An der südlichen Wand, wo sich das Filterglas befand, blieb sie stehen. Der gesamte Raum war mit exotischen und viel Wasser benötigenden Pflanzen bedeckt. Ihre Muskeln spannten sich. Sie sah mit einem flüchtigen Blick auf ein automatisches Wassersprühgerät, dessen Arm sich im gleichen Augenblick hob und mehrere Pflanzen bewässerte. Dann glitt er in das Dickicht zurück, und Jessica sah, daß er Farnkraut besprüht hatte.
Es gab überall Wasser in diesem Raum, und das auf einem Planeten, wo Wasser der wichtigste Lebenssaft war. Es wurde hier in so unglaublicher Form verschwendet, daß es sie beinahe schockierte. Sie sah auf die filtergelbe Sonne, die tief über einer wildgezackten Bergkette hing, von der sie wußte, daß man sie als Schildwall bezeichnete.
Filterglas, dachte sie erneut. Damit die weiße Sonne vertrauter und weniger grell wirkt. Wer kann für die Existenz eines solchen Raumes verantwortlich sein? Etwa Leto? Es würde zu ihm passen, mich mit einem solchen Geschenk zu überraschen, aber er hat nicht die nötige Zeit dazu gehabt. Er hat wirklich zur Zeit mit ernsthafteren Dingen zu tun.
Sie erinnerte sich daran, daß die meisten Häuser von Arrakeen deshalb mit Luftschleusen versehen waren, weil man verhindern wollte, daß aus ihnen zuviel Feuchtigkeit nach außen drang. Leto hatte sie darauf hingewiesen, daß ihr Palast, der lediglich gegen Staub gesichert war, in den Augen der anderen Einwohner möglicherweise als Provokation wirken könne.
Aber dieser Raum enthielt noch weitaus mehr Provokationen als das Fehlen von Wassersiegeln an Türen und Fenstern. Es war ziemlich wahrscheinlich, daß allein dieses Treibhaus mehr Wasser verschlang als tausend Einwohner von Arrakis — vielleicht sogar viel mehr.
Jessica spazierte an den Fenstern entlang. Ihr Blick hing noch immer an den Pflanzen und Blumen; aber er traf plötzlich auf ein kleines Schreibpult, das von einem riesigen Farn fast verdeckt wurde. Am Springbrunnen vorbei trat sie an das Pult heran. Auch dies trug Hawats Kontrollzeichen. Auf der Schreibfläche lag ein Block, auf dem etwas geschrieben stand:
An Lady Jessica!
Möge dieser Ort Ihnen ebensoviel Freude bereiten wie mir. Aber denken Sie dabei an eine Lektion, die wir beide von denselben Lehrern erhielten: Die Nähe einer erstrebenswerten Sache kann zur Übersättigung führen. In dieser Richtung droht Gefahr.
Mit den besten Wünschen
Margot Lady Fenring.
Jessica nickte. Sie erinnerte sich wieder, daß Leto ihr erzählt hatte, daß Graf Fenring Gesandter des Imperators auf Arrakis gewesen sei. Aber die versteckte Botschaft dieses Briefes war eher dazu angetan, ihr Interesse zu wecken. Ihr wurde klar, daß die Schreiberin dieser Zeilen ebenfalls eine Bene Gesserit war. Ein bitterer Gedanke kam in ihr auf: Der Graf hat seine Lady geheiratet.
Im gleichen Moment beugte sie sich über den Block und fragte sich, wo Lady Margot ihren Hinweis versteckt hatte. Die sichtbare Notiz sagte ihr, daß es eine nähere Erklärung geben mußte. Der Kodesatz In dieser Richtung droht Gefahr, ein Hinweiszeichen, das jede Bene Gesserit kannte, bewies es eindeutig.
Jessica drehte die Botschaft um und tastete sie mit ihren Fingern ab. Sie rechnete damit, Einkerbungen zu finden, die ihr weiterhelfen konnten. Nichts. Sie legte den Block dorthin zurück, wo er gelegen hatte. Erregung packte sie.
Hat es mit der Richtung zu tun, in der der Block lag? fragte sie sich.
Aber Hawat hatte bereits hier seine Kontrollen durchgeführt. Zweifellos hatte er dabei auch die Lage der Botschaft verändert. Sie sah sich das Blatt an, das über das Pult ragte. Das Blatt! Sie fuhr mit der Fingerspitze über die Unterseite des Farnwedels, dann an seinem Stamm entlang. Dort! Sie spürte die winzigen Erhebungen und entschlüsselte rasch den Text:
Der Herzog und sein Sohn sind in unmittelbarer Gefahr. Einer der Schlafräume wurde absichtlich so hergerichtet, daß er Ihrem Kind gefallen muß. Die H. haben den Raum mit einer ganzen Ladung rasch erkennbarer Todesfallen ausgestattet, deren einziger Zweck es ist, von derjenigen abzulenken, die ihm wirklich gefährlich werden kann.
Jessica mußte das Verlangen, sich auf der Stelle umzudrehen und zu Paul zu eilen, niederkämpfen. Aber sie mußte erst die komplette Botschaft kennen. Wieder tasteten sich ihre Finger über die Kerben.
Ich bin nicht genau darüber informiert, wie das Attentat erfolgen soll, aber es hat etwas mit einem Bett zu tun. Des weiteren ist der Herzog stark gefährdet durch den Verrat eines seiner engsten Mitarbeiter oder eines Leutnants. Die H. planen außerdem, Sie persönlich zum Geschenk eines ihrer Vasallen zu machen. Soweit ich weiß, ist dieser Raum sicher. Verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen nicht mehr mitteilen kann. Meine Möglichkeiten sind, da mein Graf nicht auf der Gehaltsliste der H. steht, begrenzt. In Eile:
M. F.
Jessica ließ den Farnwedel wieder fallen und wirbelte herum, um Paul zu warnen. Im gleichen Augenblick flog die Tür der Luftschleuse auf und Paul kam, etwas in der rechten Hand haltend, hereingestürmt. Er knallte die Tür hinter sich zu, sah seine Mutter und kam durch die Büsche auf sie zu. Der Brunnen erweckte seine Aufmerksamkeit. Er hob die rechte Hand und tauchte sie, mitsamt dem Gegenstand, den sie enthielt, in das Wasser.
»Paul!« Jessica ergriff seine Schulter und starrte auf die Hand. »Was hat das zu bedeuten?«
Ruhig, aber dennoch unter einem Mantel spürbar unterdrückter Erregung, erwiderte er knapp: »Ein Jäger-Sucher. Ich hab' ihn mir geschnappt und ihm die Nase zertrümmert. Aber ich muß ganz sichergehen. Das Wasser sorgt für einen Kurzschluß.«
»Steck ihn tiefer hinein«, sagte Jessica.
Paul gehorchte.
»Zieh die Hand jetzt zurück«, sagte Jessica nach einer Weile. »Aber laß das Ding drin.«
Er zog die Hand zurück, schüttelte die Wassertropfen ab und starrte auf das vom Wasser überspülte Metallding. Jessica brach einen Pflanzenstengel ab und berührte es zaghaft.
Es rührte sich nicht.
Sie warf einen Stengel in den Brunnen und schaute auf ihren Sohn. Pauls Blick glitt durch den Raum. Er studierte ihn mit einer Genauigkeit, die nur einer Bene Gesserit zu eigen war.
»Hier könnte man allerhand verstecken«, sagte er schließlich.
»Ich habe guten Grund anzunehmen, daß dieser Raum sicher ist«, meinte Jessica.
»Das hat man von meinem Schlafzimmer auch angenommen. Hawat hat gesagt …«
»Es war ein Jäger-Sucher«, versuchte sie ihm klarzumachen. »Und das bedeutet, daß es jemand im Haus gibt, der ihn steuerte. Die Kontrollstrahlen, um einen Jäger-Sucher zu manövrieren, haben nur eine begrenzte Reichweite. Man kann das Ding ohne weiteres ins Haus gebracht haben, nachdem Hawat seine Kontrollen durchführte.«
Gleichzeitig fiel ihr ein, was Lady Fenring auf der Unterseite des Farnwedels hinterlassen hatte: … durch den Verrat eines seiner engsten Mitarbeiter oder eines Leutnants. — Das kann natürlich nicht Hawat sein. Natürlich nicht. O nein.
»Hawats Männer sind gerade dabei, das Haus auf den Kopf zu stellen«, erklärte Paul. »Das Ding hätte beinahe die alte Frau erwischt, die mich wecken wollte.«
»Die Shadout Mapes«, sagte Jessica, die sich jetzt an die Begegnung auf der Treppe erinnerte. »Sie kam, weil dein Vater …«
»Das hat jetzt Zeit«, sagte Paul. »Wieso glaubst du, daß dieser Raum sicher ist?«
Sie zeigte ihm Lady Margots Botschaft, was ihn sichtlich entspannte. Aber Jessica selbst konnte ihre Erregung nur mühsam verbergen. Ein Jäger-Sucher! Gerechte Mutter!
Sachlich sagte Paul: »Es waren natürlich die Harkonnens, die dafür verantwortlich sind. Wir werden ihre Meuchelmörder aufspüren und vernichten müssen.«
Читать дальше