Paul schaute in ihre Augen und erinnerte sich daran, daß sie genauso schon einmal vor ihm gestanden hatte. Nur trug sie damals den kleinen Leto in den Armen, ihr Kind, das jetzt nicht mehr lebte. »Ich schwöre dir«, flüsterte er, »daß du es niemals nötig haben wirst, einen Titel zu tragen. Die Prinzessin dort hinten wird meine Frau werden und du meine Konkubine, weil dies aus politischen Gründen notwendig ist. Der Friede, den wir erhalten wollen, kann nur weiterbestehen, wenn die Hohen Häuser sehen, daß die Formen gewahrt bleiben. Trotzdem wird diese Prinzessin nicht mehr als meinen Namen tragen. Ich werde sie weder berühren noch zulassen, daß sie mir Kinder gebiert.«
»Das sagst du jetzt«, sagte Chani und warf einen Blick auf die große Prinzessin am anderen Ende des Raumes.
»Kennst du meinen Sohn denn so wenig?« flüsterte Jessica. »Sieh dir die Prinzessin an, wie hochmütig und überheblich sie dasteht. Man sagt ihr schriftstellerische Ambitionen nach. Hoffen wir, daß ihr dieser Zeitvertreib genügt; einen anderen wird sie in Zukunft schwerlich haben.« Jessica lachte bitter. »Und vergiß nicht, Chani: sie wird zwar seinen Namen führen, aber dennoch weniger als eine Konkubine sein. Sie wird niemals in die Lage versetzt werden, die Zärtlichkeit des Mannes, dem sie verbunden ist, kennenzulernen. Aber uns, Chani — die wir jetzt noch als Konkubinen bezeichnet werden -, wird die Geschichte später Gattinnen nennen.«
Appendix I:
Die Ökologie des Wüstenplaneten
Über den kritischen Punkt eines endlichen Raums hinaus vermindert sich die Bewegungsfreiheit ebenso, wie sich die Lebensbedingungen ändern. Dies gilt nicht nur für Menschen im endlichen Raum eines planetarisch-ökologischen Systems, sondern ebenso für Gasmoleküle innerhalb einer versiegelten Flasche. Die interessierende Frage ist deshalb nicht, wie viele Lebensformen in diesem System möglicherweise überleben können, sondern welcher Art der Existenz jene ausgesetzt sein werden, die überleben.
Pardot Kynes, Erster Planetologe von Arrakis.
Die erste Erkenntnis, die sich auf das Bewußtsein eines jeden Neuankömmlings auf Arrakis niederschlägt, ist die eines völlig unfruchtbaren Planeten. Jeder Fremde muß auf den ersten Blick zu dem Schluß gelangen, es sei unmöglich, daß hier — in der offenen Wüste — etwas wachsen oder leben könne. Und sein nächster Schluß wird sein, daß es unmöglich ist, diese totale Einöde zu verändern.
Für Pardot Kynes stellte Arrakis in erster Linie eine energetische Maschine dar, die von ihrer Sonne angetrieben und in Gang gehalten wurde. Was Arrakis brauchte, war eine Umformung, die den Bedürfnissen der auf ihm lebenden Menschen entgegenkam: den Fremen. Für Kynes war Arrakis die große Herausforderung, und die Fremen stellten für ihn den Veränderungsfaktor Nummer Eins dar. Sie waren für ihn eine ökologische und geologische Kraft unbegrenzten Potentials.
In vielen Dingen war Kynes ein einfach und direkt vorgehender Mann. Wie konnte er am besten den Grenzen, die die Harkonnens ihm setzten, entfliehen? Ganz einfach. Man brauchte nur eine Frau der Fremen zu ehelichen. Schenkte sie ihm einen Sohn, konnte er diesem — und den anderen Kindern dieser Verbindung — die ökologischen Tatsachen nahebringen. Dazu war es erforderlich, eine neue Symbolsprache zu schaffen, die das Bewußtsein der neuen Generation befähigte, nach und nach die gesamte Landschaft und die jahreszeitlich bedingten Begrenzungen des Systems zu manipulieren. Im Endeffekt würde das dazu führen, richtungsweisende Ideen sowie das neue Wissen in der Bevölkerung von Arrakis zu verankern und ihm so zum Durchbruch zu verhelfen.
»Auf jeder für Menschen geeigneten Welt«, pflegte Kynes zu sagen, »existiert eine Ausgewogenheit von Schönheit und Bewegung. Ein dynamischer Stabilisierungseffekt, der jedem Leben an sich zugrundeliegt und dessen Funktion darin besteht, die Aufrechterhaltung und Neukonstituierung weiterer Lebensformen zu gewährleisten. Die neuen Lebensformen veredeln die in sich geschlossene Kapazität des bisherigen Systems und erweitern es. Leben — in jeglicher Form — finden wir überall. Die Zuführung notwendiger Nährstoffe ruft eine Erweiterung dieser Stoffe von innen hervor, was wiederum die Anzahl der Lebensformen erhöht. Die gesamte Landschaft wird nach und nach zum Leben erwachen und angefüllt von aufeinander aufbauenden und sich ergänzenden Lebenssystemen.«
So lautete Pardot Kynes erste Vorlesung vor interessierten Zuhörern eines überbevölkerten Sietch.
Allerdings hatte er bereits vorher die Fremen von der Ernsthaftigkeit seiner Ansichten überzeugen müssen. Um zu verstehen, wie es dazu kam, sollte man anhand eines Beispiels die Einfachheit seiner Anschauungen verdeutlichen und den Beweis der geistigen Unschuld verdeutlichen, mit der er zu Werke ging.
Eines Tages, an einem heißen Nachmittag, befand Kynes sich auf einer Erkundungsreise durch die Wüste. Er fuhr einen Ein-Mann-Wagen. Dabei wurde er zum Zeugen einer gemeinen und menschenunwürdigen Tat: sechs Schläger, die im Solde der Harkonnens standen — ausgerüstet mit Schildgurten und bis an die Zähne bewaffnet -, hatten in der offenen Wüste, gleich hinter dem Schildwall und in der Nähe des Dorfes Windsack drei jugendliche Fremen überrascht. Kynes nahm zuerst an, es handele sich um ein harmloses Geplänkel, eine gewöhnliche Rauferei, wie sie gelegentlich vorkam, aber dann stellte er fest, daß die Söldner es darauf anlegten, die Fremen zu töten. Einer der jungen Männer lag bereits blutend am Boden, aber auch zwei der Harkonnens hatte es erwischt. Noch immer standen vier bewaffnete, erwachsene Männer zwei Frischlingen gegenüber.
Kynes war keinesfalls ein Draufgänger, im Gegenteil: er galt als beherrscht und vorsichtig. Was er jedoch sah, war, daß die Harkonnen-Schläger beabsichtigten, die Fremen, jene Werkzeuge, mit denen er vorhatte, das Angesicht des Planeten zu verändern, umzubringen.
Also aktivierte er seinen eigenen Schild, warf sich zwischen die Kämpfenden und erledigte zwei der Angreifer, ehe sie überhaupt bemerkt hatten, daß er herangekommen war. Er wich dem Schwerthieb des dritten aus, tötete auch ihn und überließ den letzten Mann den beiden Jugendlichen, während seine Aufmerksamkeit schon wieder den Gestrauchelten galt. Es gelang ihm, einen der Angreifer zu retten, während sich die Fremen den sechsten Mann vornahmen.
Die Jugendlichen waren so verdattert, daß sie kaum wußten, wie sie sich verhalten sollten. Erwachsene Fremen hätten — zwar mit einem Achselzucken, aber immerhin — Kynes zweifellos an Ort und Stelle gleich mit umgebracht. Aber die Fremen, die ihm jetzt gegenüberstanden, waren unerfahrene Kinder, und alles, was sie aus der Situation zu erkennen vermochten, war, daß sie von nun an einem Bediensteten des Imperators verpflichtet waren.
Zwei Tage später betrat Kynes einen Sietch, der auf einen Windpaß hinausführte. Für ihn war das, was er getan hatte, nichts Besonderes. Er unterhielt sich mit den Fremen über Wasserprobleme, über die Dünen, die sich mit etwas Bewuchs verankern ließen, über Oasen und Dattelpalmen und offene Qanats, die einmal durch die Wüste fließen sollten. Er redete und redete und redete.
Währenddessen fand um ihn herum eine heimliche Debatte statt, von der Kynes nicht das geringste bemerkte. Was sollte man mit diesem Verrückten anfangen? Und jetzt kannte er auch schon den Standort des Sietch. Was war zu tun?
Und was sollte sein hanebüchenes Geschwätz über ein zukünftiges Paradies auf Arrakis?
»Laßt ihn doch reden.«
»Aber er weiß zuviel.«
»Er hat immerhin einige Leute der Harkonnens getötet.«
»Und was ist mit unserer Wasserschuld?«
»Haben wir etwa dem Imperium je etwas geschuldet?«
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