»Die Blockhütte«, sagte er, als er ein wenig nachgedacht hatte. »Bei meinem zweiten Besuch fragte er mich nach Tagträumen, und ich sagte ihm, daß ich manchmal Tagträume von einem Stück Land in den Naturschutzgebieten hätte, wissen Sie, ein Häuschen auf dem Land, wie in alten Romanen, einen Ort, wohin ich mich zurückziehen könnte. Natürlich hatte ich keine. Wer schon? Aber letzte Woche muß er mir suggeriert haben, daß ich träume, ich hätte eine, denn jetzt gehört eine mir. Eine auf dreiunddreißig Jahre gepachtete Blockhütte im Siuslaw-Nationalpark in der Nähe des Neskowin. Am Sonntag habe ich mir ein Batterieauto gemietet und bin hingefahren. Sie ist sehr hübsch. Aber …«
»Warum sollten Sie keine Blockhütte haben? Ist das unmoralisch? Viele Leute haben an der Lotterie für die Pachtverträge teilgenommen, seit sie letztes Jahr eigens einen Teil der Naturschutzgebiete dafür geöffnet haben. Sie hatten einfach verdammtes Glück.«
»Aber ich hatte keine«, sagte er. »Niemand hatte eine. Die Parks und Wälder, soweit sie überhaupt noch existierten, dienten ausschließlich als Naturschutzgebiete, sogar Camping war nur in den Randbereichen erlaubt. Es existierten keine Blockhütten, die der Staat verpachtete. Bis letzten Freitag. Als ich träumte, daß es sie gibt«
»Aber hören Sie, Mr. Orr, ich weiß — «
»Ich weiß, daß Sie es wissen«, sagte er leise. »Und ich weiß es auch. Alles darüber, wie sie letztes Frühjahr beschlossen, einen Teil des Nationalparks zu verpachten. Und ich bewarb mich, bekam ein Los in der Lotterie, das gezogen wurde, und so weiter. Aber ich weiß auch, daß das bis letzten Freitag nicht so gewesen ist. Und Dr. Haber weiß es auch.«
»Dann hat Ihr Traum vom letzten Freitag«, sagte sie spöttisch, »die Realität rückwirkend für den gesamten Bundesstaat Oregon verändert, eine Entscheidung beeinflußt, die letztes Jahr in Washington getroffen wurde, und die Erinnerung von allen gelöscht, außer Ihrer eigenen und der Ihres Arztes? Ein toller Traum! Können Sie sich daran erinnern?«
»Ja«, sagte er mürrisch, aber nachdrücklich. »Es ging um die Blockhütte und den Bach davor. Ich erwarte nicht, daß Sie das alles glauben, Miss Lelache. Ich glaube, nicht einmal Dr. Haber durchschaut es völlig; er wartet einfach nicht ab, bis er ein Gefühl dafür bekommen hat. Andernfalls würde er vielleicht etwas vorsichtiger damit umgehen. Sehen Sie, es funktioniert folgendermaßen: Wenn er mir unter Hypnose befehlen würde zu träumen, daß sich ein rosa Hund in dem Zimmer befindet, würde ich es tun; aber der Hund könnte nicht da sein, solange rosa Hunde in der Natur nicht vorkommen, nicht Bestandteil der Realität sind. Es würde so aussehen, daß ich einen weißen Pudel bekomme, der rosa eingefärbt wurde, sowie einen stichhaltigen Grund für seine Anwesenheit; und wenn er darauf bestehen würde, daß es sich um einen wahrhaftigen rosa Hund handelt, dann müßte mein Traum die natürliche Ordnung dahingehend verändern, daß rosa Hunde dazugehören. Überall. Seit dem Pleistozän, oder wann immer Hunde entstanden sind. Dann wären sie schon immer schwarz, braun, gelb, weiß und — rosa gewesen. Und einer dieser rosa Hunde hätte sich dann in seine Praxis verirrt, oder er wäre sein Collie oder der Pekinese seiner Sprechstundenhilfe, oder etwas in der Art. Nichts Wundersames. Nichts Ungewöhnliches. Jeder Traum verwischt seine Spuren vollständig. Es würde einfach ein ganz normaler rosa Hund da sein, wenn ich erwache, und es würde einen ganz plausiblen Grund für seine Anwesenheit geben. Und gar niemandem würde etwas Neues auffallen, außer mir — und ihm. Ich behalte die Erinnerung an beide Realitäten. Genau wie Dr. Haber. Er ist im Augenblick der Veränderung anwesend und weiß, wovon der Traum gehandelt hat. Er gibt nicht zu, daß er es weiß, aber ich weiß, daß es so ist. Für alle anderen hätte es schon immer rosa Hunde gegeben. Aber für mich, und ihn, hat es sie gegeben — und auch wieder nicht.«
»Zweierlei Zeitverläufe, Alternativuniversen«, sagte Miss Lelache. »Sehen Sie sich viele alte Filme im Nachtprogramm des Fernsehens an?«
»Nein«, sagte der Klient fast so trocken wie sie. »Ich verlange nicht von Ihnen, daß Sie mir glauben. Ganz bestimmt nicht ohne Beweise.«
»Na also. Gott sei Dank!«
Er lächelte, beinahe ein Lachen. Er hatte ein gütiges Gesicht, aus einem unerfindlichen Grund sah es so aus, als ob er sie mochte.
»Aber hören Sie, Mr. Orr, wie, zum Teufel, soll ich Beweise für Ihre Träume bekommen? Besonders, da Sie jedesmal, wenn Sie träumen, alle Beweise vernichten, indem Sie alles bis ins Pleistozän verändern?«
»Könnten Sie«, fragte er plötzlich eifrig, als wäre neue Hoffnung in ihm geweckt worden, »könnten Sie als meine Anwältin nicht darauf bestehen, daß Sie bei einer meiner Sitzungen mit Dr. Haber dabei sind — wenn Sie möchten?«
»Na ja. Möglich. Es ließe sich einrichten, wenn ein triftiger Grund vorliegt. Aber hören Sie, wenn Sie einen Anwalt als Zeugen für eine mögliche Verletzung der Privatsphäre hinzubitten, wird das Ihre Therapeut-Patient-Beziehung völlig ruinieren. Nicht, daß Sie eine besonders gute zu haben scheinen, aber das ist von außen natürlich schwer zu beurteilen. Tatsache ist jedoch, Sie müssen ihm vertrauen, wissen Sie, und er muß Ihnen gleichermaßen vertrauen. Wenn Sie ihm mit einem Anwalt kommen, weil Sie ihn aus Ihrem Kopf draußen haben möchten, was kann er da schon machen? Vermutlich versucht er ja nur, Ihnen zu helfen.«
»Ja. Aber er benutzt mich zu Versuchs…« Weiter kam Orr nicht: Miss Lelache war erstarrt; die Spinne hatte endlich ihre Beute entdeckt.
»Zu Versuchszwecken? Wirklich? Inwiefern? Dieser Verstärker, den Sie erwähnt haben — ist er noch im Experimentierstadium? Hat er die Genehmigung des Gesundheitsamts? Was haben Sie unterschrieben, irgendwelche Unterlassungserklärungen, etwas, das über die normalen FTB-Formulare und die Einverständniserklärung zur Hypnose hinausgeht? Nichts? Das hört sich an, als hätten Sie hier tatsächlich einen Anlaß zur Beschwerde, Mr. Orr.«
»Sie können mich zu einer der Sitzungen begleiten?«
»Möglicherweise. Aber natürlich müßten wir die Schiene Bürgerrechte fahren, nicht Verletzung der Privatsphäre.«
»Ihnen ist doch bewußt, daß ich Dr. Haber nicht in Schwierigkeiten bringen möchte?« fragte er und sah besorgt drein. »Das will ich nicht. Ich weiß, er meint es gut. Es ist nur so, daß ich geheilt werden möchte, nicht benutzt.«
»Wenn seine Motive anständig sind, und wenn er ein Gerät im Experimentierstadium bei einer menschlichen Testperson anwendet, dann sollte er die Sache als übliche Vorgehensweise betrachten, ohne Verstimmungen; und wenn es sich um etwas in dieser Hinsicht handelt, wird er auch keinen Ärger bekommen. Ich habe schon zwei solcher Fälle gehabt. Jedesmal im Auftrag des Gesundheitsamts. Ich habe einen neuen Hypnoseinduktor im Praxistest an der Uniklinik geprüft, hat nicht funktioniert, und habe mir drüben am Institut in Forest Grove eine Vorführung angesehen, wie man Agoraphobie durch Suggestion induzieren kann, damit sich die Leute in Menschenmengen wohlfühlen. Das hat funktioniert, bekam aber keine Genehmigung, Verstoß gegen das Gesetz gegen Gehirnwäsche, haben wir entschieden. Also ich kann ganz bestimmt eine Verfügung des Gesundheitsamts bekommen, diesen Klapperatismus zu untersuchen, den Ihr Arzt da benutzt. Damit sind Sie aus allem fein raus. Ich trete überhaupt nicht als Ihre Anwältin in Erscheinung.Tatsächlich kenne ich Sie vielleicht gar nicht. Ich wäre eine offiziell akkreditierte ACLU-Beobachterin für das Gesundheitsamt. Und wenn wir damit nicht weiterkommen, bleibt die Beziehung zwischen Ihnen und ihm unbeschadet. Das einzig Knifflige ist, ich muß zu einer Ihrer Sitzungen eingeladen werden.«
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