Diese ›Wasserdiebe‹ starben bei jeder Gewürzexplosion zu Millionen, und schon ein Temperaturumschwung von 5 Grad konnte sie töten. Die wenigen Überlebenden fielen in einen scheintotähnlichen Tiefschlaf, um sechs Jahre später aus ihm als drei Meter lange Sandwürmer hervorzugehen. Von diesen entgingen nur wenige ihren größeren Brüdern, um selbst zur Größe eines Shai-Hulud heranzuwachsen. (Daß Wasser für die Shai-Huluds giftig ist, wußten die Fremen bereits, seit sie die seltenen, im Wachstum zurückgebliebenen und selten größer als neun Meter langen Würmer ertränkten, um aus ihnen das zu produzieren, was sie das ›das Wasser des Lebens‹ nannten.)
Nun hatte sich der Kreis geschlossen: aus dem kleinen Bringer wurde sowohl die Vorgewürzmasse als auch der Shai-Hulud; der Shai-Hulud wiederum verstreute das Gewürz, von dem sich die mikroskopisch kleinen Kreaturen, die man als Sandplankton bezeichnete, ernährten; das Sandplankton, die Nahrung des Shai-Hulud, wiederum wuchs heran zum kleinen Bringer.
Kynes und seine Leute wandten sich fortan einer neuen Aufgabe zu: der Mikro-Ökologie. Zuerst das Klima: Die sandige Oberfläche von Arrakis erreichte oft Temperaturen von 344 bis 350 Grad Kelvin. Dreißig Zentimeter unter dem Boden mochte es 55 Grad, dreißig Zentimeter darüber 25 Grad kühler sein. Zweige oder dichte Schatten waren in der Lage, den Boden um weitere 18 Grad abzukühlen. Dann die Nährstoffe: der Sand von Arrakis ist hauptsächlich ein Produkt der Ausscheidungen der Würmer; der Staub (das wirklich allgegenwärtige Problem auf dieser Welt) wird von der beständigen Oberflächenerosion hervorgerufen. Auf den Abwindseiten der Dünen findet man grobe Körner, während die dem Wind zugeneigten glatt und weich sind. Ältere Dünen sind gelb (aufgrund von Oxidation), während junge in der Regel die Farbe der Felsen besitzen, aus denen sie hervorgegangen sind — grau.
Abwindseiten älterer Dünen wurden zu ersten Anpflanzfeldern. Die Fremen versuchten zunächst, Flächen von kargem Gras mit einem torfähnlichen Wimperngewächs zu verbinden, aus denen Matten entstanden. Des weiteren beraubten sie den Wind seiner Hauptwaffe: der weitertreibenden großen Körner.
Fern von den Beobachtern der Harkonnens, im fernen Süden, legte man anpassungsfähige Zonen an. Die ersten mutierten Mangelgräser wurden entlang der abwindigen Dünenseiten, die auf dem Pfad der vorherrschend von Westen kommenden Dünen lagen, befestigt. Mit der Abwindseite verankert, wuchs die Aufwindseite höher und höher und zwang so das Gras, mit ihr Schritt zu halten. Gewaltige Sifs (lange Dünen mit gezackten Kämmen) wurden auf diese Art produziert. Manche davon wurden bis zu 1500 Meter hoch.
Erreichten diese Barrieredünen eine bestimmte Breite, wurden ihre Windseiten mit zäherem Schwertgras bepflanzt. Jede Düne, die etwa sechsmal so dick war wie ihre bepflanzte Fläche, galt als verankert. ›Festgemacht.‹
Dann setzte man die längerwurzeligen und vergänglicheren Gewächse ein (Chenopodea, Schweinekraut und Amaranth), dann schottischen Ginster, Lupine, Eukalypthus (aus den nördlichen Regionen von Caladan) und Zwergentamariske, Uferpinien. Und auch die Wüste begann zu blühen: Candelilla, Saguaro und Bis-Naga, der Faßkaktus. Dort, wo es wuchs, führte man Kamelbeifuß, Zwiebelgras, Gobi-Federgras, wilde Alfalfa, Eselsbusch, Sandeisenkraut, Primeln, Zornkraut, Rauchbäume und den Kreosotebusch ein.
Und anschließend ging man zum tierischen Leben über. Man setzte unterirdisch lebende Geschöpfe aus, die den Boden öffneten und ihm Sauerstoff zuführten, Wüstenfüchse, Känguruhmäuse, Wüstenhasen, Sandschildkröten … und die nötigen Raubtiere, um zu verhindern, daß sie sich zu stark ausbreiteten: Wüstenfalken, Zwergeulen, Adler und Wüsteneulen. Dazu kamen die Insekten, um die Nischen zu füllen, in die die anderen Tiere nicht einsickern konnten:
Skorpione, Tausendfüßler, Spinnen, Wespen, Würmerfliegen — und die Wüstenfledermaus, die ihrerseits auf die Insekten angesetzt war.
Dann kam der alles entscheidende Versuch: Dattelpalmen, Baumwollpflanzen, Melonen, Kaffee und Kräuter insgesamt mehr als zweihundert ausgewählte Gewächstypen, die man vorher getestet und angepaßt hatte.
»Was der ökologische Laie nicht weiß«, sagte Kynes, »ist, daß ein ökologisches System ein System ist. Ein System, das durch ständigen Stabilitätsfluß aufrechterhalten wird und nicht funktionieren kann, wenn man auch nur die kleinsten Fakten unberücksichtigt läßt. Ein System beinhaltet eine Ordnung, die in eine bestimmte Richtung fließt. Unterbricht man diesen Fluß, bricht es zusammen. Der Laie wird diesen Zusammenbruch erst dann wahrnehmen, wenn es bereits zu spät ist. Darum ist die höchste Funktion der Ökologie das Verstehen von Konsequenzen.«
Und hatte man jetzt ein System eingeführt?
Kynes und seine Leute beobachteten und warteten ab. Die Fremen verstanden jetzt, was seine unbestimmte Voraussage von fünfhundert Jahren bedeutete.
Dann kam ein Bericht aus den Palmengärten:
Am Rande der Pflanzungen war das Sandplankton durch das Zusammentreffen mit den neuen Lebensformen vergiftet worden. Der Grund: die Unverträglichkeit der Proteine. Es war giftiges Wasser entstanden, das vom arrakisischen Leben nicht angerührt wurde. Mithin wurden die Pflanzungen von einer unfruchtbaren Zone umrundet, durch die nicht einmal mehr der Shai-Hulud sich wagte.
Kynes ging selbst zu den Palmengärten hinunter. Er machte die Zwanzig-Klopfer-Reise in einem Palanquin — wie ein Verwundeter oder eine Ehrwürdige Mutter, da er niemals zu einem Sandreiter wurde. Er untersuchte die unfruchtbare Zone, in der es zum Himmel stank und kehrte mit einem arrakisischen Geschenk nach Hause zurück.
Zusätze von Schwefel und gehärtetem Stickstoff hatten die unfruchtbare Zone zu einem reichhaltigen Pflanzenbett für terraformendes Leben erweitert. Nun konnten die Pflanzungen nach Belieben weitergeführt werden.
»Hat das einen Einfluß auf die Zeit?« fragten die Fremen.
Kynes stürzte sich auf seine gesammelten Unterlagen und begann zu rechnen. Die Anzahl der Windfallen war schon damals völlig sichergestellt. Er rechnete großzügig, weil er wußte, daß man gegen ökologische Probleme nicht bürokratisch vorgehen kann. Er benötigte ein bestimmtes Potential an Pflanzenteppichen, um die Dünen an Ort und Stelle zu halten, ein gewisses Kontingent an bestimmten Nahrungsmitteln für Mensch und Tier und einen sicheren Bestand an Feuchtigkeit, um diese in Wurzelsysteme einzuschließen und Wasser in die umliegenden Gebiete ausfließen zu lassen. Sie hatten die umherstreifenden Flecken in der Großen Bled kartographiert. All das bezog er in seine Berechnungen ein. Und selbst der Shai-Hulud hatte seinen Platz in den Tabellen. Man durfte ihn nicht vernichten, weil mit ihm auch das Gewürz zu existieren aufhören würde, und seine innerliche Umwälzungsfabrik mit den enormen Ansammlungen von Aldehyden und Säuren war zudem eine gewichtige Sauerstoffquelle. Ein mittelgroßer Wurm mit einer Länge von zweihundert Metern ließ soviel Sauerstoff in die Atmosphäre ab wie zehn Quadratkilometer Pflanzenwuchs auf der Oberfläche des Planeten.
Aber er hatte auch auf die Gilde zu achten. Die Bestechungssumme, die das Unternehmen verpflichtete, den Himmel von Arrakis von Wetter- und Beobachtungssatelliten freizuhalten, stieg in ungeahnte Höhen. Am wenigsten durfte er die Fremen ignorieren, speziell jene, die die Windfallen bauten und Pflanzungen anlegten; die Leute, die das neue ökologische Bewußtsein bereits besaßen und sich ihren Traum, aus Arrakis ein Paradies zu machen, nicht mehr nehmen lassen würden.
Die Tabellen reduzierten sich schließlich auf eine Zahl. Kynes sprach sie aus. Drei Prozent. Wenn es ihnen gelang, drei Prozent von dem anzupflanzen, was sie im Endeffekt erleben wollten, hatten sie einen Grundstock für den sich automatisch weiterentwickelnden Lebenszyklus geschaffen.
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