»Ayah!« stieß Gurney hervor. »Du hast nicht …«
»Sei still«, sagte Paul, und seine Stimme enthielt jetzt einen solch harten Kommandoton, wie Jessica ihn noch bei keinem anderen Menschen gehört hatte.
Er verfügt über die Große Kontrolle, dachte sie.
Gurneys Arm begann zu zittern. Sie spürte deutlich, daß sie Messerspitze sich unruhig hin und her bewegte.
»Du hast meine Mutter in der Nacht, als sie meinen Vater umbrachten, nicht weinen gehört, Gurney«, fuhr Paul jetzt entschlossen fort. »Und du weißt auch nichts davon, welchen Ausdruck ihre Augen zeigen, wenn wir von unserer Rache sprechen.«
Er hat es nicht vergessen, dachte Jessica. Tränen traten in ihre Augen.
»Und offenbar hast du aus dem, was du in den Sklavenhöhlen der Harkonnens gelernt hast, keine Lehre gezogen, Gurney. Du erzählst mir, wie stolz du darauf bist, daß mein Vater dir seine Freundschaft schenkte! Warst du die ganzen Jahre denn nicht in der Lage, die Harkonnens und Atreides auseinanderzuhalten und zu erkennen, daß man die Tricks der ersteren schon allein an dem Gestank erkennt, den sie bei allem, was sie tun, zurücklassen? Bist du dir nicht dessen bewußt, daß die Atreides sich die Loyalität ihrer Untertanen mit Güte erkaufen, während die Harkonnens sich die der ihren mit Brutalität erzwingen? Hast du wirklich nicht gemerkt, daß du nur einem weiteren ihrer schmutzigen Tricks aufgesessen bist?«
»Aber Yueh?« murmelte Gurney.
»Der Beweis, von dem ich eben sprach«, sagte Paul, »ist das handgeschriebene Geständnis Yuehs. Ich schwöre unter dem Siegel der Zuneigung, die ich für dich empfinde, daß ich die Wahrheit, sage. Und ich werde diese Zuneigung auch dann noch in mir bewahren, wenn du hier tot zu meinen Füßen liegen wirst.«
Paul schien wirklich zu allem entschlossen zu sein.
»Mein Vater erfaßte stets instinktiv, wer seine Freunde waren«, fügte er hinzu. »Es gab nur wenige Leute, die er mochte, aber er hat sich in ihnen niemals geirrt. Seine Schwäche lag darin, daß er zu sehr auf den Haß fixiert war. Es war ihm einfach unmöglich, zu glauben, daß jemand, der die Harkonnens haßte, in der Lage sei, ihn zu verraten.« Er sah seine Mutter an. »Bevor mein Vater starb, gab er mir den Auftrag, meiner Mutter zu sagen, daß er ihr niemals mißtraut habe.«
Jessica, die spürte, daß sie die Kontrolle über sich verlor biß sich auf die Lippe. Die steife Formalität, mit der Paul nun sprach, zeigte ihr, was es ihn kostete, diese Worte überhaupt hervorzubringen. Am liebsten hätte sie sich ihm zugewandt und seinen Kopf an ihre Brust gedrückt, aber der Arm, der ihren Hals umklammert hielt, hatte seine Unsicherheit offenbar wieder verloren. Die Messerspitze an ihrem Rücken war weiterhin da.
»Einer der schrecklichsten Augenblicke im Leben eines Jungen«, sagte Paul gepreßt, »ist, wenn er entdeckt, daß auch sein Vater und seine Mutter völlig menschliche Wesen sind, die einander in einer Form zugetan sind, die man als Kind nicht verstehen kann. Man nimmt es hin wie einen Verlust, wie ein Erwachen gegenüber der Tatsache, daß die Welt um einen herum existiert, und man doch allein in ihr ist. Dieser Moment bringt seine eigene Form von Wahrheit mit sich, und man kann ihr nicht entkommen. Ich habe wirklich gehört, was mein Vater über meine Mutter sagte. Sie ist wirklich keine Verräterin, Gurney.«
Endlich fand Jessica ihre Stimme wieder. »Laß mich los, Gurney«, sagte sie. Ihre Stimme klang ruhig und keineswegs befehlend, aber trotzdem ließ Halleck den Arm sinken. Jessica stand auf und ging auf Paul zu, berührte ihn jedoch nicht.
»Paul«, sagte sie, »in diesem Universum existieren noch andere Formen des Erwachens. Ich habe gerade festgestellt, wie ich dich benutzt und manipuliert habe, damit du einen Weg einschlägst, den ich bestimmen wollte … einen Weg, den ich einschlagen mußte. Wenn es dafür überhaupt eine Entschuldigung gibt … dann denke bitte an meine Ausbildung.« Mühsam schluckte sie den Klumpen, der sich in ihrer Kehle bildete, hinunter und sah ihrem Sohn in die Augen. »Paul … ich möchte, daß du etwas für mich tust: Gehe den Weg, den du gehen mußt, wenn du dadurch glücklich wirst. Wenn du es wünschst, heirate dein Wüstenmädchen. Widersetze dich jedem und allem, der dich daran hindern will. Gehe deinen eigenen Weg. Ich …«
Abrupt verstummte sie. Das entsetzliche Stöhnen hinter ihrem Rücken ließ sie herumfahren.
Gurney!
Pauls Augen wandten sich von ihr ab und blickten an ihr vorbei.
Gurney stand immer noch an der gleichen Stelle, aber er hatte das Messer wieder in die Scheide gesteckt und war dabei, über die Brust die Robe auseinanderzureißen, unter der nun die graue Hülle des Destillanzuges sichtbar wurde. Es war einer jener Anzüge, wie ihn die Schmuggler trugen.
»Stoßen Sie mir das Messer in die Brust«, knirschte Gurney verzweifelt. »Töten Sie mich und vergessen Sie alles, was ich hier und heute gesagt habe. Ich habe meinen eigenen Namen beschmutzt und meinen Herzog verraten. Das Beste wäre …«
»Schweig!« versetzte Paul.
Gurney starrte ihn an.
»Schließe deine Robe und hör auf, dich wie ein Idiot zu benehmen«, sagte Paul. »Der Unsinn, den ich allein heute gehört habe, wird für ein paar Monate reichen.«
»Töten Sie mich«, fauchte Gurney, »ich bestehe darauf!«
»Du solltest mich besser kennen«, erwiderte Paul. »Für welchen Trottel hältst du mich? Muß ich denn mit jedem Mann, den ich brauche, das gleiche Drama durchexerzieren?«
Gurney schaute Jessica an und sagte in einem müden, resignierten Tonfall, der gar nicht zu ihm paßte: »Dann Sie, Mylady. Bitte … töten Sie mich.«
Jessica ging auf ihn zu und legte beide Arme auf seine Schultern. »Gurney, warum bestehst du darauf, daß die Atreides diejenigen töten sollen, die sie lieben?« Mit sanftem Griff brachte sie seine Robe wieder in Ordnung und verschloß sie über seiner breiten Brust.
Gebrochen sagte Gurney: »Aber … ich …«
»Du glaubtest, etwas Gutes für Leto zu tun«, fuhr Jessica fort. »Und dafür danke ich dir.«
»Mylady«, sagte Gurney. Sein Kinn fiel auf die Brust, um niemanden seine Tränen sehen zu lassen, schloß er die Augen.
»Laßt uns über die Sache in Zukunft nur noch wie über ein gewöhnliches Mißverständnis unter alten Freunden denken«, sagte Jessica, und Paul hörte den beruhigenden Tonfall in ihrer Stimme. »Nun ist es vorüber, und wir alle wissen, daß es ein solches Mißverständnis nie wieder geben wird.«
Gurney öffnete seine feuchten Augen und schaute auf sie herab.
»Der Gurney Halleck, den ich einst kannte«, sagte Jessica, »war ein Mann, der ebenso gut mit dem Messer wie mit dem Baliset umgehen konnte. Und den Spieler Gurney Halleck habe ich stets am meisten verehrt. Erinnert sich dieser Gurney Halleck nicht mehr daran, wie schön es für mich war, den Klängen seines Instruments zu lauschen? Hast du dein Baliset noch immer, Gurney?«
»Ich habe ein neues«, erwiderte Gurney. »Es stammt von Chusuk, ein schönes Instrument. Es könnte beinahe von Varota kommen, obwohl es unsigniert ist. Ich denke, es wurde von einem Studenten von Varota gebaut, der dann später nach …« Er brach ab. »Wie kann ich nur hier herumstehen und schwätzen, wo …«
»Was du sagst, ist kein Geschwätz, Gurney«, warf Paul ein, stellte sich neben seine Mutter und sah Gurney in die Augen. »Es ist ein Gespräch zwischen Freunden. Ich würde es begrüßen, wenn du so freundlich wärst und uns eines deiner Lieder vorspieltest. Der Entwurf des Schlachtplans kann noch ein bißchen warten, denn der Kampf beginnt frühestens morgen.«
»Ich … werde mein Baliset holen«, sagte Gurney. »Es ist draußen im Gang.« Er ging an ihnen vorbei und schlüpfte durch den Vorhang hinaus.
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