Im inneren Zimmer seiner Räume wies Paul seine Mutter an, sich zu setzen und sagte: »Warte hier.« Er duckte sich und verschwand durch einen Vorhang in einem Nebenraum.
Es war still in diesem Zimmer, nachdem Paul gegangen war, so still hinter den Vorhängen, daß nicht einmal das leise Geräusch der Luftumwälzungsanlage zu Jessica durchdrang.
Er ist gegangen, um Gurney Halleck zu holen, dachte sie und fragte sich, welche seltsamen Gefühle sie dabei durchströmten. Gurney und seine Musik erinnerten sie an die schöne Zeit auf Caladan, bevor sie nach Arrakis übersiedelt waren. Irgendwie kam ihr das alles unwirklich vor, als hätte es Caladan in ihrem Leben gar nicht wirklich gegeben. Sie hatte sich in den beinahe drei Jahren auf Arrakis zu einer völlig anderen Person entwickelt. Aber bisher war ihr das gar nicht bewußt gewesen. Es war die Anwesenheit Gurneys, die sie darauf hinwies.
Das Kaffeeservice aus Silber und Jasmium, das aus Jamis' Besitz in den Pauls übergegangen war, stand neben ihr auf einem niedrigen Tisch. Jessica schaute es an und überlegte, wieviele Hände dieses Metall schon berührt hatten. In diesem Moment war es Chani gewesen, die Paul daraus bediente.
Was kann dieses Wüstenmädchen schon für einen Herzog tun, außer ihm Kaffee zu servieren? fragte sie sich. Sie bringt ihm weder Macht noch eine Familie. Paul hat nur eine einzige Chance er muß sich mit einem Hohen Haus verbünden, möglicherweise sogar mit der kaiserlichen Familie. Es gibt dort eine ganze Reihe von Prinzessinnen im heiratsfähigen Alter — trotz allem anderen — und jede einzelne von ihnen wurde von den Bene Gesserit ausgebildet.
Jessica versuchte sich vorzustellen, wie es ihr ergehen würde, wenn sie all die Entbehrungen, die sie auf Arrakis hinnehmen mußte, mit den Annehmlichkeiten als Mutter eines Mannes von königlichem Geblüt vertauschte. Sie sah auf die dicken Wandbehänge des Höhlenraums, und ihr fiel ein, auf welche Art sie hierhergereist war: auf dem Rücken eines Wurmes, den man zusätzlich mit allem beladen hatte, was sie hier brauchte.
Solange Chani lebt, wird Paul seine Pflicht nicht erkennen, dachte Jessica. Sie hat ihm einen Sohn geboren, und das genügt ihm.
Das plötzliche Verlangen, ihr Enkelkind, das seinem Großvater in jeder Beziehung ähnlich war, zu sehen, überkam sie. Jessica legte beide Handflächen gegen ihre Wangen und begann in der rituellen Weise zu atmen, die ihre Gefühle abkühlte und den Verstand besänftigte. Schließlich beugte sie sich vor und paßte ihren Körper an die Anforderungen des Geistes an.
Die Richtigkeit der Tatsache, daß Paul die Höhle der Vögel zu seinem neuen Kommandoposten gemacht hatte, konnte man nicht in Zweifel ziehen, wußte Jessica. Der Platz war nahezu ideal. In nördlicher Richtung lag die Windpaßöffnung, die sich auf ein geschützt liegendes Dorf inmitten einer Felsansammlung ausrichtete. Dieses Dorf hatte eine Schlüsselstellung inne, denn in ihm lagen die Unterkünfte der Techniker und Handwerker sowie das Nachschubzentrum der gesamten Harkonnen-Abwehr.
Ein Hüsteln drang an Jessicas Ohren. Sie setzte sich wieder aufrecht hin, tat einen tiefen Atemzug und sagte: »Herein.«
Vorhänge wurden beiseite gerissen und Gurney Halleck stürmte in den Raum. Jessica hatte gerade noch Gelegenheit, einen kurzen Blick auf sein verzerrtes Gesicht zu werfen, dann war er auch schon hinter ihr, legte einen Arm um ihren Hals und riß sie hoch.
»Gurney, Sie Narr, was haben Sie vor?« keuchte Jessica.
Dann fühlte sie den harten Druck einer Messerspitze an ihrem Rücken. Sofort wurde ihr klar, daß Halleck vorhatte, sie umzubringen. Warum? Sie hatte nicht die geringste Ahnung. Zudem war Halleck nicht der Typ des Verräters. Aber dennoch war seine Absicht unverkennbar — und er besaß genügend Erfahrung, um jeden Trick, sich aus dieser Umklammerung zu befreien, sofort zu unterbinden.
»Du hast geglaubt, du wärst jetzt in Sicherheit, du Hexe, was?« knurrte Gurney.
Bevor Jessica auch nur ihre Gedanken in Worte kleiden konnte, öffnete sich der Vorhang erneut und Paul trat ein.
»Hier ist er also, Mutt…« Er verstummte abrupt und blieb wie erstarrt stehen.
»Sie werden da stehenbleiben, wo Sie jetzt sind, Mylord«, sagte Gurney.
»Was …«, stieß Paul ungläubig hervor.
Jessica wollte etwas sagen und spürte plötzlich, wie der Griff um ihren Hals sich verstärkte.
»Du wirst nur dann sprechen, wenn ich es dir erlaube, du Hexe«, sagte Gurney. »Ich möchte nur, daß dein Sohn etwas ganz Bestimmtes aus deinem Mund hört — und ich werde nicht zögern, beim geringsten Anzeichen eines Reflexes zuzustoßen. Deine Stimme wird ganz normal klingen, wenn du etwas sagst, und du wirst keinen einzigen Muskel bewegen. Du wirst dich nun mit der größten Vorsicht verhalten, auch wenn du nicht mehr lange zu leben hast. Du hast nur noch ein paar Sekunden, und ich rate dir, sie nicht sinnlos zu vergeuden.«
Paul machte einen Schritt vorwärts und sagte entsetzt: »Gurney, Mensch, was ist …?«
»Bleib wo du bist!« schrie Gurney. »Noch einen Schritt und sie ist tot!«
Paul griff nach seinem Messer und sagte mit tödlicher Ruhe: »Das wirst du mir erklären müssen, Gurney.«
»Ich habe geschworen, denjenigen, der deinen Vater verraten hat, zu töten«, erwiderte Gurney. »Glaubst du, ich könnte vergessen, was ich einem Menschen verdanke, der mich aus den Sklavenhöhlen der Harkonnens befreit hat? Der mir die Freiheit, das Leben und meine Ehre wiedergab? Der mich zu seinem Freund machte, was ich über alles andere stelle? Ich habe den Verräter jetzt vor meiner Klinge. Und niemand wird mich davon abhalten können, ihn zu …«
»Einen größeren Irrtum könntest du gar nicht begehen, Gurney«, entgegnete Paul.
Und Jessica dachte: Also so ist das! Welche Ironie!
»Ich soll mich irren?« fragte Gurney. »Ich schlage vor, daß wir jetzt diese Frau sprechen lassen. Und sie soll auch wissen, daß ich Unsummen an Bestechungsgeldern und für Spitzel ausgegeben habe, um darüber, was ich jetzt weiß, Informationen zu sammeln. Ich habe sogar einen Harkonnen-Captain unter Semuta gesetzt, um die Geschichte aus ihm herauszubekommen.«
Jessica fühlte, wie der Arm sich um eine Winzigkeit löste, aber bevor sie etwas sagen konnte, warf Paul ein: »Der Verräter war Yueh. Ich sage dir das nur einmal, Gurney. Ich habe unwiderlegbare Beweise dafür. Es war Yueh, niemand anderes. Ich habe keine Ahnung, wie du auf den Gedanken gekommen bist, es könnte meine Mutter gewesen sein. Es gibt nicht die geringsten Verdachtsmomente gegen sie. Und wenn du wirklich versuchst, ihr etwas anzutun …«, Paul zog sein Messer aus der Scheide und hielt es mit ausgestreckter Hand Gurney entgegen, »… wirst du das nicht überleben.«
»Yueh war ein kondinionierter Mediziner«, entgegnete Gurney. »Er war gar nicht fähig, so etwas zu tun.«
»Ich kenne einen Weg, die Konditionierung zu durchbrechen«, erwiderte Paul einfach.
»Beweise!« knurrte Gurney.
»Der Beweis ist nicht hier«, sagte Paul. »Er ist im Sietch Tabr, tief im Süden, aber wenn …«
»Das ist nichts anderes als ein Trick«, schnaubte Gurney Halleck. Erneut festigte er seinen Griff um Jessicas Hals.
»Es ist kein Trick, Gurney«, sagte Paul, und der Tonfall, in dem er diese Worte sagte, klang so traurig, daß Jessica ihn in ihrem Herzen spürte.
»Ich habe die Botschaft gelesen, die man einem Agenten der Harkonnens abnahm«, sagte Gurney. »Und sie wies genau darauf hin, daß …«
»Ich habe sie ebenfalls gelesen«, erwiderte Paul. »Mein Vater zeigte sie mir in jener Nacht, in der er mir auch erklärte, was die Harkonnens damit erreichen wollten, indem sie die Frau beschuldigten, die er liebte.«
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