Gurney Halleck näherte sich ihm und sagte: »Ich hörte, daß der Weg nach unten offen sein soll. Wir befinden uns hier sehr nahe an der Oberfläche, Mylord, falls es den Harkonnens einfallen sollte, einen Vergeltungsschlag zu führen.«
»Sie sind nicht in der Lage, so etwas zu tun«, erwiderte Paul. »Im Moment werden sie damit beschäftigt sein, festzustellen, daß sie über keine Schilde mehr verfügen und Arrakis nicht mehr verlassen können.«
»Der neue Befehlsstand ist vorbereitet worden«, fuhr Gurney halsstarrig fort.
»Dafür haben wir im Moment noch keine Verwendung«, sagte Paul. »Auch ohne meine Mitwirkung geht jetzt alles seinen programmierten Gang. Wir werden warten bis …«
»Ich habe eine Nachricht aufgefangen, Muad'dib«, rief der Kommunikant von seinen Geräten herüber. Der Mann schüttelte den Kopf und drückte den Kopfhörer gegen die Ohren. »Verdammte Störungen!«
Er begann auf ein Stück Papier zu schreiben, schüttelte erneut den Kopf, schrieb, wartete, schrieb …
Paul stellte sich neben den Mann und sah ihm über die Schulter. Der Fedaykin rückte etwas zur Seite und machte ihm Platz. Paul starrte auf den Zettel und die Worte, die der Mann geschrieben hatte.
»Überfall … auf Sietch Tabr … Gefangene … Alia (unverständlich) … Familie der (unverständlich) … sind tot (unverständlich) … Muad'dibs Sohn …«
Erneut schüttelte der Kommunikant den Kopf.
Paul blickte auf und bemerkte, daß Gurney ihn anstarrte.
»Die Nachricht ist verstümmelt«, wandte Gurney ein. »Die Störungen. Du weißt nicht, ob …«
»Mein Sohn ist tot«, sagte Paul und wußte, daß das, was er sagte, der Wahrheit entsprach. »Mein Kind ist tot … und Alia ist gefangengenommen worden … als Geisel.« Er fühlte sich leer, wie eine Muschel, ohne Emotionen. Alles, was er anfaßte, zog Tod und Trauer nach sich, wie eine Krankheit, die sich über das Universum ausbreitete.
Er war plötzlich in der Lage, die Gedanken eines Greises zu verstehen, die Ansammlung von Erfahrungen aus zahllosen verschiedenen Leben. Irgend etwas schien in ihm zu sein, das ihn mit knöcherner Hand betastete.
Und er dachte: Wie wenig weiß das Universum doch über die wahre Natur der Grausamkeit!
Und als Muad'dib vor ihnen stand, sagte er: »Auch wenn wir die Gefangene für tot halten, so lebt sie doch, weil sie von meinem Fleische ist und meiner Stimme. Und sie schaut zu den fernsten Grenzen der Möglichkeiten. Ja, selbst das Unmögliche schaut sie, durch mich.«
Aus ›Arrakis erwacht‹, von Prinzessin Irulan.
Baron Wladimir Harkonnen stand mit demütig gesenkten Augen im kaiserlichen Audienzzimmer, dem ovalen Selamlik, in den der Padischah-Imperator ihn hatte rufen lassen. Mit verhehlten Blicken musterte er den von Metallwänden umgebenen Raum und die Leute, die sich in ihm befanden — die Noukker, die Pagen, die Wächter und den Sardaukartrupp, der sich an den Wänden entlang verteilt hatte. Über ihnen hingen die zerfetzten, angesengten und teilweise blutigen Flaggen, die man erbeutet hatte. Sie stellten die einzige Dekoration des Audienzraumes dar.
Von rechts aus einem Nebenraum erklangen plötzlich Stimmen: »Macht Platz! Macht Platz für den Herrscher!«
Der Padischah-Imperator betrat das Audienzzimmer durch einen Nebeneingang. Ein ganzes Rudel seiner Höflinge folgte ihm. Er wartete, bis man seinen Thron aufgestellt hatte und ignorierte währenddessen nicht nur den Baron, sondern praktisch jeden, der sich in seiner Umgebung aufhielt.
Der Baron, unfähig den Herrscher seinerseits ebenfalls zu ignorieren, musterte den Mann und versuchte an seinem Habitus den Grund für seine Vorladung zu erkennen. Der Imperator sagte jedoch nichts. Er stand nur da, ein schlanker, eleganter Mann in einer grauen Sardaukar-Uniform mit silbernen und goldenen Litzen. Sein schmales Gesicht und die grauen Augen erinnerten den Baron mit ihrem kalten Blick an den verstorbenen Herzog Leto. Es war der Blick eines prähistorischen Raubvogels. Aber das Haar des Imperators war rot, nicht schwarz, auch wenn das meiste davon unter dem Helm eines Burseg verborgen lag, auf dem sich das kaiserliche Wappen befand.
Die Pagen brachten jetzt den Thron. Es war ein schwerer Sessel, den man aus einem einzigen Stück Hagalquarz herausgeschnitten hatte. Er leuchtete blaugrün und gelb. Sie stellten ihn dort auf, wo der Imperator ihn haben wollte, und er setzte sich hinein.
Eine alte Frau in einer schwarzen Aba-Robe löste sich aus dem Gefolge und nahm Aufstellung hinter dem Thron. Sie legte eine faltige, dürre Hand auf die Rückenlehne und musterte mit einem fast karikaturenhaften Hexengesicht die Anwesenden. Sie besaß eine lange Nase, tief in den Höhlen liegende Augen und eine blasse Haut, darunter bläulich leuchtende Adern.
Die Anwesenheit der alten Hexe trug nicht dazu bei, das Selbstvertrauen des Barons zu steigern. Im Gegenteil: wenn es jemand zu fürchten gab, war es die Ehrwürdige Mutter Gaius Helen Mohiam, die Wahrsagerin des Imperators. Allein an ihrer Anwesenheit konnte man die Wichtigkeit dieser Audienz erkennen. Den Rest des Gefolges musterte der Baron lediglich aus den Augenwinkeln: zwei Agenten der Gilde, von denen der eine groß und fett, und der andere klein und fett war. Beide glotzten mit nichtssagenden, grauen Augen. Zwischen den Lakaien stand eine der Töchter des Imperators: Prinzessin Irulan, eine Frau, der man nachsagte, daß auch sie die Ausbildung der Bene Gesserit erhalten hatte und die angeblich einmal eine Ehrwürdige Mutter sein würde. Sie war von hochgewachsener Gestalt, blond und hatte ein hübsches Gesicht, das überheblich über den Baron hinwegsah.
»Mein lieber Baron.«
Der Imperator hatte sich also entschlossen, ihn zur Kenntnis zu nehmen. Seine Stimme war ein sanfter Bariton, und er hatte sie offensichtlich sehr gut unter Kontrolle.
Baron Harkonnen verbeugte sich tief und achtete sorgfältig darauf, daß er die vorgeschriebenen zehn Schritte Abstand hielt. »Ich bin Ihrem Ruf gefolgt, Majestät.«
»Ruf!« gackerte die alte Hexe.
»Ich bitte Euch, Ehrwürdige Mutter«, erwiderte der Imperator, und über das offensichtliche Unbehagen des Barons hinweglächelnd, sagte er: »Erzählen Sie uns doch zuerst, wohin Sie Ihren wertvollen Thufir Hawat geschickt haben.«
Der Baron schickte verzweifelte Blicke nach rechts und links und wünschte sich, seine Leibwächter mitgebracht zu haben, auch wenn sie nicht viel gegen die aufmarschierten Sardaukar hätten ausrichten können.
»Ich höre«, sagte der Imperator.
»Er ist jetzt seit fünf Tagen fort, Majestät«, erwiderte der Baron schnell und musterte rasch die Agenten der Gilde. »Er hatte den Auftrag, bei den Schmugglern zu landen und von dort aus den Versuch zu unternehmen in das Lager dieses fanatischen Predigers Muad'dib einzudringen.«
»Unglaublich!« stieß der Imperator hervor.
Die klauenartige Hand der alten Hexe legte sich auf die Schulter des Imperators. Sie beugte sich vor und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Der Imperator nickte und sagte: »Fünf Tage ist er also bereits verschwunden. Sagen Sie, machen Sie sich denn überhaupt keine Sorgen über sein Ausbleiben?«
»Aber ich mache mir Sorgen, Majestät!«
Der Imperator starrte ihn weiterhin an, während die alte Hexe glucksende Laute der Erheiterung von sich gab.
»Ich wollte damit andeuten, Majestät«, fuhr der Baron fort, »daß Hawat ohnehin innerhalb der nächsten Stunden stirbt.« Er beschrieb das latente Gift, von dem Hawat abhängig war und dessen Wirkung.
»Wie gerissen von Ihnen, Baron«, erwiderte der Imperator.
»Und wo befinden sich Ihre Neffen Rabban und Feyd-Rautha?«
»Der Sturm wird bald losbrechen, Majestät. Ich habe beide mit der Inspektion unserer Vorposten beauftragt, damit die Fremen nicht im Schutz des Unwetters angreifen können.«
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