hatte jemand die Inschrift hineingeritzt:
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